Pegida

Signal für eine Debatte

Teilnehmer einer Demonstration des Bündnisses Patriotischer Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes (Pegida) sind am Montagabend (22.12.14) auf dem Theaterplatz in Dresden versammelt.
Pegida-Demonstration in Dresden © imago/Robert Michael
Von Ulrike Ackermann · 05.01.2015
Abscheu, Ignoranz und Scham: Die politische Klasse reagiert auf Pegida reflexhaft. Doch solche Reaktionen führen nicht weiter. Es braucht eine breit geführte Diskussion über den Islam und Einwanderung, meint Ulrike Ackermann.
Was ist eigentlich los in Deutschland? 25 Jahre nachdem die ostdeutschen Bürger auf ihren berühmten Montagsdemonstrationen "Wir sind das Volk" skandierten und erfolgreich die kommunistischen Führer davonjagten und die Freiheit siegte, hört man seit Wochen aus Dresden erneut diesen Ruf. Intoniert nun von selbst ernannten "Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes".
Was ist das für ein Volk? Ein ehemaliger Drogendealer und Kleinkrimineller versammelt eine illustre Gesellschaft: Zwischen mehrheitlich ganz normalen Bürgern tummeln sich rechtsradikale Hooligans von der Gruppe "Faust des Ostens", NPD-Mitglieder und AfD-Anhänger.
Einige einleuchtende Programmpunkte
Die 19 schriftlichen Programmpunkte sind durchaus einleuchtend: unter anderem die Forderung nach Aufstockung der Mittel für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oder die Abschaffung der menschenunwürdigen Sammelunterkünfte zugunsten der dezentralen Unterbringung von Asylbewerbern. Doch die Demonstrationen begleiten ganz andere Parolen. Vor Überfremdung wird gewarnt: "Keine westlichen Zustände in Sachsen". Nieder mit der angeblich "gleichgeschalteten Lügenpresse", Volksvertreter seien "Volksverräter" und so fort.
Ausländerfeindlichkeit mischt sich mit Putin-Bewunderung und Antiamerikanismus, Deutschtümelei mit der Verachtung der Demokratie und ihrer Institutionen. Ach ja, auch die deutsche Sprache soll vor Genderisierung gerettet werden.
Menschen, die sich in der demokratischen Gesellschaft nicht heimisch fühlen
Die politische Klasse reagiert mit Abscheu oder Ignoranz – in jedem Fall schamvoll auf die Schamlosigkeit des tobenden Volkszorns. Gerne wird angeführt, dass Dresden nicht für das ganze Land stehe. Tatsächlich hatten die DDR-Bürger in der geschlossenen kommunistischen Gesellschaft keine Erfahrungen mit Einwanderungen anderer Kulturen machen können und die Erbschaft zweier Diktaturen mag ihr Übriges dazu tun, dass zumindest Teile der Bürgerschaft noch nicht im Westen angekommen sind.
Allerdings zeigt die Resonanz auch, dass überall im Lande – nicht nur in Dresden, nicht nur in Ostdeutschland – Menschen leben, die sich nicht heimisch in der demokratischen Gesellschaft fühlen. Doch eine Dämonisierung dieser Bewegung führt nicht weiter. Ebenso wenig die therapeutische Manier, die in der Politik so beliebt ist, die Bürger bei ihren Ängsten abholen zu wollen.
Skepsis in allen Teilen der Gesellschaft
Denn das Sammelsurium aus unterschiedlichen Affekten, Parolen und Forderungen mündet letztlich in einem ausgeprägt antiwestlichen Ressentiment – das leider nicht nur den Dresdener Wutbürgern eigen ist. Die Skepsis gegenüber den Errungenschaften der westlichen Freiheiten reicht weit hinein in die Mitte der Gesellschaft und beschränkt sich nicht auf den rechten oder linken Rand. Auch Putins Chefideologe Alexander Dugin hat den "Dschihad gegen den Liberalismus und die westliche Dekadenz" ausgerufen. Womöglich ist den Montagsdemonstranten gar nicht klar, dass sie einiges gemeinsam haben mit den Feinden der offenen Gesellschaft, die sie vorgeblich bekämpfen wollen. Zum Beispiel die Homophobie oder die Respektlosigkeit gegenüber Frauen oder die Sehnsucht, sich einem Kollektiv zu unterwerfen. Die Vielfalt der Lebensstile, die wir der Moderne verdanken, ist ja zuweilen auch eine anstrengende Herausforderung.
Darüber hat die politische Klasse lange Zeit die Abschottung der entstandenen Parallelgesellschaften genauso verharmlost wie den um sich greifenden Salafismus. Die neuen Montagsdemonstrationen könnten ja vor diesem Hintergrund auch ein Signal sein für eine breit geführte öffentliche Debatte über den Islam – zumal in seiner politischen Gestalt –, über die Einwanderung. Ja mehr noch über all das, was uns die westlichen Freiheiten wert, wie und von wem sie bedroht sind und wie wir sie verteidigen müssen.
Ulrike Ackermann, geboren 1957, studierte Politik, Soziologie und neuere deutsche Philologie in Frankfurt am Main. Ab 1977 arbeitete sie mit der Charta 77, dem polnischen KOR, der Solidarność und anderen Bürgerrechtsbewegungen in Ostmitteleuropa zusammen. Sie war verantwortliche Redakteurin der "Frankfurter Hefte/Neue Gesellschaft", wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung, Gründerin und Leiterin des Europäischen Forums an der Berlin-Brandenburgischen Akademie für Wissenschaften.Ulrike Ackermann ist Direktorin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung und Professorin für Politikwissenschaften an der SRH Hochschule Heidelberg. Buchveröffentlichungen: "Sündenfall der Intellektuellen", "Versuchung Europa", "Welche Freiheit? Plädoyer für eine offene Gesellschaft", "Eros der Freiheit. Plädoyer für eine radikale Aufklärung", "Im Sog des Internets" (Hg.), "Freiheitsindex Deutschland" 2011-2014 (Hg.), "John Stuart Mill. Ausgewählte Werke" (Hg.)
Die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Ackermann
Die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Ackermann© Imago/Horst Galuschka
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