Peter Leonhard Braun wird 90

"Wenn es gut ist, ist es ein Feature"

13:25 Minuten
Peter Leonhard Braun und sein Mops im Büro
Peter Leonhard Braun mit seinem Mops im Büro © rbb
Von Jochen Meißner · 29.01.2019
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Wirklich schreiben konnte Peter Leonhard Braun nach eigener Aussage „erst mit 28“. Dass Radio „etwas ganz anderes“ ist, realisierte er erstmals mit dem Feature „Hühner“. Von da suchte der Feature-Pionier nach der "akustischen Energie", die sich für große Themen eignet - und prägte das Genre über Jahrzehnte.
"Wir bringen eine Dokumentation mit stereophonen Originalaufnahmen." (Feature "Hühner", Ausschnitt)
"Also: arbeitshistorischer Augenblick, erstes Band, erste Aufnahme Mikrophonposition ca. 250 Meter vom Bohrturm entfernt." ("Erdöl", Ausschnitt)
Peter Leonhard Braun: "Ich bin in einer Berliner Kneipe groß geworden. Das Radio war ein großer Mahagonikasten und jenseits der Musik, die wir hörten, spielte das magische Auge eine große Rolle. Das magische Auge war ein grüner kreisrunder Ring, der, wenn du den Sender richtig eingestellt hattest, aufflammt. Und das hat mich fasziniert, dieses grüne auf- und zugehende Auge und in der Kneipe meiner Eltern wurde dann ein Schnaps erfunden, der hieß ‚Das magische Auge‘. Das war ein Korn mit einem ordentlichen Schuss Pfefferminz drin und wenn du den Pfefferminz in den Korn machst, geht das Grüne auseinander. War sehr populär."
"Das Radio war also da, die akustische Wahrnehmung der Welt war außerordentlich wichtig, denn die ganze Propaganda des Nationalsozialismus lief über das Radio. Das war ja die erste Massenbeeinflussung mit einem modernen Medium. Und das war in der Kneipe meiner Eltern nicht sehr populär."
"Zweite Aufnahme, der erste Abstand wird wohl nur 200 Meter gewesen sein, jetzt sind wir 25 Meter weiter dran." ("Erdöl", Ausschnitt)
"Ich konnte erst wirklich schreiben mit 28"
"Ich bin ja viel später zum Radio beruflich gekommen. Als der Krieg vorbei war, habe ich zwei Monate Tischlerlehre auf mich genommen, um die Zeit zu überbrücken. Dann also zurück aufs Gymnasium, Abitur gemacht, dann habe ich studiert, Volkswirtschaft, ich bin Diplom-Volkswirt und wollte es niemals werden. Das war mein Problem. Was wird aus diesem Peter Braun? Ich wollte schreiben, aber ich konnte es nicht. Um zu schreiben, musst du eine bestimmte Reife, Kompetenz, also ein bestimmtes Alter haben. Und ich konnte erst wirklich schreiben mit 28.
"Der junge Mann hat gerade das richtige Alter. Ihm gehen die ersten Büschel Haare in den Geheimratsecken aus. Ein unruhig machendes Zeichen dafür, dass die Schönheit schwindet, dass bald eine anschmiegsame Seele gesucht werden muss, die vor der Behörde zu schwören bereit ist, ihn für ein ganzes, langes Leben schön zu finden. Auch dann noch, wenn aus den zwei blanken Sternen vorne in seinem Haar ein einziger mächtiger Plante geworden ist, der mit den Jahren immer weiter aufgeht, bis ein volles bleiches Nachtgestirn resignierend über seinen Gesichtszügen schwebt." ("Berliner Geschichten, Teil 3", Ausschnitt)
"Wir hatten damals ein Format, das hieß "Der Berliner Bummel". Das war was für uns Anfänger. Der Berliner Bummel war zehn Minute lang, manchmal zwölf und du kriegtest dafür 100 D-Mark oder genauer gesagt zwischen 90 und 110. Und ich hab mich dann bei den Berliner Bummels zum Bummel-Schiller hochgeschrieben und kriegte für meinen letzten Bummel 115 D-Mark. Das war ein Sonderhonorar und ich bin heute noch stolz darauf."
