Patrice McMahon: "Das NGO-Spiel"

Wenn Hilfsorganisationen sich selbst helfen

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Aufnahme aus der Luft auf ein Flüchtlingslager Kutupalong in Bangladesch, in dem viele Flüchtlinge aus Myanmar untergebracht sind.
Patrice McMahon Buch "Das NGO-Spiel": Desillusionierende Lektüre. © Verlag Hamburger Edition / picture alliance / dpa/ Kay Nietfeld/
Von Marko Martin · 30.03.2019
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In ihrem Buch "Das NGO-Spiel" untersucht die amerikanische Politikwissenschaftlerin Patrice C. McMahon die ambivalente Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen. Leider ist sie ihrem Thema kaum gewachsen.
Der Begriff "Nichtregierungsorganisation", auf englisch kurz "NGO", hat einen ähnlichen Nimbus wie die Vokabel "Zivilgesellschaft". Wer NGOs unterstützt, glaubt an die Gewissheit, dass sie Gutes, Besseres als Regierungen leisten.

Niederschmetternde Bilanz

Dabei hätte man bereits 1984 der verständlichen Sympathie etwas Skepsis hinzufügen können: Damals waren die britische Hilfsorganisation Oxfam und der umtriebige Sänger Bob Geldof in Äthiopien auf die Propagandashow des realsozialistischen Regimes von Machthaber Mengistu Haile Mariam hereingefallen. Der hatte eine planwirtschaftlich verursachte, und dazu als politische Abstrafungsaktion gedachte, Hungersnot als "Naturkatastrophe" deklariert.
"Live Aid" half – und das Regime verschiffte die westlichen Weizenlieferungen im Austausch gegen Waffen in die Sowjetunion. Darüber hat schon der französische Philosoph André Glucksmann das Buch "Politik des Schweigens" geschrieben, eine faktengesättigte Reflexion über jenes Dilemma erpresster Hilfe, die dann nur minimal den wirklich Bedürftigen zugute kommt.
Derlei philosophischen Erklärungsehrgeiz besitzt Patrice C. McMahon nicht. Die an der Universität von Nebraska lehrende US-amerikanische Politikwissenschaftlerin widmet sich zwei konkreten Krisenländern, die sie von Forschungsaufenthalten kennt: Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Von ihren dortigen Erfahrungen handelt das Buch "Das NGO-Spiel. Zur ambivalenten Rolle von Hilfsorganisationen in Postkonfliktländern". Auch dieses Buch ist eine desillusionierende Lektüre, denn bei allem Respekt für unzählige Altruisten aus dem westlichen Ausland und in der einheimischen Bevölkerung fällt das Resultat oft niederschmetternd aus.

Enttäuschte Erwartungen

Nicht selten helfen NGOs vor allem sich selbst. Viele Aktionen sind am Reißbrett geplant und eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für ihre Mitarbeiter, die zudem kaum um die Komplexität lokaler Gegebenheiten wissen.
So kommt es, dass oft lediglich einheimische Eliten von der Anwesenheit der NGOs profitieren, dass der Geldfluss häufig intransparent ist, und dass viele der NGOs spurlos wieder verschwinden, sobald das Spendengeld ausbleibt – ohne den kriegsversehrten Gesellschaften nachhaltig geholfen zu haben. Was bleibt, sind enttäuschte Erwartungen, die schlimmstenfalls zu neuen Konflikten führen.

Beschränkter Blick

Das sind eigentlich wichtige Erkenntnisse. Was macht die Lektüre dieses mit 300 Seiten völlig überdimensionierten Buchs dennoch so ermüdend? Liegt es daran, dass die kritische Professorin selbst anscheinend auch nur dann reist, wenn es satte Kostenübernahmen und Forschungsstipendien gibt, von denen sie in ihrem Nachwort in unfreiwillig komischer Ausführlichkeit Bericht gibt? Ist es die Sprache, die in nahezu jedem Satz von "Organisator_innen/Akteur_innen/Bürger_innen" schwadroniert, ohne je wirklich Menschen aus Fleisch und Blut mit ihren Lebensgeschichten darzustellen?
Hinzu kommt, dass das mit Statistiken und Verweisen auf andere "Forscher_innen" nur so gespickte Buch sich fast ausschließlich auf Bosnien und Kosovo bezieht, und selbst hier böte ein NGO-kritischer Roman wie "Projekt@party" des kosovarischen Schriftstellers Beqë Cufaj mehr Erkenntnisgewinn.
Und obwohl der Buchtitel einen grundsätzlichen, wenn nicht gar globalen Blick verspricht, handelt McMahon andere Länder lediglich kursorisch und verblüffend oberflächlich ab. Dass Kambodscha in eine prochinesische autoritäre Diktatur abdriftet und dass westliche NGOs zugunsten staatsnaher Pekinger Organisationen verschwinden, thematisiert sie ebenso wenig wie die erfolgreiche Verwandlung des einst mit NGOs übersäten Nachkriegsruanda in eine boomende Ökonomie, die inzwischen längst auch Arbeitsplätze außerhalb von Nichtregierungsorganisationen bietet.

Leider verhunzt

Die Schlussbemerkung schließlich, dass westliche NGOs in Russland ihr Geld vor allem "in die Hände städtischer Eliten leiten, die sich internationale Ziele zu eigen gemacht hatten", könnte wohl auch vom Kreml selbst stammen und ist ein Schlag ins Gesicht unzähliger russischer Menschenrechtler – beziehungsweise "Menschenrechtler_innen".
Ich lese und bin verstimmt, denn was wäre aus dieser wichtigen Geschichte des fehlgeleiteten Engagements unter dem genauen Blick einer Carolin Emcke oder eines Navid Kermani geworden? Es ist ärgerlich, wie hier ein immens wichtiges Thema durch universitäre Arroganz verhunzt wird.
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