Pest in Madagaskar

Kein Anlass zur Sorge in Europa

Wissenschaftler in einem Seuchenlabor in China.
Trotz der hohen Ansteckungsgefahr - Europa muss sich wohl nicht vor einer Pestepidemie fürchten. © Imaginechina
Klaus Bergdolt im Gespräch mit Dieter Kassel · 13.10.2017
Seit in Madagaskar 50 Menschen an der Pest gestorben sind, macht sich eine diffuse Angst vor der Krankheit breit, die lange als ausgestorben galt. Der Medizinhistoriker Klaus Bergdolt gibt Entwarnung, denn mit Antibiotika gelingt eine Behandlung leicht.
"Pest- Alarm im Urlaubsparadies" oder "Die Pest ist zurück" lauteten einige der reißerischen Überschriften, die die Berichterstattung über den Ausbruch der Seuche in Madagaskar begleiten. Rund 50 Menschen starben bislang in dem Inselstaat im Indischen Ozean an der Beulen- und Lungenpest, etwa 500 weitere Patienten sind erkrankt. Dennoch kein Anlass, um in Europa vor einem Ausbruch der Krankheit besorgt zu sein, sagte der Medizinhistoriker Klaus Bergdolt im Deutschlandfunk Kultur.

Antibiotika helfen schnell

Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass eine erkrankte Person in Deutschland einträfe, könnte sie im Krankenhaus mit Antibiotika schnell behandelt werden. "Das Problem mit der Pest ist, in welchen Mengen sie auftritt", sagte Bergdolt. Im Fall eines Einsatzes von Pesterregern durch Terroristen sei es eine ganz andere Situation, weil man in kürzester Zeit eine riesige Menge an Menschen mit Antibiotika versorgen müsste. "Das ist natürlich eine extreme Variante der Möglichkeiten", sagte der Medizinhistoriker. "Ich würde sagen, wir sollten uns im Moment nicht so viel Angst machen." (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Auf Madagaskar hat es einen Ausbruch zuerst der Beulenpest und jetzt auch der Lungenpest gegeben. Das ist schrecklich für die betroffenen Menschen. 50 Menschen sind auf Madagaskar schon gestorben, ungefähr zehnmal so viele haben sich inzwischen infiziert. Dennoch ist es etwas irrational, wie darauf auch in Europa und in Deutschland reagiert wird: Es ist zum einen unwahrscheinlich, dass die Pest aus Madagaskar hier eingeschleppt wird. Es gibt nicht mal direkte Flüge von Madagaskar nach Europa. Es wäre im Zweifelsfall aber auch keineswegs die Rückkehr des Schwarzen Todes aus dem Mittelalter.
Und doch: viele Leute beunruhigt das, und selbst eine Antiterrorübung der Berliner Sicherheitsbehörden in dieser Woche, bei der zufällig tatsächlich auch ein Anschlag mit Lungenpesterregern dargestellt wurde, hat die Gemüter viel, viel mehr bewegt als andere Antiterrorübungen, die anderen Szenarien folgten. Woher kommt immer noch diese Angst vor der Pest, diese oft auch irrationale Angst. Darüber wollen wir jetzt sprechen, und zwar mit Klaus Bergdolt. Er war viele, viele Jahre der Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Köln und ist unter anderem Autor des Standardwerks "Die Pest: Geschichte des Schwarzen Todes". Herr Bergdolt, schönen guten Morgen!
Klaus Bergdolt: Guten Morgen!
Kassel: Nehmen wir an, es würde sich wirklich mitten in Deutschland jemand mit der Pest infizieren. Was würde das realistischer Weise bedeuten?
Bergdolt: Logischerweise würde der Betroffene einfach in das nächste Krankenhaus gehen oder zum nächsten Arzt, und der würde hoffentlich logisch so reagieren, dass er ihm einfach Antibiotika verschreibt, und zwar in großer Menge, und damit wäre die Pest im Vorfeld besiegt. Das Problem bei der Pest ist, in welchen Mengen sie auftritt.
Wenn zum Beispiel über bakteriologische Waffen Pesterreger verteilt würden, dann wäre das natürlich eine ganz andere Situation, weil wir dann überlegen müssten, wie man in kürzester Zeit einer riesigen Menge von Menschen Antibiotika geben könnte, wie man sie versorgen könnte, und das ist das eigentliche Problem. Aber wie ich das jetzt mitbekommen habe mit Madagaskar – Sie haben es gerade angesprochen –, ist das eigentlich kein Anlass, bei uns hier in Europa beunruhigt zu sein.