"Dritte Aufnahme, wieder 25 Meter näher." ("Erdöl", Ausschnitt)
"Wenn man endgültig in seinen Freundeskreisen bekannt gegeben hat, dass man einen spätsommerlichen Urlaub in England zu verbringen gedenkt, dann erhält man eine Fülle boshafter Ratschläge und hämischer Bemerkungen. Danach nimmt man am besten fünf Dinge mit: einen soliden Regenschirm, einen festen Wettermantel, sehr dicke Pullover, den ältesten Anzug und viel Geld. Denn England ist kalt nass und teuer. Und falls man sich endlich einmal nach langen Wochen vergrämten Schweigens mit einem anderen deutschen Touristen unterhalten wolle, dann könne man ja in ganz England einen Aufruf erlassen. Möglicherweise – es passieren die unwahrscheinlichsten Dinge – möglicherweise findet sich noch ein zweiter Verrückter und das ist ja dann genau die richtige Gesellschaft." (Feature "Urlaub in Cornwall", Ausschnitt)
"Radio ist ein Ausdrucksmedium, was auch das Technische einbezieht"
"Radio war nicht eine exzellente Schreibe, Radio war auch ´ne technische Entwicklung und so bin ich also soundsoviel Jahre über den Feinschliff des Ausdrucks – wenn du einen Inhalt mitteilen willst und darfst dich nicht ausplaudern, aber auch konzise um es inhaltlich zu treffen – zu der Grenze gekommen, wo du dann begreifst: Radio ist etwas ganz anderes. Radio ist ein Ausdrucksmedium, was auch das Technische einbezieht und das war damals die Stereophonie."
"Vierte Aufnahme. Wieder 25 Meter näher. Abstand vom Bohrturm jetzt circa 100 Meter. Nur noch 50 Meter Abstand. Unmittelbar vor dem unteren offenen Ende des Bohrturms."("Erdöl", Ausschnitt)
"Ich lebte ’64-’65 in London und macht ein London Features für Berlin und ich flog zum Prix Italia und saß im Flugzeug. Prix Italia in Italien war damals sozusagen die Olympischen Spiele des Radios und ich las ein Buch von einer Autorin Harris über Tiermaschinen und die erste Tiermaschine, die Hühner, und ich begriff: das ist eine Jahrhundertthematik. Dass der Mensch jetzt also Tier zu produzieren in der Lage ist wie Schraubenzieher. Mit genetischen Veranlagen, die festliegen, dass ich jetzt nicht mehr ein Huhn habe, das wie früher glücklich scharrend im Hühnerhof 15, 20 Eier legte, sondern 150, 250 wie eine Maschine."
"Für das Huhn ist der liebe Gott nicht mehr zuständig. Das konstruieren jetzt wir." (Feature "Hühner", Ausschnitt)
"Jetzt gebe ich ihnen mal die Anfangskonstruktion von den "Hühnern". Ich habe also die ersten dreißig Sekunden oder die erste Minute der Hühner-Produktion in Mono gemacht und habe mir aus dem Archiv Mono-Hühner geholt. Die gackern glücklich und scharren ein bisschen in der ganzen Limitation dessen, was im Klangausdruck in Mono üblich war. Und dann mache ich etwas wie in den frühe Panorama-Filmen: ich weite plötzlich die akustische Bühne aus und jetzt spricht nicht mehr ein onkelhafter Erzähler, der zu den Mono-Hühnern passt, sondern ganz kalte Managerstimmer 3,4,5,6 und die haben ganz kurze Sätze, die sagen zwölf Hühner, 120, und der nächste sagt 1.200 und der 5.000, 10.000, nichts weiter, nichts weiter also eine faktische Wucht entsteht dadurch und dann gehe ich mit dem Mikrophon in eine Batterie rein, wo 5.000 Hühner sind und ich kriege durch diese Klangmasse, durch diese gedrängten Kreaturen, die dort schreien und fressen und gackern in ihrer Massenhaftigkeit, kriege ich einen Griff durch mein Mikrophon in den Lautsprecher zum Hörer herüber und packe mir den Hörer und ziehe ihn in einer Art und Weise in die Szene, wie es nie vorher möglich war: Hühner."
