Permanente Provokation durch das Publikum

Von Susanne Burkhardt · 15.11.2006
Neben dem Gripstheater im Westen ist das Theater an der Parkaue im Ostteil Berlins als Kinder- und Jugendtheater überregional bekannt. Dessen Regisseur, Oberspielleiter und stellvertretender Intendant Sascha Bunge liebt die Herausforderung Kindertheater, weil das junge Publikum eine "ständige Provokation" für die Schauspieler darstellt, die immerzu auf die Zurufe der Kinder reagieren müssen.
Angespannte Atmosphäre kurz vor der Premiere. Schauspielerin Elisabeth Heckel - die Gerda in der "Schneekönigin" - will wissen, warum sie Kai genau jetzt anfassen muss.

Bunge: "Warum - ?"
Gerda: "Weil es der Regisseur so will..."
Bunge: "Der hat in die Suppe gespuckt, der macht die Rose kaputt, - der beleidigt die Großmutter - und dann fragst du warum? Dann kannste abgehen! Weil der Scheiße baut!"
Nach stundenlangem zähen Probieren der immer gleichen Stelle wird Sascha Bunge bei überflüssigen Fragen schon mal ungeduldig. Die dunkle Wollmütze auf dem Kopf des 37-Jährigen verdeckt das ungeschnittene Haar. Keine Zeit, die gewohnte Glatze ordentlich zu rasieren. Das Leben ist derzeit ein Leben mit Kai und Gerda und all den Figuren drum herum.

Sascha Bunge: "Die Schneekönigin ist ein Stück, in dem man beschreiben kann, wie soziale Erfahrungen jemanden weiterbringen. Ich finde einen ganz entscheidenden Punkt, den man vermitteln kann, ist: den eigenen Egoismus zuzulassen und soweit voranzutreiben, bis die Gesellschaft einem Grenzen setzt, bis das eigene Einsamkeitspotential auch ausgereizt ist."

Probe: "Wen die Schneekönigin küßt, dem erstarrt das Herz und wird zu einem Stück Eis - Kai hat jetzt ein Herz aus Eis - morgen früh wacht er wieder auf und alles ist gut."
Kai: "Morgen wach ich auf, auf in die Welt, mein Glück woanders suchen! Mir ist, als ob ich schon tot wäre. Ich habe eine solche Sehnsucht nach der Ferne und der Schneekönigin. Du kannst das nicht begreifen - mit deinen kleinen Händen!"

Sascha Bunge lässt in seiner "Schneekönigin" den Zuschauer selbst entscheiden, welchen Weg er für den richtigen hält: Vital die Welt zu erobern oder lieber in häuslicher Sicherheit zu verharren. Es ist die sechste Inszenierung einer "Schneekönigin" an diesem Haus. Längst zählt das Märchen von Hans Christian Andersen - hier bearbeitet von Jewgeni Schwarz - zu den Traditionsstücken im Theater an der Parkaue.

Tradition setzt Sascha Bunge allerdings nicht nur mit diesem Stück fort - sondern mit seiner Arbeit am Theater überhaupt. Großvater Hans Bunge war schon Dramaturg am Berliner Ensemble und am Deutschen Theater in Berlin, Vater Wolf Bunge begründete die Magdeburger Freien Kammerspiele. Fast zwangsläufig landete auch der Enkel und Sohn bei den Brettern, die ihm heute die Welt bedeuten.

Sascha Bunge: "Ich bin ein recht kompakter Mann und würde mich als sehr energisch beschreiben. Man kann mich nicht so leicht umhauen, ich bin nicht unbedingt jemand, der gerne zuhaut - aber mache oft den Eindruck als wäre auch das möglich - ich bin eher jemand, der ganz gut einstecken kann. Wenn man es sportlich beschreiben wollte, wäre ich eher ein Langstreckenläufer als ein Sprinter."

Theater ist die Langstrecke in Bunges Leben, seit seinem Abitur in Ostberlin vor 18 Jahren. Neben dem Studium der Theaterwissenschaften inszenierte er mal mit Off-Theatergruppen, dann in großen deutschen Häusern in Rostock, Aachen oder Dresden sowie in Rumänien. Irgendwann sicherte die Leidenschaft für das Theater auch den Lebensunterhalt. Und irgendwann war dieses Theater eben ein Kinder- und Jugendtheater.

Sascha Bunge: "Die Zuschauer durchbrechen sofort die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum - da kann man sich noch so bemühen - es gibt immer eine Interaktion, die ist automatisch da. Ob die darin besteht, dass Kinder und Jugendliche sofort bewerten, was sie sehen, oder sogar eingreifen, eingreifen wollen - die Schauspieler haben eine andere Verpflichtung, auf das was von den Zuschauern zurückkommt, zu reagieren, das zu benutzen, damit umzugehen. Das ist der entscheidende Unterschied."

Von der Arbeit Sascha Bunges profitiert auch sein zehnjähriger Sohn Valentin, der auf Plakaten für das Theater an der Parkaue wirbt.

Sascha Bunge: "Mich reizt diese Form der permanenten Provokation durch das Publikum sehr. Die Chance, einem noch nicht so geprägten Publikum was mitzugeben - also auch eine ästhetische Palette anzubieten - das ist ja ein Gräuel, wie in Schulen ästhetische Bildung vernachlässigt wird, wie fixiert junge Menschen werden auf tradierte Formen der Unterhaltung sind - da haben wir eine große Chance das aufzubrechen.... Menschen müssen ackern, müssen auf die Schnauze fliegen und das ist das Sympathische letztendlich: Das schafft Sympathie, wenn jemand fünfzehn Mal gegen die Wand rennt und es mit blutender Nase ein 16. Mal probiert und dann vielleicht entdeckt, es ist eine Tür drin! Und dann werden die Figuren sympathisch."

Sascha Bunge ist einer, der gleich die Türen sucht und sich nicht an der Wand abarbeitet. Kein Harmonisierer, sondern streitbar und mit jener Grundspannung versehen, die man beim Theater nun mal braucht.

"Deswegen sind mir Kollegen, die mit einer hohen Aggressivität auf eine Probe gehen und auch mal über die Strenge schlagen, die liebsten, weil daraus man auch Angebote erkennen kann, mit denen man weiterarbeiten kann, als Regisseur. Das ist glaube ich das, was ich mir am meisten wünsche, dass die Vitalität zunimmt und nicht nachlässt in der Arbeit."

Service:
Die nächsten Vorstellungen der "Schneekönigin" im Theater an der Parkaue in Berlin gibt es am Donnerstag, 16.11. um 10.00 Uhr, am Sonntag um 16.00 Uhr und am kommenden Montag und Dienstag jeweils wieder um 10.00 Uhr.