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Der letzte Flug der Ceausescus

Alexandru Popa gehörte als Pilot einst zu den engsten Mitarbeitern des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu. In seinem Buch "Der letzte Flug mit den Ceausescus" hat er seine Erinnerungen an diese Zeit aufgeschrieben - auch an die Hinrichtung des Präsidenten.

Von Annett Müller | 12.05.2014
    Der Grabstein von Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena in Bukarest.
    Der Grabstein von Nicolae Ceausescu und seiner Frau Elena in Bukarest. (picture alliance / EPA / Robert Ghement)
    25. Dezember 1989. Vier Soldaten stoßen die Ceausescus auf den Innenhof einer Militärkaserne in Targoviste, führen die einst so gefürchteten Herrscher ab wie zwei Schwerverbrecher. Nicolae Ceausescu ruft auf dem Weg zur Hinrichtungsmauer verzweifelt, stolz, trotzig: "Es lebe das Sozialistische Rumänien!". Sekunden später stirbt er mit seiner Frau im Kugelhagel. Der rumänische Elite-Pilot Alexandru Popa steht damals nur ein paar Schritte entfernt. Er soll die Leichen in ein Bukarester Stadion fliegen - auf Weisung seines Verteidigungsministers Victor Stanculescu. Popa packt die Angst, weil er sich als unfreiwilliger Augenzeuge einer Intrige der neuen Machthaber fühlt. Seine Erinnerungen an Weihnachten 1989 hat er in einem Buch festgehalten:
    "Meine Gedanken kreisten um die Leichen der Ceausescus. Wohin bringen wir sie? Zu einem Grab, das wir zu schaufeln hatten und in das wir zusammen mit den Erschossenen geworfen würden? (...) Warum hatte uns Stanculescu bei dieser monströsen Hinrichtung zuschauen lassen? Ich landete in Bukarest, wo wir am Morgen gestartet waren. Ich hatte das Gefühl, dass ich abrupt gealtert war. Gealtert, aber nicht gestorben."
    Eine subjektive Zeitreise zu den Ereignissen rund um die Wende
    In seinem Buch "Der letzte Flug mit den Ceausescus" unternimmt Popa eine subjektive Zeitreise zu den Ereignissen rund um die Wende. Die rumänische Revolution war 1989 die einzig blutige in Mittel- und Osteuropa. Noch heute laufen die Strafermittlungen, wer die Gewalt zu verantworten hat. Analysen gibt es dazu eine Menge. In über 400 rumänischen Büchern und Studien ist die Revolution beschrieben und aufgearbeitet worden, mal von Historikern, mal von Politikern, Journalisten oder Zeitzeugen wie jetzt Popa. Sein Erinnerungsbuch kommt auch ein Vierteljahrhundert nach der Wende nicht zu spät, meint der Bukarester Historiker Dragos Petrescu:
    "Seit Jahren warten wir, dass die Justiz die Untersuchungen zur Revolution abschließt, damit wir die Wahrheit erfahren. War es eine authentische Revolution, war es ein Staatsstreich oder etwa eine Verschwörung von Geheimdiensten aus Ost und West? Wir wissen es nicht. Jede Information über 1989 ist willkommen, damit wir die Vergangenheit rekonstruieren können."
    Popa schildert mitunter aufwühlende Geschichtsepisoden, in denen es nicht nur um den letzten Flug mit den Ceausescus geht. Schon vor der Wende flog er den Staatspräsidenten neun Jahre lang in einem luxuriösen Hubschrauber zu Betriebsbesichtigungen und Massenparaden. Mindestens einmal in der Woche ließ sich der für seine Jagdlust bekannte Diktator zudem in die urwüchsigen Karpaten bringen. Stand eine Bärenjagd an, war nichts dem Zufall überlassen, wie in einem Waldstück im Kreis Arges:
    "An einem Aussichtsturm war ein über 100 Meter langes Kabel gespannt, und daran hingen Brocken von Pferdefleisch. (...) Der Förster ließ das Fleisch per Seilzug zu einer bestimmten Uhrzeit herab. Damit wurde der Bär in der Gegend darauf abgerichtet, nur zu dieser Stunde und nur an diesem Ort sein Futter zu finden. (...) Als nach einer Jagd Ceausescu zum Hubschrauber zurückkehrte, wurde er gefragt: ‚Kam der Bär, Genosse Präsident?'. Ceausescu antwortete dem Piloten gut gelaunt: 'Er war pünktlicher als Sie!'"
    "Es existierte nur, was gezeigt wurde"
    Popa liefert keinen kritischen Blick auf den Diktator, der das wohl unbarmherzigste Regime des Ostblocks verantwortete. Als Elitepilot genoss der Autor vor der Wende selbst eine Menge Privilegien. Statt als Tyrannen, beschreibt er Ceausescu als gönnerhaften Staatsmann, der seinen Fliegern auch mal teuren Wein vom Festbankett zusteckte. Mit Geschichten dieser Art erhält der Leser einen Einblick in den Ceausescu-Kult. Straßen wurden in Windeseile geteert, dralle Kühe aufgefahren, Bäume gepflanzt, wenn der Herrscher auf Besuch kam:
    "Nach zwei, drei Wochen waren die Bäume vertrocknet. (...) Doch was juckte das die Funktionäre des Ortes. Für sie zählte, ihre Posten zu behalten, einen guten Eindruck zu schinden, während Unregelmäßigkeiten in Unternehmen und im Kreis unentdeckt blieben. Es existierte nur, was gezeigt wurde."
    Tagelange Straßenproteste leiteten Ende 1989 den Sturz der Ceausescus ein. Anders als in den Revolutionswirren bedauert inzwischen die Mehrheit der Rumänen die Hinrichtung des Diktatorenpaares - vor allem, weil sie in einem zweifelhaften Gerichtsverfahren verurteilt worden waren. Ihre Hinrichtung stand schon vor dem Prozess fest. Auch Buchautor Popa sieht sich als Teil eines abgekarteten Spiels:
    "Damals war General Stanculescu der Regisseur und wir anderen die Akteure. Es entstand ein Film, ohne dass die Akteure davon wussten. Der Regisseur wusste, hätten die Akteure früher von ihren Rollen erfahren, (...) hätte sich so mancher geweigert, mitzuspielen."
    Vielen Rumänen nicht feierlich zumute
    Die rumänische Revolution endete in einem Blutbad. Mehr als Tausend Menschen wurden getötet, über 3.000 verletzt. Wer ist dafür verantwortlich? Auch Popa weiß keine Antwort, legt mit seinen Erinnerungen jedoch den Finger in diese offene Wunde. Sicher: Sein Buch ist alleingenommen unvollkommen, zusammen mit anderer Revolutionslektüre aber ein spannendes Puzzleteil. Passend zum 25. Jahrestag der Revolution. Vielen Rumänen ist, meint Historiker Petrescu, angesichts dieses Jubiläums gar nicht feierlich zumute:
    "Es ist traurig und paradox zugleich: Einerseits meinen wir, dass es mit über 1.000 Toten eine Revolution war. Andererseits wird das Ereignis wegen der vielen offenen Fragen ganz skeptisch betrachtet. Womöglich geht der Umsturz noch in die Geschichte ein, als Revolution, die keine war."
    Alexandru Popa: "Ultimul zbor cu sotii Ceausescu" (Der letzte Flug mit den Ceausescus, Erinnerungen von Ceausescus Pilot), Editura Primus, 180 Seiten, etwa 6 Euro. ISBN 978-6-068-31845-5.