Pestizide satt?

Die Anbaubedingungen in der südspanischen Provinz Almeria

Das Plastikmeer Almerias von unten.
Das Plastikmeer Almerias von unten. © dpa picture alliance/ Bodo Marks
Von Daniel Sulzmann · 23.03.2015
Ein Landstrich unter Folie. Geschätzte 40.000 Gewächshäuser dehnen sich in der spanischen Provinz Almeria über mehr als 350 Quadratkilometer aus. So wird Deutschland auch im Winter mit mediterranem Salat versorgt, doch der ganzjährige Gemüseanbau hat seinen Preis.
Der Scheibenwischer des Mietautos wischt die Tropfen auf der Windschutzscheibe weg. Es gibt wohl wenig Geräusche in El Ejido, die so untypisch sind. Denn die Stadt, die nur rund sechs Kilometer vom Strand des Mittelmeeres in der Provinz Almeria liegt, ist ansonsten ein sehr trockenes Fleckchen. Jahresniederschlag im Durchschnitt: zwischen 150 und 200 Millimeter. Wasser, das ist in El Ejido alles. Wasser und Früchte. Melonen, Tomaten, Paprika, Gurken vor allem. Und alles landet in europäischen Supermärkten.
El Ejido ist das Zentrum des spanischen Gemüseanbaus und die Provinz Almeria das Zentrum des europäischen Gemüseanbaus. Soweit das Auge reicht, Gewächshäuser aus heller Plastikfolie. Ich bin mit Xavier verabredet. Auf dem Bulevar de El Ejido. Das ist die Haupstraße von El Ejido. Eine schmucklose Straße, die sich durch die aneinander gewürfelte Siedlung zieht. Gewachsen wie gebaut. Man könnte auch sagen, gewachsen wie gewuchert.
El Ejido, das war in den letzten Jahrzehnten immer irgendwie ein Geschäft. So scheint es. Denn El Ejido hatte mal 500 Einwohner. Jetzt sind es 80.000, von denen mindestens die Hälfte direkt vom Gemüseanbau lebt. Aber wie viele es wirklich sind, keiner weiß es so genau. Xavier bringt mich nach einem Kaffee, wie es in Spanien üblich ist an, in sein Gewächshaus. Es liegt nur wenige Meter vom Strand entfernt. Und es ist voll mit Auberginen. "Berenjenas" wie die Spanier die Frucht nennen. Die Wurzelstöcke der Pflanzen ragen aus dicklichen runden Plastiksäcken hervor, jetzt im März ist es schon angenehm warm im Gewächshaus.
"Das ist ein Hydrokultur-System, die Pflanzen wachsen in einem Sack, mit Perlite, dort im Sack steckt auch die Wurzel der Pflanze und versorgt sich mit Dünger."
Kein Mutterboden weit und breit
Perlit sind kleine poröse Steine, in denen die Nährstoffe stecken. Mit Mutterboden und Erde hat das Ganze nicht viel zu tun. Aber die Auberginen sind offensichtlich bestens versorgt. Das ganze Gewächshaus hängt voll mit den dicken schwarzen glänzenden Früchten. Acht mal kann er so säen, pflanzen und ernten. Dann muss Xavier neue Hydrokultursäcke aufstellen. Er bewirtschaftet rund anderthalb Hektar Fläche und er ist Teilhaber in der Produktionsgenossenschaft Murgiverde. Die Produkte wie Auberginen und andere Früchte werden vor allem nach Deutschland verkauft. Und die Deutschen, auf die singt Xavier ein Loblied:
"Die Deutschen sind in jeder Hinsicht wichtig für uns. Es ist ein Markt mit mehr als 80 Millionen Konsumenten, die viel Gemüse essen, und die deutschen Handelsunternehmen sind zuverlässig. Vertrauenswürdiger als andere."
Sagt er dann noch mit verschmitzten Grinsen. Es gibt wohl auch Gemüsehändler in Europa, die trotz der gemachten Verträge immer wieder nachverhandeln. Das mögen sie nicht in El Ejido und auch wenn die deutschen Supermarktketten etwas besser bezahlen könnten, sie seien eben zuverlässig und das sei wichtig, heißt es. 70 Prozent der Ware aus El Ejido geht in den Export. Davon 70 Prozent nach Deutschland. Heißt: von rund 1,3 Millionen Tonnen Gemüse jährlich wandern über 600.000 Tonnen Gurken, Auberginen und Tomaten in deutsche Supermarktregale. Alleine aus El Ejido.
