Paul Kuhn: Swing wird es immer geben

Moderation: Jürgen König · 12.03.2008
Der Musiker Paul Kuhn, der heute seinen 80. Geburtstag feiert, ist seit Jahrzehnten dem Swing verfallen. Diese Musik werde es immer geben, prophezeit Kuhn, denn es sei eine sehr interessante Musik, wenn auch eine stilistisch abgeschlossene: "Im Prinzip hat sich der Sound einer Bigband nicht geändert seit den 30er, 40er Jahren bis heute."
Jürgen König: Heute wird er 80 Jahre alt, und er wird am Abend in seiner Geburtsstadt Wiesbaden auf der Bühne stehen. Paul Kuhn, guten Tag!

Paul Kuhn: Einen schönen guten Tag!

König: Herr Kuhn, was wird das erste Stück sein heute Abend`?

Kuhn: "I can't give you anything but love and music". Ich hab das ein bisschen geändert.

König: Ja, warum dieses Stück?

Kuhn: Es ist ein Zufall, da es im Jahre 28 geschrieben worden ist. Und ich dachte, ich fang mal eben nicht mit großem Trara an und schnellen Jazznummern, sondern eine ganz gemütliche Nummer. Ich hab das ein bisschen abgeguckt. Ich weiß, als Frank Sinatra das letzte Mal hier war, in Deutschland war, fing er an mit einem Stück, das ging ganz locker los, und "I've got the world on a string, sitting on a rainbow", da habe ich gedacht, das ist doch mal was anderes als so ein schnelles "There's No Business Like Show Business", nein, nein, nein, nein, in aller Ruhe.

König: Und es war wirklich Zufall, dass dieses Stück nun ausgerechnet in Ihrem Geburtsjahr entstanden ist, 1928?

Kuhn: Ja, ja.

König: Erinnern Sie sich noch Ihren ersten Auftritt in Wiesbaden?

Kuhn: Ja, da war ich acht Jahre alt.

König: 36 dann.

Kuhn: Ja, ja. Und bin eben auch im Kurhaus aufgetreten. Dann war ich, als die Amerikaner in Wiesbaden waren, die das Kurhaus zu ihrem Club gemacht haben, da war ich 20. Und jetzt bin ich 80 und bin wieder im Kurhaus und feiere meinen Geburtstag. Also ganz lustig eigentlich.

König: In einem Interview der "FAZ" haben Sie gesagt, dass Sie als Kind, sechs Jahre alt, von einem Onkel ein Akkordeon geschenkt bekommen haben und sofort spielen konnten. Leider fragte der Kollege nicht nach, wie das denn zu erklären sei. Deswegen will ich das jetzt nachreichen. Erklären Sie uns das, das geht doch eigentlich gar nicht.

Kuhn: Ja, das ist so, mein Onkel war Amateurmusiker und wollte das nur mal testen, hatte mir ein kleines Instrument geschenkt, und ich habe dann mich damit befasst so ein paar Minuten und habe dann "Stille Nacht, heilige Nacht" gespielt oder "O, du Fröhliche". Und der hat gemerkt, dass ich das richtig gespielt habe, mit den richtigen Harmonien und hat gesagt, der Junge ist musikalisch. Ihr müsst den Musik studieren lassen.

König: Entschuldigen Sie, wenn ich unterbreche, aber das ist ja mehr als nur musikalisch sein. Das sind Wunderkinddimensionen, die sich da auftun.

Kuhn: Ja, eben. Das war aber so. Ich hab das halt gespielt. Und meine Eltern haben mir auch niemals etwas in den Weg gelegt. Und im Gegenteil, haben mich ermutigt, Musik zu studieren. Die meisten Eltern sagen ja, das ist ja schön und gut. Dann lernst Du erst mal einen richtigen Beruf.

König: Lern was Anständiges, so.

Kuhn: Dann kannst Du noch immer Musik machen, genau.

König: Bei den Nazis war der Jazz verboten. Wie sind Sie mit dem Jazz in Berührung gekommen?

Kuhn: Ja, es hat mich immer gereizt, ich hab in der Klassik zwar gelernt und studiert und habe Czerny-Etüden gespielt usw. Aber ich hab mich da immer (…), was so alles noch passiert. Aber hab dann heimlich, so in der Nacht, irgendwelche BBC-Sender gehört, die für Deutschland ...

König: Feindsender?

