Performance "dreams about girls"

Gewalt gegen Frauen, träumerisch umgekehrt

05:16 Minuten
Emilia Galotti (Katja Plodzistaya) wird von ihrem Vater Odoardo Galotti (Ulrich K. Müller) erstochen in dem Stück "Emilia Galotti" von Gotthold Ephraim Lessing.
Muss es denn immer Gewalt gegen Frauen sein, wie hier in "Emilia Galotti"? Nein, es geht auch anders. © picture alliance / dpa / Bernd Wüstneck
Von Sarah Kailuweit  · 11.09.2021
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Gewalt gegen Frauen ist auch im Theater Alltag. Warum müssen weibliche Bühnenfiguren so oft und viel leiden und sollen dabei meist auch noch gut aussehen? Es geht auch anders: Eine Künstlerin sucht in Träumen nach einer Gegenstrategie.
Emilia Galotti hat Angst. Emilia ist eine von vielen: Lucretia wird vergewaltigt, Desdemona erstickt und Gretchen hingerichtet. Gewalt an Frauen auf Theaterbühnen ist normal.
Warum das so ist, erklärt Andrea Zimmermann, Geschlechterforscherin am Zentrum für Gender Studies an der Universität Basel:
"Das ist begründet sicherlich damit, dass die bürgerliche Geschlechterordnung, wo wir die ganzen großen Klassiker ja finden, dass wir da es ganz stark zu tun bekommen mit der Selbstreflexion über Geschlechterverhältnisse im Bürgertum. Dieses Bürgertum hat eben stark diese Geschlechterrollen von Männlichkeit und Weiblichkeit mit sich gebracht, in der Frauen sehr mit Emotionen verbunden werden, die eben beherrscht und unterworfen werden müssen. Und das passiert eben auch gewaltvoll."

Kritische Zugänge zur Gewalt an Frauen

Trotzdem ist es möglich, Klassiker so zu inszenieren, dass Gewalt an Frauen nicht bloß reproduziert, sondern in Frage gestellt wird.
"Es geht ja nicht darum, sozusagen die alten Fragen zu verhandeln, sondern es geht ja immer um den Transfer in die heutigen gesellschaftlichen Zusammenhänge und da auch um die Frage von Geschlechterverhältnissen. Und da ist momentan wirklich viel in Bewegung, würde ich sagen, deswegen entwickeln sich da neue Ausdrucksformen und neue Darstellungsweisen, neue kritische Zugänge dazu."

Träume von Gewalt gegen Männer

Eine neue Ausdrucksform findet auch die Künstlerin Katharina Haverich mit ihrem Projekt "… dreams about girls" in Berlin. Grundlage der "performativen mixed reality Installation" sind gewaltvolle Träume von Frauen gegen Männer.
"Was mich eigentlich wirklich interessiert hat, sind die Nachtträume, weil ich keinen Einfluss darauf habe, was ich träume. Es ist supersauberes Material, auf eine Art."
Haverichs Stück will die andauernde Erzählung frauenfeindlicher Aggression durch eine Umkehrung durchbrechen. Jedoch soll der gewaltvolle Kanon nicht umgedreht weitergesponnen werden, sondern stattdessen alternative Formen von Gewalt und Widerstand eine Bühne bekommen:
"Was ich jetzt spannend gefunden habe, ist zum Beispiel psychologische Gewalt, die darin stattfindet, wo jemand davon träumt, dass ihre Hand sehr groß wird, und der Mann, der in der Mitte von dieser Hand sich befindet, eher wie so eine Ameise oder eine Maus, sehr klein, ist und sie bewegt immer ihre Hände und macht daraus ein Labyrinth."

Träume durch VR-Brillen erlebbar

Erweitert wird "… dreams about girls" durch "VR-Chat" – einer sozialen Plattform in virtueller Realität, in der Haverich und ihr Team eine eigene Welt gebaut haben. Diese ist über VR-Brillen zugänglich und macht die Träume der Frauen erlebbar.
"Es geht jetzt nicht darum, dass ich eine Axt in die VR-Welt tue und da liegt dann ein Mann, und der windet sich und ich kann auf dem rumhacken – das wird nicht stattfinden", sagt Julian Kamphausen, der für die Digitaldramaturgie der Inszenierung zuständig ist. "Katharina Haverich hat da jetzt so einen Sweet-Spot erwischt, wo gesellschaftliche Veränderung und technisches Empowerment gut zusammenkommen. Und einen neuen Zugriff ermöglichen."

"Am liebsten Angst machen"

Katharina Haverich versucht, mit technischen Mitteln Gegenstrategien zu zeigen, will den Kreislauf gewaltvoller Bilder aber nicht kopflos reproduzieren. "… dreams about girls" bringt trotzdem einige Ambivalenzen mit sich:
Eine Frau streckt die Zunge heraus
In "dreams about girls" zelebriert Katharina Haverich weibliches Potenzial und zeigt die Konsequenzen von Gewalt.© Studio Varo / Christin Striegler
"Ich würde eigentlich am liebsten Angst machen. Ich würde wirklich am liebsten, dass Männer in dieses Stück reingehen und richtig Angst kriegen vor diesen Traumbildern. Das heißt, wenn das was ist, was mitschwingt im Alltag: Die Dame sieht freundlich aus, ja, sie ist nicht stärker als ich, aber ich weiß, wovon sie nachts träumt. Und es ist richtig hart. Und ich möchte nicht, dass mir das widerfährt, also möchte ich mich nicht zum Feind dieser Frau machen. Ich weiß nicht, ob Angst das beste Steuerelement ist im Leben. Ich glaube, man müsste dann noch ein weiteren Schritt machen. Aber ich glaube, dass das vielleicht irgendein kleiner Stein sein kann, der den Weg ebnet in Richtung Gleichberechtigung und Abschaffung, Minimierung, Eindämmung von Gewalt an Frauen. Das fände ich gut."
Im Gegensatz zu den bürgerlichen Klassikern geht es Katharina Haverich nicht um den Ausschluss des Emotionalen, also um das Disziplinieren vermeintlich "weiblicher" Eigenschaften.
Stattdessen macht "… dreams about girls" Konsequenzen sichtbar und zelebriert weibliches Potenzial – auch dort, wo es Gewalt bedeutet.

"… dreams about girls" findet am 18. und 19. September 2021 als "work in progress showing" in der Spreehalle Berlin statt. Von 16 bis 19 Uhr kann man die Installation besuchen, jeweils um 15 und 20 Uhr gibt es Performances.

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