Plastikbahnen in der spanischen Provinz Almeria, die den ganzjährigen Gemüseanbau ermöglichen
Plastikbahnen in der spanischen Provinz Almeria, die den ganzjährigen Gemüseanbau ermöglichen© Daniel Sulzmann
Kaum ein Fleck rund um die Stadt ist nicht bedeckt mit Treibhäusern. Die kleinen Familienbetriebe wie der von Xavier sind das Rückgrat der Obst- und Gemüseerzeugung hier in der Provinz Almeria. Das zeigt sich auch in einer interessanten politischen Abweichung: während der Rest Andalusiens normalerweise wie in Stein gemeißelt die sozialistische Partei wählt – die in Andalusien seit dem Ende der Franco-Diktatur regiert, ist das in Almeria anders. Selbst jetzt, bei den am Sonntag vorgezogenen Neuwahlen, die für die Partido Popular, also die in Madrid regierende konservative Partei von Ministerpräsident Mariano Rajoy ein Desaster in Andalusien geworden ist – die Partei verliert 17 von 50 Abgeordnetenplätzen – ist die einzige Provinz, die die Konservativen immer noch beherrschen, Almeria.
Der Rest der autonomen Gemeinschaft ist auch in diesem Wahlgang wieder mehrheitlich bei den Sozialisten gelandet. Sie sind wieder stärkste Partei geworden und haben jetzt den Regierungsauftrag. Die vorherige Ministerpräsidentin Susana Diaz, wird wohl auch die neue Ministerpräsidentin werden. Jose Maria, 35, selbst Gemüsebauer, hat sein Gewächshaus ein paar hundert Meter von dem von Xavier. Seit zwei Jahren hat er von seinem Vater das Geschäft übernommen. Er sagt das, was viele in El Ejido und Umgebung über die Sozialisten denken, klar, sagt er, wir wählen sie nicht, dann tun sie auch nichts für uns. Die Recyclingfabrik, die aus den Pflanzenresten Dünger machen sollte, haben die Behörden jetzt erst mal geschlossen:
"Hier in Andalusien richtet die sozialistische Partei großen Schaden an. Sie sagen immer zu Dir, es dauert noch, oder wir richten es nach dem Ende des Wahlkampfes. Aber das Müllproblem für uns Bauern muss gelöst werden, wenn Du mir einen Ort sagst, zu dem ich meine Abfälle bringen soll, mache ich das. Ich will das Zeug ja nicht irgendwohin in die Landschaft werfen."
Jose Maria ist durch und durch überzeugt von seiner Arbeit als Gemüsebauer in El Ejido. Und er steht für einen Bewusstseinswandel, vielleicht sogar für einen Generationenwechsel.
"Vor zehn Jahren ungefähr hat das hier mit dem Systemwechsel angefangen. Wir produzieren seitdem integriert, nicht ökologisch. Aber wir setzen z.B. Raubmilben ein, die die Schadinsekten fressen."
Dicke Staubschicht auf der Flasche mit Insektizid
Als wir in den Raum kommen, wo die Düngung und die Versorgung der Pflanzen mit Nährstoffen und Wasser computergesteuert vor sich geht, hält Jose Gabriel, sein Freund, eine Literflasche aus weißem Plastik mit einem Insektizid eines deutschen Pflanzenschutzmittelherstellers hoch. Auf dem Flaschenhals eine dicke Staubschicht.
"Schau hier, die Giftflasche, immer noch total voll. Und sie ist schon sechs Jahre alt. Ich glaube wir werden sie so wie sie ist eines Tages wegwerfen."
Zusammen mit Jose Gabriel führt mich Jose Maria durch seine Anlage. Überall hängen viereckige gelbe Blätter aus Papier und Kunststoff, die sich bei genauem Hinsehen als Fliegenfallen entpuppen. Alles sauber und modern. Auf dem Sandboden sieht man dunkle Streifen, aus dunklen schmalen Plastikschläuchen quillt Wasser auf den Boden. Die beiden sind stolz auf ihre sparsame Tröpfchenbewässerung:
"Die ganze eigentlich nicht sehr komplizierte Konstruktion hilft uns enorm viel Wasser zu sparen, die Pflanze kriegt genau das, was sie braucht, nicht mehr und nicht weniger und das mit so einer im Grunde ziemlich simplen und einfachen Konstruktion."