Kuhn: ... ja, eben dann für die deutsche geknechtete Jugend die Sendung gemacht haben und dann mit dem richtigen Frontverlauf. Nein, das hat mich nicht so interessiert. Mich hat die Musik interessiert. Und dann hörte ich das erste Mal die Miller-Band, Glenn-Miller-Band. Und ich war begeistert, die spielten was von Verdi aus "Troubadour", verjazzt.

König: Den Zigeunerchor, das habe ich gelesen, der Zigeunerchor als Swingnummer. Können Sie uns das auch mal vormachen oder vorsingen?

Kuhn: Ja, ich kenn die Melodie, den Text kenne ich natürlich nicht. (singt) Dadadalalladadabadadadadidada. Ist jedem bekannt, läuft im Stück unter "Ambosschor".

König: Genau, weil der Amboss immer mitschlägt, dimbombom.

Kuhn: Ja, ja.

König: Und wie geht das als Swing?

Kuhn: Das geht, es wundert, die haben gespielt wie die Teufel, richtig gute Swingband. Sie haben ein langes Schlagzeugsolo, hervorragend. Da hab ich gedacht, wenn ich mal "groß" werde, in Anführungen, wenn ich mal groß bin, Papa, werde ich Musiker, so ungefähr war es ja. Und ich hab es dann auch gemacht.

König: Und nach dem Krieg waren die GIs dann die großen Lehrmeister in Sachen Musik?

Kuhn: Ja, die AFN natürlich. Ich hab AFN gehört. Man merkt übrigens, wenn man moderne oder schöne Swingprogramme spielt, die Ecken von Deutschland, in denen die Amerikaner waren, die haben immer das bessere Publikum. Die kennen das alles, was man so spielt.

König: Also AFN, American Forces Network, die Rundfunkanstalt.

Kuhn: Ja, natürlich. Das war immer Peggy Lee und Frank Sinatra und Satchmo und all das, die hörte man da. Und ich habe sie auch immer gehört, natürlich.

König: Was hat diese Musik, dass sie Sie ein Leben lang nicht mehr losgelassen hat?

Kuhn: Ja, eben weil sie swingt, und man kann den Swing ja wirklich nicht pädagogisch erklären. Man kann sagen, ja, ja, das ist, wenn man sehr rhythmisch genau spielt, aber dann doch nicht so ganz genau, etwas schlampig, aber es muss zusammen sein, das ist ja keine Erklärung. Und improvisieren, allein zu sagen, ja, man muss eben ein Thema improvisieren, dann ist es ja noch lange kein Jazz. Es gibt ja in der Klassik auch Improvisationen und so. Es ist schwer zu erklären.

König: "Geben Sie dem Mann am Klavier noch ein Bier", "Es gibt kein Bier auf Hawai", diese Schlager der 50er Jahre waren große Schlager. Ich habe heute festgestellt, dass ich den "Mann am Klavier" noch bis in die zweite Strophe hinein auswendig kann, einfach weil ich das zu Haus so oft gehört habe, vermute ich mal.

Kuhn: Ja, und er hat ja 250.000 Schallplatten verkauft. Das ist ja für die damalige Zeit viel. Zudem haben Fachleute gesagt, es wären noch mehr gewesen, aber die Zeiten waren noch nicht so toll, dass jeder Mensch ein Abspielgerät hatte. Dann hätten es vielleicht noch mal 100.000 mehr gegeben.

König: Spielen Sie eigentlich diese alten Nummer heute noch?

Kuhn: Ganz selten, wirklich ganz selten, weil es passt nicht mehr. Zu einem schönen und guten, modernen Swingorchester passt das Zeug nicht. Man könnte vielleicht mal eine Swingbearbeitung davon machen, das wurde auch schon mal gespielt. Die Leute wollen, wenn, wollen sie das Original hören.

König: Ja, ja. Das geht Ihnen vermutlich langsam auf die Nerven, vermute ich.

Kuhn: Ja, genau das. Die Bierlieder, das habe ich nun wirklich genug gesungen.

König: Das kann ich mir vorstellen. Wie oft haben Sie "den Mann am Klavier" gesungen?

Kuhn: Ach, du lieber Gott! Ja, vor allen Dingen, wie oft habe ich ein Glas Bier aufs Klavier gestellt bekommen von Leuten, die dann denken, er sei der Erste, der das gerade gemacht hat.

König: Eine hoch originelle Idee?

Kuhn: Ja, natürlich, genau das.