Pesterreger hat sich abgeschwächt

Kassel: Das heißt doch, Sie halten die Wahrscheinlichkeit … Ich habe gesagt, es gibt tatsächlich keine direkten Flüge von Madagaskar nach Europa, nicht mal nach Paris, aber man könnte natürlich irgendwie schon aus Antananarivo hierher kommen mit Umsteigen in afrikanischen Ländern. Sie gehen aber davon aus, wenn jemand irgendwo in Deutschland landet und infiziert ist, würde man das relativ schnell merken.
Bergdolt: Ja, dann würde man das sicher schnell merken, zumal ja auch gefragt würde, wo kommt, wo war der Patient in den letzten Tagen oder Wochen. Das Problem ist, wie gesagt, die Masse, und Ihre Frage nach der Irrationalität ist damit eng verbunden. Man darf das Problem natürlich nicht unterschätzen. Wenn in einer Großstadt sowas ausbricht und sich schnell ausbreitet als Lungenpest, dann ist das natürlich schon ein Problem. Trotzdem wissen wir auch aus der Erfahrung der letzten Jahrzehnte – ich denke etwa an die indische Stadt Surat 1994, aber auch an Pestseuchen, die etwas vorher stattgefunden haben –, dass der Pesterreger im Vergleich zum Mittelalter sich in den letzten Jahrhunderten etwas abgeschwächt hat.
Das ist ein altes Seuchengesetz: eine Seuche, sage ich mal allgemein, wird schwächer, weniger aggressiv, sie wird aber dummerweise ersetzt durch eine andere, durch eine Virusseuche zum Beispiel, und das ist genau das Problem. Also wir können leider in der Medizin nicht sagen, wie man das vor 100 Jahren noch angenommen hat, irgendwann werden Infektionskrankheiten besiegt sein. Das wird uns immer wieder bekümmern, und es wird immer wieder zu Opfern kommen und immer wieder zu Seuchen kommen. Die Frage ist, wie schnell reagieren die Behörden, und wie groß ist die Zahl der Betroffenen.
Kassel: Aber nachdem, was Sie gerade über den Pesterreger gesagt haben, wäre es dann nicht berechtigt, wenn man sich schon Sorgen machen will und über so etwas nachdenkt, sich Sorgen darüber zu machen, dass es zum Beispiel einen Anschlag mit einem Ebolaerreger geben könnte oder dass der eingeschleppt wird oder irgendwelche Seuchen, die Laien den Namen nach nicht mal kennen?
Bergdolt: Na ja, gut, wenn böse Menschen, sagen wir mal vom Hubschrauber aus oder vom Flugzeug aus über eine Großstadt Ebolaerreger runterlassen und runterschicken, dann ist das natürlich schon eine Situation, die sehr ernst ist. Aber wenn jetzt, wie gesagt, Pestkranke mit dem Flugzeug nach Deutschland kämen, dann hätten die deutschen Gesundheitsbehörden das wohl sehr schnell im Griff. Das ist der Unterschied.
Hinweise warnen vor der Pest an einem Checkpoint in Madagaskar, an dem Ärzte die Bevölkerung informieren und mögliche Infizierte entdecken wollen
Mit solchen Tafeln wird die Bevölkerung in Madagaskar über die Pest informiert und mit Verhaltensregeln beraten. © AFP / Rijasolo

Schwierige Kontrolle der Waffenarsenale

Kassel: Aber es müsste ja auch, wenn wir bei der Pest bleiben, erst mal jemand den Erreger haben und ihn selber so kontrolliert haben, damit er einen Seuchenanschlag durchführen könnte. Ist das nicht relativ aufwendig?
Bergdolt: Na ja, es gibt die berühmten ABC-Waffen, und die wurden zwar offiziell abgeschafft. Aber es ist so, wir können die Waffenarsenale von bestimmten Ländern einfach nicht kontrollieren oder überblicken, und theoretisch ist es schon möglich, dass Pesterreger da gehortet werden für den Fall X oder für die Stunde X, und das ist natürlich schon sehr beunruhigend. Ich glaube nicht, dass es heute Regierende in der Welt gibt, die sowas anwenden würden, die ernsthaft daran denken würden. Ich glaube auch nicht in Nordkorea, aber ist natürlich so, wenn die falschen Leute darankommen, Terroristen, dann ist das schon natürlich ein Problem, aber da können wir im Moment natürlich nur spekulieren.
Aber das ist natürlich auch eine extreme Variante der Möglichkeiten. Ich würde sagen, wir sollten im Moment uns nicht so viel Angst machen. Real ist ja, eine reale Möglichkeit ist, dass jemand aus Madagaskar, aus Afrika einfliegt und die Pest mitbringt, und das hätten wir in Deutschland sicher in kürzester Zeit im Griff.
Kassel: Warum ist es – Sie haben das indirekt vorhin zwar schon gesagt, aber mir geht trotzdem die Frage durch den Kopf –, warum ist es nicht möglich – es gibt ja auch nicht die Pest, es gibt verschiedene Arten –, aber warum ist es nicht möglich, diese Erreger alle wirklich völlig zu vernichten und sozusagen die Pest auszurotten?
Bergdolt: Die Pest kann sich auch über Tiere weiter fortsetzen, und es ist schon extrem … Die Frage wäre natürlich, warum können wir einfach Infektionskrankheiten nicht ausrotten. Das ist eigentlich das, was Sie indirekt damit fragen. Das ist sehr, sehr schwierig, weil diese Erreger sich auch anpassen, und es gibt dann verschiedene Mutierungen, und wenn der eine tatsächlich antiobiotisch und durch sonst irgendeine Weise in den Griff bekommen wird, dann gibt es eine kleine Variante, die seinen Platz einnimmt.
Das ist das Problem, und das beschäftigt die Bakteriologen und die Infektologen natürlich ungemein. Also es ist dummerweise so, wenn ich antibiotisch einen Erreger ausradiere und beseitige und das im großen Plan mache unter der Bevölkerung, dann gibt es dummerweise Platz für andere Erreger, die verwandt sind und genau seine Stelle einnehmen. Dann muss man wieder neue Antibiotika entwickeln. Das ist das Kernproblem, aber im Moment ist es so, dass bei der Pest wir dieses Problem gut im Griff haben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Klaus Bergdolt: Die Pest
Geschichte des schwarzen Todes, Beck-Verlag, 8,95 Euro.

Mehr zum Thema