Das Wasser. Immer war es hier ein Thema. Und während der Regen an diesem Tag sanft auf die Dächer der Gewächshäuser trommelt, sind Jose Gabriel und Jose Maria ganz in ihrem Element und das fast wörtlich:
"Na ja, das Regenwasser bezahlen wir natürlich nicht, das kommt ja vom Himmel. Aber das andere schon, das bezahlen wir pro Kubikmeter, ich kann Dir nicht genau sagen, wie viel da müsste ich nachschauen, aber das wird genau nach Kubikmeter abgerechnet."
Die Gemüsebauern Jose Gabriel (r.) und Jose Maria
Die Gemüsebauern Jose Gabriel (r.) und Jose Maria© Daniel Sulzmann
Man merkt den beiden an, dass sie sich als moderne Gemüsebauern verstehen, die alle Regeln einhalten wollen. Zumindest bei der Produktion. Der Wasserverbrauch werde von einem gemeinsamen Gremium der Produzenten genau festgelegt. Jose Maria hat außerdem draußen wie viele andere ein vier Meter tiefes Becken angelegt, in dem er 1,2 Millionen Liter Regenwasser sammeln kann. Das reicht natürlich nicht ganz für die Produktion, aber Wasser verschwenden, so wie in anderen Teilen Spaniens, das kann sich hier schon aus Kostengründen keiner mehr leisten, beteuern die beiden. Überhaupt verlangen die modernen Marktmechanismen totale Überwachung, erklärt Jose Maria in dem kleinen Raum in dem neben drei großen halbdurchsichtigen Fässern mit flüssigem Dünger auch der Steuercomputer für seine Anlage steht:
"Beispielsweise könnte ein Supermarkt jemanden haben, der per Satellit schaut, wo mein Betrieb ist und sie schauen genau, was ich produzieren kann, totale Rückverfolgbarkeit, mit meinem Unternehmen, meinem Namen, meiner Identität. Und in Deutschland weiß der Supermarkt genau wer ich bin, wenn etwas schlecht läuft, dann steht hier gleich jemand auf der Matte."
Regeln einhalten. Als ich die beiden frage, wie das denn mit den Arbeitsmigranten so laufe, versichern sie mir, sie würden immer korrekt bezahlen, schon weil ihnen die Strafen zu hoch seien. Doch der Versuch mit solchen Arbeitsmigranten ins Gespräch zu kommen, scheitert schon auf der Hauptstraße in El Ejido. Dass in der Stadt Tausende von Tagelöhnern leben, ist bekannt. Die Ernte, Pflanz- und Säharbeiten könnten die Bauern gar nicht alleine ausführen. Doch reden will eigentlich niemand über das Phänomen. Gibt man auf der Straße nach ein paar einführenden netten Worten zu erkennen, dass man deutscher Radiojournalist ist, laufen alle weg. Und das wörtlich. Sie laufen weg, rennen fast.
Landarbeiter scheuen Interviews mit Journalisten
Ein Mann aus Gambia ist erst sehr höflich und freundlich, als ich ihm verrate, dass ich einen Bericht über El Ejido machen möchte und auch etwas zu den Lebensbedingungen der Migranten wissen will, da rennt auch er weg. Medien und die Welt der Arbeiter in den Gewächshäusern, das scheint sich noch nicht zu vertragen. Das Büro der Landarbeitergewerkschaft in El Ejido hat an diesem Tag geschlossen, also rufe ich die Vertretung der Gewerkschaft in Almeria an. Abdel Kader arbeitet dort schon seit zehn Jahren, ist selbst einst ohne Papiere ins Land gekommen und er möchte nicht bestätigen, was mir Jose Gabriel und Jose Maria, Xavier und die anderen Gemüsebauern versichert haben: dass es inzwischen üblich sei die Landarbeiter ordentlich zu entlohnen und die Verträge einzuhalten:
"Wissen Sie, hier kommen ja jeden Tag Leute her, um sich über ihren Chef zu beschweren, wir haben hier immer wieder Fälle, wo nur zehn Tagen Arbeit oder fünf ordentlich angemeldet werden und wenn Du mehr Arbeit haben willst, musst du als Arbeiter noch die Beiträge selbst mitbringen, d.h sie bezahlen der Firma das Geld, das diese an die Sozialversicherung entrichten muss. Das ist die eine Seite und die andere Seite ist, dass sie gerade mal bezahlen wie sie wollen, nämlich 30, 35 oder 25 Euro am Tag."
