Pernille Christensen über ihren Film "Astrid"

Astrid Lindgrens erste Schritte ins moderne Leben

Die junge Astrid Lindgren hält ihren Sohn im Arm und blickt aus einem Fenster.
Mit "Astrid" möchte Regisseurin Pernille Christensen dem Publikum die junge Astrid Lindgren näherbringen. © DCM
Pernille Christensen im Gespräch mit Susanne Burg · 01.12.2018
Ein neuer Film über Astrid Lindgren zeigt die bekannteste Kinderbuchautorin der Welt von einer eher unbekannten Seite, an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Diese Jahre haben die Autorin am meisten geprägt, sagt Regisseurin Pernille Christensen.
Astrid Lindgren ist sicherlich die bekannteste Kinderbuchautorin der Welt. Jetzt kommt mit "Astrid" ein Biopic über sie in die Kinos, in dem man die Schriftstellerin von einer ganz neuen Seite kennenlernen kann: Regisseurin Penille Fischer Christensen erzählt darin drei Jahre aus Lindgrens Leben an der Schwelle zum Erwachsenwerden, als sie sich um ein Volontariat bei einer Lokalzeitung bewirbt und sich prompt in den Chefredakteur verliebt.
Unsere Filmredakteurin Susanne Burg hat mit der Regisseurin gesprochen:
Susanne Burg: Frau Christensen, wie war Ihre Beziehung zu Astrid Lindgren, bervor Sie an der Arbeit mit Film begonnen haben
Pernille Fischer Christensen: Ich bin Dänin und in Kopenhagen aufgewachsen. Meine Eltern waren sehr jung, als ich geboren wurde. Mein Vater war Arzt und hatte Schwierigkeiten in Dänemark eine Arbeit zu bekommen. Deswegen hat er im Sommer in Krankenhäusern in Südschweden gearbeitet. Wir sind mitgegangen und haben in einem kleinen Haus auf dem Land gewohnt, in Småland. Das war in den 70ern.
Pernille Christensen stützt den Kopf auf ihre Hände und blickt in die Kamera.
Zu Gast im Gespräch: die Regisseurin Pernille Christensen© DCM
Meine Mutter liebte Astrid Lindgren und hat mir immer aus den Büchern vorgelesen, in der Umgebung also, in der die Bücher entstanden sind. Astrid Lindgren hat mich mit den ersten großen Themen des Lebens konfrontiert, mit Geschwisterliebe, Liebe zu den Eltern, Tod, Verantwortung, wie ich als Mädchen sein möchte. Pipi ist für mich eine der größten Freiheitsikonen überhaupt. Astrid Lindgren hat mir also eine Menge bedeutet.
Susanne Burg: Sie konzentrieren sich in Ihrem Film auf drei Jahre im Leben von Astrid Lindgren, und zwar auf die Zeit, als sie noch zu Hause wohnt und dann im Alter von 18 Jahren unehelich schwanger wird. Warum gerade diese Zeitspanne?
Pernille Fischer Christensen: Mir kam die Idee zu dem Film, als ich vor sechs Jahren in einer Zeitung ein Foto von ihr gesehen habe. Es war eine Rezension eines Buchs über Astrid Lindgren. Ein Foto im Buch zeigt, wie sie ihren jungen Sohn im Arm hält. Und als ich las, dachte ich: Wow, das ist nicht die Astrid, die ich mir in meiner Kindheit vorgestellt habe.
Pippi Langstrumpf eingehüllt in einen blauen Schal.
"Eine der größten Freiheitsikonen überhaupt": Astrid Lindgrens berühmteste Figur Pippi Langstrumpf.© imago
Ich arbeite viel mit meinem Mann zusammen, er ist auch ein bekannter Kinderbuchautor in Dänemark und hatte ebenfalls Interesse an Astrid Lindgren. Wir haben angefangen zu recherchieren und festgestellt: Für uns sind es diese drei Jahre, die sie geprägt und ihre Themen in ihren Büchern bestimmt haben, Themen wie Liebe für Kinder und Verantwortung.

Eine Frau mit kurzen Haaren - damals ein Skandal

Susanne Burg: Ein wichtiger Aspekt im Film ist auch, wie sie sich als junge Frau in ihrer restriktiven Umgebung verhält. Es sind die 20er-Jahre, die ja an vielen Orten auch neue Freiheiten für Frauen mit sich gebracht haben. Wie würden Sie beschreiben, wie Astrid Lindgren ihren Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung mit den Restriktionen zu vereinbaren versucht?
Pernille Fischer Christensen: Die 20er-Jahre sind wirklich interessant. In vielen Ländern wird das Frauenwahlrecht eingeführt. Frauen dürfen ihr eigenes Geld besitzen, am Arbeitsmarkt teilhaben. Es gibt also viel Freiheit für Frauen.
Die schwedische Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren in ihrem Landhaus in Furusund in Schweden im Sommer 1987.
Die schwedische Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren© picture alliance / dpa / Jörg Schmitt
Aber: Astrid wohnt auf dem Land, in einer bäuerlichen Umgebung. Ihre Familie hat das Essen noch selbst angebaut. Ihr Vater war Pfarrhofpächter, ihre Mutter war tief religiös. Astrid hat damals ein sehr konservatives und sehr modernes Leben geführt. Und wir versuchen zu zeigen, dass sie selbst diesen Schritt in das moderne Leben unternommen hat. Sie war die erste Frau, die sich in ihrem Dorf die Haare abgeschnitten hat. Das war im Dorf ein Riesenskandal.

