Performances gestern und heute

Von Johannes Halder · 19.03.2012
Die Performance ist ein flüchtiges Medium. Im Moment ihres Entstehens ist sie schon wieder vorbei. Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe wagt dennoch einen Rückblick bis in die 60er-Jahre. Die Ausstellung "Moments" versteht sich selbst als eine Art Performance.
Am Anfang war das Nichts, der leere Raum. Kein schlechter Start für eine Performance. Innerhalb der letzten Tage haben hier zehn Pionierinnen der Performance-Szene unter den Augen des Publikums ein Set installiert mit den historischen Relikten ihrer Arbeiten, mit Konzepten, Regieanweisungen, Fotos und Filmen. Das war die Vorgabe des Kurators Georg Schöllhammer:

"Die Autorinnen dieser Performances erarbeiten mit uns ein Display aus ihren Archiven, die sie mitgebracht haben, wie sie sich vorstellen können, Spuren, die diese Performances in der Zeit hinterlassen haben, auszustellen."

Ein lebendiges Laboratorium ist daraus entstanden: Die Ausstellung als Performance und interaktiver, offener Prozess, und in den kommenden Wochen will man so, in einem turbulenten Erfahrungsaustausch, gemeinsam neue intermediale Ausdrucksformen erproben.

Die Argentinierin Graciela Carnevale etwa hat auf langen Tischen ihr komplettes Archiv ausgebreitet; andere sind hergekommen, um mit dem Publikum Perspektiven zu erarbeiten, wie sich eine Performance reanimieren, wie sich das Gestern in das Heute retten lässt.

Das ist Phase eins im dramaturgischen Drehbuch der Schau: erst mal zeigen, was mal war und was man hat. Simone Forti, inzwischen 77 Jahre alt, mit Wurzeln im Musik- und Tanztheater, hat ein Stück von 1967 noch einmal aufgeführt – "Face Tunes", eine Art Gesichtsmusik, bei der sie Flötentöne als sichtbare Tonspur auf eine laufende Papierrolle überträgt.

Dass es nur Frauen sind, die hier dabei sind, verfälscht zwar die Geschichte, ist aber Konzept. Denn die Performance, so das Argument, war auch eine Befreiung aus der Geschlechterrolle. Marina Abramović, inzwischen gefeierter Altstar der Szene, machte das 1975 zum Thema: die zwanghafte Zurichtung des weiblichen Körpers – in einem Video, das hier zu sehen ist.

Die Künstlerin kämmt sich. Wie besessen fährt sie mit Kamm und Bürste durch ihre schwarze Mähne, strähnt und striegelt sich und steigert sich in einen verzweifelten Wahn, in dem sie immer wieder die gleichen Sätze hervorstößt: "Die Kunst muss schön sein. Die Künstlerin muss schön sein."

Der Klassiker von 1975 ist ein Paradebeispiel dafür, dass die Performance aus dem exklusiven Rahmen des Kunstbetriebs in die Populärkultur hinein gefunden hat, denn inzwischen wird ihre Arbeit sogar in TV-Serien wie "Sex and the City" zitiert.

Dabei war die Performance einst vor allem ein verstörender ästhetischer Akt. Adrian Piper, eine hübsche Farbige aus New York, provozierte damals mit Aktionen zu Fremdenfeindlichkeit, Geschlecht und Rasse.

"Sie hat sich ganz toll angezogen, hat aber die Kleider getränkt mit übel riechenden Flüssigkeiten und hat sich so in den Bus in Manhattan gesetzt, um zu sehen, was denn ein visueller gegen einen olfaktorischen Akt machen kann."

Diese Woche hat jetzt Phase zwei der Schau begonnen, mit einem Schwerpunkt auf der Tanzperformance um den jungen Choreografen Boris Charmatz und verschiedenen Tanztruppen, die sich mit einem dichten Programm ein neues Experimentierfeld erschließen wollen.

"Die interpretieren das jetzt, die machen neue Interpretationen dieses historischen Materials in Zusammenarbeit mit den Autorinnen. Das heißt, es wird freigegeben nicht zur Musealisierung, sondern freigegeben, um in einem neuen Format wieder aktiv zu werden."

Natürlich hat sich die Performance verändert in den fünf Jahrzehnten: schneller, kürzer, mehr Spektakel, mehr Aktion. Aber, sagt Georg Schöllhammer:

"Ach, ich hielte das jetzt schon wieder für einen ziemlich radikalen Akt, Langeweile zu erzeugen. So richtige Langeweile. Aber hier ist es nicht langweilig." (lacht)

Nein, das muss man nicht befürchten. Es geht angeregt und quirlig zu, und die israelische Künstlerin Ruti Sela wird die ganze Schau in einem Film dokumentieren – Phase drei und eine Performance für sich.

In einem letzten, vierten Schritt sollen dann zehn sogenannte Zeugen, die den ganzen Ausstellungsprozess von Anfang an begleiten, noch einmal kreativ darauf reagieren. Es sind Studierende verschiedener Hochschulen, und Sophie Osburg, 21 Jahre alt, ist eine davon:

"Wir haben ja dann die letzten zwei Wochen, wo letztendlich nur noch wir sozusagen hier sind. Und wie die genau dann aussehen werden, also entweder mit dem vorhandenen Material arbeiten und das irgendwie neu interpretieren und, ja, ein neues Ereignis daraus schaffen. Das wird sich in nächster Zeit erst herausstellen."

Nur eines soll nicht passieren, sagt Kurator Georg Schöllhammer: Die Performance soll nicht musealisiert werden. Alles soll so offen bleiben, wie es begann.

"Also wir geben die Performance auch am Schluss wieder zurück genau dorthin, wo sie war. Sie bleibt eine filmische Spur, und sie bleibt in der Erinnerung und in der Arbeit der Zeuginnen präsent."

Service:

Die Ausstellung "Moments - Eine Geschichte der Performance in zehn Akten" ist im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe bis zum 29. April 2012 zu sehen.