Schwarz natürlich, denn der Tarifvertrag sieht eigentlich 46 Euro täglich plus Sozial-versicherungsbeiträge vor. Das macht für die Produzenten dann am Ende ca. 60 Euro täglich pro Arbeiter. Schwarz ist es eben nur die Hälfte. Immerhin bestätigt Ab-del Kader, dass es meist größere Unternehmen sind, die hunderte von Landarbeiter beschäftigen, die sich Schwarzarbeiter leisten. Auch die These, dass viele Arbeitsmigranten wegen der Krise durch Spanier ersetzt worden seien, will Abdel Kader nicht teilen. Er sieht es ganz anders:
"Nein, die Mehrheit der Leute in den Treibhäusern sind immer noch Migranten. Weil die eben auch unter dem Tarifvertrag arbeiten, wenn die Leute Spanier einstellen würden, würden die ja auch ordnungsgemäße Versicherung und Bezahlung verlangen. Nur die Vorarbeiter sind in der Regel Spanier, es gibt nur wenige Vorarbeiter, die selbst Migranten sind und die werden üblicherweise auch nicht so respektiert."
Die Margen für die Produzenten sinken
Vielleicht ist das der Schlüssel zum Verständnis von Landwirten wie Jose Gabriel oder Jose Maria. Sie sind ihre eigenen Vorarbeiter, machen eigentlich alles mit den Familienangehörigen und stellen höchstens mal einen oder zwei Landarbeiter ein, je nach Arbeitsanfall. Etwas anderes können sie sich gar nicht mehr leisten sagen sie und mit ihrem gebrauchen Peugeot und in ihren schmutzigen Hosen, die die körperliche Arbeit deutlich zeigen, sehen sie nicht aus wie neureiche Millionäre aus dem Gemüsegeschäft. Denn die Margen für die Produzenten sinken. Das El Dorado, das El Ejido einmal war, gibt es nicht mehr, da sind sich in der Stadt alle einig. Und Jose Maria macht folgende Rechnung auf:
"Die letzten Gurken, die wir hier geerntet haben, sind für 70-80 Cent das Kilo verkauft worden, und ein Kilo zu produzieren kostet uns ja schon fast 70 Cent. Wir machen an einem Kilo Gurken gerade mal 7-8 Cent Gewinn, höchstens 10 Cent."
Wer die Schuld hat an dieser Entwicklung, will ich wissen? Schließlich sind die beiden Joses Mitglieder einer Kooperative, haben feste Verträge mit deutschen Handelsketten. Jose Maria will sich nicht festlegen:
"Wegen all dieser Geschichten gibt es im Moment keine wirklich rentablen Gewächshäuser. Die Leute schieben sich gegenseitig die Schuld zu, die einen beschuldigen die Handelsketten, die anderen die Zwischenhändler , ich weiß es nicht. Aber irgendeine Lösung muss es am Ende geben."
Doch bis dahin lässt sich Jose Maria seinen Optimismus nicht nehmen. Immerhin ist seine Familie schon lange im Gemüsegeschäft, hat Höhen und Tiefen erlebt. Der EHEC-Schock wegen angeblicher verseuchter Gurken aus Spanien, selbst den haben Jose Maria und die anderen überlebt. Ihn kann so leicht nichts mehr erschüttern. Es ist vielleicht eine Typfrage, aber El Ejido ist sein Leben sagt er, er kann sich gar nichts anderes vorstellen als hier Gemüse zu produzieren. Er ist stolz auf seine Arbeit und vielleicht bewahrt er sich deshalb trotz sinkender Gewinnmargen, immer höherer Standards und Anforderungen der Handelsketten an die Produzenten seinen Humor:
"In diesem Jahr werde ich wohl nichts verdienen, aber es gab Jahre hier wo wir Geld verdient haben. Also, was mache ich? Ich gehe zur Bank und beantrage einen Kredit. Wir machen hier immer weiter, wir sind wie Kugeln, die rollen ja auch immer weiter? Nicht wahr?" (Lacht laut)
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