Aus den Feuilletons

"Für mich ist Spazierengehen der große Feind"

Zwei Frauen gehen bei nass-kaltem Wetter am Ufer des Phoenix Sees in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) spazieren.
Warum die Deutschen so gerne spazieren gehen, ist für Robin Lane Fox überhaupt nicht nachvollziehbar. © dpa / Bernd Thissen
Von Hans von Trotha · 06.03.2018
Die Erderwärmung sei ein Geschenk, der Einsatz von Glyphosat ein Segen und ein Gentleman gehe nicht spazieren, sondern reite - der Gartenlehrer, Gartenkolumnist und Gärtner Robin Lane Fox zeigt sich von aktuellen Debatten völlig unbeeindruckt.
Ralph Hammertaler hat für die Süddeutsche den kubanischen Schriftseller Ángel Santiesteban besucht, der in seiner Heimat zum Schweigen gebracht werden soll. "Für den Sozialismus kubanischer Spielart hat Angel nur ein Wort parat: Diktatur." Sein Thema ist auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen in dieser Diktatur. Amir Valle, ein Freund Santiestebans, hat ein Buch über Prostitution in Kuba geschrieben. … Prostitution ist in Kuba verboten, offiziell existiert sie nicht, aber sie wird geduldet. … Die doppelzüngige Moral hält (Valle) für die schwerste Bürde, sollten sich die Verhältnisse einmal umkehren. … Angel sagt (dazu): In Kuba haben wir es nicht nur mit der Prostitution des Körpers zu tun, sondern auch mit der Prostitution des Intellekts, des Geistes, selbst der Seele. Längst sind die Leute daran gewohnt, jede Grenze zu überschreiten."

"Gibt es auch übergriffige Frauen?"

Grenzüberschritt – das ist auch das Thema der #MeToo-Debatte, die die taz mit einem Text von Harald Schumacher um die Frage "ergänzt", wie es heißt: "Gibt es auch übergriffige Frauen?" Für den Autor stellt sich die Frage, seit eine Topunternehmerin bei ihm ungefragt Hand anlegte, wobei er immerhin gleich klarstellt: "Die Situation bei einem Firmenevent im Herbst vergangenen Jahres … hat nichts mit Vergewaltigung, Nötigung oder mit der inzwischen viel beschriebenen Besetzungscouch zu tun. … Es geht nicht darum, die notwendigen Enthüllungen der #MeToo-Debatte zu relativieren oder gar nach den vielen Vorwürfen gegen übergriffige Männer nun mit einer Retourkutsche zu kommen. Im Gegenteil: Es geht darum, #MeToo zu ergänzen."
Bedeutender erscheint die Ergänzung zur Debatte, die Hollywoodstar Jesssica Chastain im Tagesspiegel-Interview beisteuert. Sie betrifft die Medien:
"Bei Interviews werde ich immer wieder gefragt, warum meine Heldinnen nicht in einer Beziehung leben. Frauen", fügt Chastain hinzu, "fragen das übrigens öfter als Männer! Aaron Sorkin, der Regisseur und Drehbuchautor von "Molly’s Game"," habe darauf bei einem gemeinsamen Interview gesagt: "Bei Brad Pitt als Baseballtrainer in "Moneyball" habe das niemand gefragt. Bei Männern geht es nur darum, was sie tun, nicht, wer ihre Freundin ist."
"Wir Schauspielerinnen" sagt Chastain, "erhielten einen wunderbaren Brief von amerikanischen Landarbeiterinnen, 700.000 Frauen haben unterschrieben. Sie erzählen darin, unter welchem Missbrauch sie zu leiden haben." - "Wann immer", fasst Chastain zusammen, "eine demografische Gruppe für den Lebensunterhalt einer anderen Gruppe zuständig ist kommt es mit der existenziellen Abhängigkeit auch zu Machtmissbrauch."

Der Diktator im Garten

Das ist Dank #MeToo weitgehend anerkannter Standard, sollte man meinen. Debatten können eben doch etwas bewirken, zunächst Einsicht. Im FAZ-Interview gibt sich der Gartenlehrer, Gartenkolumnist und Gärtner Robin Lane Fox von den gängigen Debatten unserer Tage völlig unberührt. Auf die Frage, wie er so gärtnert, sagt er zum Beispiel: "Ich bin ein absoluter Herrscher." Ich bin, setzt er noch eins drauf, "bis auf weiteres … Diktator. Ich habe meine Amtszeit bereits um fünf Jahre verlängert und verfolge mit größtem Interesse die jüngsten Entwicklungen in China."
Auch andere Debatten kommen vor. So befindet er: "Die Erderwärmung ist das größte Geschenk für den britischen Gartenbau zu meinen Lebzeiten." Biologisches Gärtnern hält er für "ökologische Bigotterie" und rät munter zum Einsatz von Glyphosat, "das", Zitat, "ganz harmlos ist". "Nachdem", führt er aus, "die aufgebrachte ökologische Lobby den Streit über genmodifizierte Lebensmittel verloren hat, gibt sie jetzt Millionen aus und mobilisiert religiöse Gruppen, um Glyphosat verbieten zu lassen, als ob es Krebs erzeugte. … Die Natur", so fasst Robin Lane Fox sein Weltbild zusammen, "ist Krieg, kein Traumland."
Zu Deutschland fällt ihm ein: "Das deutsche Farbgefühl (kann) ziemlich extrem sein: nicht immer Orange und Magentarot, aber oft. Man bevorzugt harte Farben in grellem Sonnenlicht gegen einen Neubau mit hocheffizienten Fenstern. Das ist ein wenig unsympathisch."
Und, vielleicht am Schockierendsten: Er räumt, aber wie!, mit der gerade von uns Deutschen so geliebten Kulturtechnik des Spazierengehens auf: "Ich", sagt er, "stelle mir eine Gruppe von Deutschen mittleren Alters vor, die mit Stöcken in die Landschaft hinauswandert. Für mich ist Spazierengehen der große Feind. Wenn man ein englischer Gentleman ist, reitet man im Winter, und im Sommer gärtnert man."
Alles klar. Den Winter haben wir jetzt verpasst. Aber der nächste Sommer kommt bestimmt.