König: Der "FAZ" haben Sie auch gesagt, Sie würden sich heute "Deutschland sucht den Superstar" anschauen, um sich, und jetzt wörtlich, "richtig fertig zu ärgern". Das hat mich sehr amüsiert. Wie darf ich mir das praktisch vorstellen, wenn Paul Kuhn zu Hause sich richtig fertig ärgert?

Kuhn: Nein, ich sitze da manchmal davor und sage, das kann doch nicht wahr sein. Das kann doch nicht wahr sein. Ich meine, ich finde den Bohlen ganz toll, ein toller Geschäftsmann, und das macht er fantastisch und die Sprüche, die er so macht, dagegen habe ich im Grunde nichts. Aber die Leute, die da stehen und dann wieder abserviert werden und dann wieder weggeschickt werden. Und überhaupt die Tatsache, ein Casting eben zur Hauptsendezeit abends im Fernsehen zu bringen, ist schon ein Nerv. Der hat es aber geschafft. Ich ärgere mich auch nicht in dem Sinne. Ich höre nur zu, das gibt es doch nicht. Genauso, wie er die Leute absaut, so hebt er sie auch in den Himmel. Das stimmt ja hinten und vorne nicht. Da sagt er dann, ich hab dieses Stück noch nie so gut gehört. Das stimmt einfach nicht. Das kann es ja nicht sein. Aber das ist eben Bohlen.

König: Wie finden Sie die Musik, die da gemacht wird, wie finden Sie die Schlager von heute?

Kuhn: Eigentlich, es ist sehr wenig. Es ist sehr dünn. Ich hab jetzt wieder mal so reingehört, das sind so Stücke wie (singt) "Daldeldaldadahehtlalala". Das hörst du vier-, fünfmal, da wird es dann ein bisserl höher noch mal dasselbe.

König: Auch in der Melodik eher übersichtlich gehalten.

Kuhn: Ach, es ist so dünn. Ja, ja, es ist wirklich sehr, sehr dünn.

König: Gehen wir noch mal ein bisschen in Ihrem Leben zurück und dann wieder nach vorne. Sie haben Jazz gespielt, Swing, Bebop, Sie haben Schlager gesungen, die SFB-Bigband geleitet, haben jahrelang Fernsehunterhaltung gemacht, haben Showserien gezeigt, wie "Hallo Paulchen" oder "Pauls Party". Mit dieser Karriere war es dann 1980 ziemlich abrupt vorbei. Die SFB-Bigband wurde aufgelöst, der Plattenvertrag nicht verlängert. Das alles brachte Sie zum Jazz zurück. Sie mussten praktisch von vorne anfangen, haben sich den Weg gesucht zurück zum Jazz, den dann auch gefunden in den 90er Jahren.

Kuhn: Das stimmt.

König: War das oder ist das jetzt ein wesentlich anderer Jazz als der der 40, 50er, 60er Jahre?

Kuhn: Nein, es gibt keinen anderen Jazz. Jazz ist Jazz.

König: Und stilistisch abgeschlossen?

Kuhn: Ja, das finde ich. Es ist abgeschlossen. Es kann durchaus sein, dass es noch mal so einen Zweig gibt, der da ein bisschen wächst, und man macht dann mal ein bisserl was anderes. Aber im Prinzip wird diese Jazzmusik so gespielt, wie sie heute gespielt wird. Und wenn Sie die Bigbands heute hören, die sind zwar bessere Musikanten, besser studierte Musikanten, bessere Technik usw. Das ist alles richtig. Aber im Prinzip hat sich der Sound einer Bigband nicht geändert seit den 30er, 40er Jahren bis heute.

König: Und Sie geben ihm auch entsprechend große Zukunft?

Kuhn: Ja. Es kann immer so weitergehen. Denn es ist eine interessante Musik. Die wird mal wieder oben sein, ist auch wieder Mode. Man wird mal oben sein, man wird mal lange Röcke tragen, man wird auch kurze Röcke tragen und weite Hose haben und enge Hosen haben. Das ist immer so. Aber man wird immer Hosen anhaben oder das ganz sicherlich.

König: Sie haben als Bandleader nie mit dem Rücken zum Publikum gestanden, warum eigentlich nicht?

Kuhn: Ja, die Leute wollen ja einem ins Gesicht gucken, ich meine, und ich will auch sehen, wer da ist. Ich stehe immer so.

König: Aber in meiner Erinnerung sehe ich Sie immer milde ins Publikum lächeln mit leichtem swingschnipsendem Finger und hinter Ihnen, hat man den Eindruck, spielt Ihre Band letztlich und fantastisch.