"So sitz es mir im Gemüt: Bauernhaus, Land, Grün. Die Weiden reichen bis nah an den Hof. Sonne. Ein Hof ist ein Produktionsbetrieb. Der Bauer ist landwirtschaftlicher Unternehmer. 20 Hühner, 5.000, 50.000, 100.000, halbe Million." (Feature "Hühner", Ausschnitt)
"Das Material muss eine Kraft haben"
"Ich habe ein Thema gesucht, das so stark sein musste, dass selbst wenn ich ein Idiot als Autor bin, es immer noch gut wird. Das heißt, das Material muss eine Kraft haben, als wenn ich in Saudi-Arabien einen Spazierstock in die Erde stoße und die Erdölfontäne kommt raus. Das heißt also, ich mache nicht ein Feature über Hyänen, sondern ich mache ein Feature über die afrikanische Nacht. Das ist das Thema."
"Ich versuch jetzt zwischen den Pumpstationen bis zum Unterteil des Bohrturms zu gehen." ("Erdöl", Ausschnitt)
"Ich habe Thematiken gesucht von außerordentlicher akustischer Kraft und deswegen habe ich die Catcher zum Beispiel gewählt. Das war mein Ansatz, wie ein Rutengänger, wie jemand mit der Wünschelrute, der also rumgeht und guckt, wo ist eine akustische Energie, die zu einer großen Thematik sich eignet?
"Eierkopf, lass det Bein los. Junge, Junge, der lässt den nicht los. Du alter Eierkopp, du alte Pflaume, du. Hau’em doch den Grind ein. Gib ihm, dem Fettsack. Haue. Schiebung. Mach ihn kalt. Los. Hauet tot, det Schwein." (Feature "Catch as Catch Can", Ausschnittl)
1974 übernimmt Peter Leonhard Braun die Leitung der Feature-Abteilung des Senders Freies Berlin und hat seitdem kein Feature mehr produziert. Die machen jetzt andere. Zum Beispiel Jens Jarisch, auch er ein vielfach ausgezeichneter freier Autor und gegenwärtig einer von Brauns Nachfolgern als Leiter der Abteilung Radiokunst beim Rundfunk Berlin Brandenburg. Jens Jarisch hat aus dem 1974 von Leo Braun aufgenommenen O-Ton-Material einer nie zustande gekommen Sendung über Erdöl im Jahr 2008 seine Sendung über das Erdöl-Zeitalter gemacht.
Schatzmeister des Prix Europa
Nachdem Leo Braun vor mehr als 20 Jahren als Featurechef des SFB pensioniert wurde, betreut er – mit 90 Jahren und beeindruckender Vitalität – von seinem Büro am Berliner Kaiserdamm aus immer noch den "Prix Europa". Der Wettbewerb für Fernseh-, Radio- und inzwischen auch Online-Produktionen gilt als Maßstab für Qualitätsproduktionen und hat sein Ohr immer am Puls der Zeit.
"Ich bin ja hier beim Prix Europa für den Audioteil zuständig und kann sagen, dass die Bereitschaft, und ich sag nicht Radio-Dok, Radio Dokumentation, sondern auditive dokumentarische Form zu machen, ungebrochen ist. Aber du musst natürlich heute was ganz anderes machen. Es ist im Grunde die Zeit für einen neuen Braun oder irgend so was. Du musst die technologische Sprache unserer Zeit beherrschen. Du musst ja einen visuellen Teil beherrschen, das könnte Braun überhaupt nicht. Ich sehe nichts, ich höre Dinge. Aber es ist also eine so vor dir ausgebreitete Welt, die nach einem starken Zugriff fast lechzt, möchte ich mal sagen. Wir bei Prix Europa kriegen Jahr für Jahr, das werden Sie ja auch wissen, eine konstante Ebene von ernstzunehmenden Arbeiten. Ich habe da nur folgendes gesagt: Wenn es gut ist, ist es immer ein Feature."
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