"Die Kinder in ihren Büchern sind Kämpfer"

Susanne Burg: Astrid war auch die erste in ihrer Familie, die anfing, in der Stadt zu arbeiten, 1924 als Volontärin bei der Zeitung Vimmerby Tidning. Und sie beginnt dort eine Affäre mit dem 30 Jahre älteren und noch verheirateten Chefredakteur und wird schwanger. Sie lässt sich darauf ein, ihr Kind zu einer Pflegemutter nach Dänemark zu bringen bis der Mann seine Ehe geschieden hat. Ist sie optimistisch oder naiv?
Pernille Fischer Christensen: Vielleicht beides. Naiv, weil sie glaubt, alles hinbiegen zu können. Auch das Leben des Mannes.
Susanne Burg: Es gibt ja auch viel potentielles Drama, dass ihr Herz gebrochen wird dadurch, dass sie ihren Sohn für eine Zeit abgibt. Die Stärke Ihres Filmes liegt darin, dass er emotional ist, ohne jemals melodramatisch zu werden. Ist das auch dem Anspruch geschuldet, ihr als starker Frau gerecht zu werden?
Pernille Fischer Christensen: Ja, wir bemitleiden sie nicht im Film. Und sie bemitleidet sich selbst nicht, auch wenn sie Grund dafür gehabt hätte. Das zeichnet sie aus. Auch die Kinder in ihren Büchern sind Kämpfer. In "Michel aus Lönneberga" geht Emil in den Schneesturm und fährt Alfred zum Arzt. Niemand sonst traut sich das. In "Mio, mein Mio" sticht Mio den bösesten Menschen in der Geschichte mit dem Schwert ins Herz und befreit ihn vom Bösen. Astrid Lindgrens Kinder beschweren sich nie. Sie handeln.
Filmszene aus der Verfilmung Ronja Räubertochter: Die Titelfigur blickt ernst nach oben.
Die Kinder beschweren sich nicht, sie handeln: So auch Astrid Lindgrens "Ronja Räubertochter"© imago/United Archive
Susanne Burg: Wie würden Sie beschreiben, wie sich das Verhältnis von Astrid Lindgren zu ihren Eltern im Film entwickelt? Inwieweit öffnen sie sich? Am Anfang scheint ja die Religion wichtiger zu sein als das Wohlbefinden ihrer Tochter.
Pernille Fischer Christensen: Es hat besonders viel Spaß gemacht, im Film das Verhältnis von Astrid zu ihrer Mutter zu beleuchten. Denn die Mutter hätte auch leicht sehr strikt und böse geraten können. Uns hat interessiert, wie geht man als Großeltern damit um, wenn plötzlich ganz real ein kleines Wesen in der Welt ist. Das ist größer als jede Religion und was die Nachbarn sagen. Es ist Leben und man muss es akzeptieren. Ich will nicht zu viel verraten, aber ich bin der Meinung, die Mutter wird am Ende zu einer wahren Christin.

Der Klang der Seen

Susanne Burg: Wir haben eingangs über Småland geredet, und es gibt ja so viele Bilder der Landschaft, die so typisch sind für Astrid Lindgrens Geschichten. Wie wollten Sie, dass die schwedische Landschaft bei Ihnen im Film aussieht?
Pernille Fischer Christensen: Das war superwichtig. Wir haben nicht eine Szene in Småland gedreht, sondern in anderen Teilen Schwedens, aus finanziellen Gründen. Aber ich weiß genau, wie Småland aussieht, denn es ist ja auch die Landschaft meiner Kindheit. Und daher haben wir viel Zeit und Energie investiert, dass die Landschaft richtig aussieht.
Susanne Burg: Was bedeutet "richtig"?
Pernille Fischer Christensen: Andere Teile von Schweden sind felsig und hügelig. Småland ist eine Mischung aus Wald und sanfter Erde und vielen Seen. Und für mich ist es auch der Klang der Seen. Squab, squab, squab. Und es ist deswegen wichtig, weil Astrid das Land verlässt und nach Stockholm zieht. Die Landschaft, die sie verlässt, ist fest in ihr verankert.

Lindgrens weltweiter Einfluss

Susanne Burg: Wie wir schon besprochen haben: Sie konzentrieren sich auf die drei Jahre Ihres Erwachsenwerdens. Aber sie umrahmen den Film mit Bildern der alten Astrid Lindgren, wie sie Briefe von Kindern liest. Sie zeigen sie nur von hinten. Warum?
Pernille Fischer Christensen: Wir haben viel darüber diskutiert. Die Geldgeber wollten, dass wir am Ende sagen, dass Astrid Millionen von Büchern verkauft hat, um ihre Bedeutung aufzuzeigen. Ich habe geantwortet: Darin liegt für mich nicht ihre Bedeutung. Das sind nur Zahlen und ist rein kapitalistisch gedacht.
Für mich ist es der Einfluss, den sie mit ihren Büchern auf Kinder hat, den sie auf mich hatte. Dass sie mir etwas erzählt hat, dass mich als Menschen mitgeformt hat, dass mich geprägt hat. Ihre Bedeutung liegt für mich darin, dass sie mich berührt hat und so viele Kinder in der ganzen Welt. Wir haben uns gefragt, wie wir das in den Film aufnehmen können. Und daher haben wir uns für den Rahmen mit den Briefen entschieden. Die Liebe ihr gegenüber sollte den Film umrahmen.
Mehr zum Thema