Kuhn: Ja, es ist ja auch so. Na ja.

König: In den letzten Tagen war auch viel darüber zu lesen, dass Ihnen gesundheitlich nicht gut geht, dass Sie nur noch schlecht sehen können. Der "Bild"-Zeitung haben Sie gesagt: "Nur wenn ich spiele, habe ich keine Schmerzen." Ist das wirklich wörtlich zu verstehen?

Kuhn: Das ist wirklich wahr, aber das funktioniert nicht immer. Aber es ist oft so. Als ich diese Gürtelrose hatte, das waren widerliche Schmerzen, ich bin dann ans Klavier gegangen und ich hab gedacht, ich muss doch mal sehen, wie das geht, kann ich überhaupt Klavier spielen mit solchen Schmerzen. Und das hat wirklich ein paar Mal funktioniert. Wenn ich mich konzentrieren musste auf meine Finger, wenn das alles sauber gespielt werden muss, und wenn ich überlege, was gespielt wird, dann muss ich nachdenken und so, dann waren diese Schmerzen einfach nicht mehr da. Nun kann ich natürlich nicht den ganzen Tag lang Klavier spielen. Das geht ja einfach nicht. Und es geht jetzt natürlich bedeutend besser. Ich bin ja in Behandlung. Aber ich bin auf der Bühne, und alles ist vorbei, und es geht mir gut.

König: Ihr Geburtstagstournee führt Sie praktisch jeden Tag in eine andere Stadt, nach Wiesbaden heute Abend. Wiesbaden, danach München, Freiburg, Karlsruhe, Singen, Stuttgart, Saulgau, Köln, Essen, zweimal Berlin, Leipzig, Bielefeld, Hannover, Hamburg, Schwäbisch-Hall und das Schlusskonzert am 5. April in Amberg. Woher nehmen Sie die Kraft für all das?

Kuhn: Ja toll, ne?

König: Ja, das ist fantastisch.

Kuhn: Ja, ich hab Freude daran. Wenn die Entfernungen nicht so lang wären. Die größten, die längsten Entfernungen haben wir, glaube ich, jetzt schon hinter uns, das hoffe ich schon.

König: Sind Sie da richtig mit Tourbus wie in den guten alten Zeiten unterwegs?

Kuhn: Nein, ich habe eine Limousine, die mich fährt.

König: Sehr gut. Das haben Sie sich auch redlich verdient. Sind Sie noch aufgeregt vor Konzerten?

Kuhn: Ein bisschen immer.

König: Immer noch?
Kuhn: Ja, ein bisschen immer, weil das muss auch so sein. Es gibt ja Musikanten, die sagen, ich hab da gar nichts mit zu tun. Ja, ich spiele da so oder so, und wenn mal Fehler passieren, ach, das ist auch nicht so schlimm. Das stimmt ja alles. Aber ich kann so nicht, es muss sauber und alles in Ordnung sein.

König: Merken Sie, wann ein Publikum anspringt?

Kuhn: Ja.

König: Merken Sie auch, wenn es das mal nicht tut?

Kuhn: Die haben es noch nie gemacht, ich meine, manchmal ist es ein bisschen schwerer, die Leute in die nötige Stimmung zu bringen. Ich habe immer gesagt, wenn am Anfang, das ist meine Idee, die Leute zu begrüßen und in einem kleinen Scherz oder mit irgendetwas. Aber das ist eine alte Weisheit, wenn die einmal geschmunzelt haben, reicht es schon, hat man sie eigentlich schon.

König: Ja. Machen Sie das so aus der Lamäng?

Kuhn: Ja, wie aus der Lamäng? Ich hab nie was vorbereitet?

König: Sie wissen auch noch nicht, was Sie heute Abend sagen werden in Wiesbaden?

Kuhn: Nein, weiß ich nicht. Das weiß ich noch nicht.

König: Was sagen Sie zum Abschied eines Konzerts, also zum Schluss?

Kuhn: Am Schluss sage ich: "The Party is over". Es ist ein wunderschönes Stück, das sehr tief geht, "The Party is over, it's time to call it a day, they burst you pretty balloon and taking the moon away." Also mit anderen Worten, es ist jetzt Schluss, kommt nichts mehr, auf Wiedersehen. Das ist dann die letzte Möglichkeit, eine letzte Zugabe.

König: Die Party ist noch nicht zu Ende. Paul Kuhn wird heute 80 Jahre alt, spielt heute Abend in Wiesbaden. Glückwunsch!