Pathologie eines Popstars

26.04.2011
Narzisstische Exzentrik, manische Euphorie und tiefe Depressionen: Der Berliner Filmwissenschaftler Andreas Jacke erkundet in einer anspruchsvollen Studie die psychischen Abgründe des Musikers David Bowie.
Nein, die Guten sterben nicht zwangsläufig früh. Seit David Bowie 1969 mit seinem Einsamkeitssong "Space Oddity" die erste Mondlandung kommentierte und zur Ikone aufstieg, überraschte er mit immer neuen Verwandlungen. Er kreierte als Ziggy Stardust den bisexuellen Glam-Rock der 70er-Jahre, wandelte sich in die düster existentielle "Heroes"-Kunstfigur seiner Berliner Jahre und weiter in einen vom Jazz und multikulturellen Einflüssen inspirierten Songschreiber, Bühnenperformer und kommerziellen Megastar, der sich der Langeweile des Erfolgs inzwischen entzieht.

Bowie, der belesene Schlaukopf, der am Okkulten interessierte Mystiker, der coole Jongleur mit postmodernen Oberflächenreizen, reizt Szene-Historiker zu immer neuen Versuchen, hinter die Fassade zu blicken. Der Berliner Filmwissenschaftler Andreas Jacke legt nun mit "David Bowie – Station to Station" eine anspruchsvolle Studie über die – nach seiner Ansicht – "Borderline"-Persönlichkeit des Künstlers vor. Gemeint ist damit die lang dauernde Phase eines pathologischen "Narzissmus", der stark selbstzerstörerische Züge trug – als Folge tiefer seelischer Verstörungen in Bowies Kindheit. Was waren die Motive des blassen Schönlings aus dem Londoner Vorort Brixton, sich als Chamäleon zu inszenieren? Woher nahm der Mittelklasse-Boy die intellektuelle Schärfe, seine Songs ironisch paradox aufzuladen? Wie kommt es, dass er seine schrillen Verwandlungen, extremen Überdosen und künstlerischen Pechsträhnen scheinbar souverän überlebt hat?

Andreas Jacke interessiert sich nicht für die pure Story, die zusammenhängende Chronologie der Karriere, ihn faszinieren die psychischen Dispositionen, die das Multitalent dazu antrieben, seine innere Zerrissenheit auf der Bühne, in der Musik, vor allem in seiner virtuos schillernden Poesie auszuleben. Bowies Songtexte sind das wichtigste Material in Andreas Jackes Argumentation. Sie gelten ihm als Schlüsseltexte zu den Angst- und Schuldgefühlen eines Manens, der zwischen Schwarz und Weiß, Liebe und Hass, Gut und Böse taumelt. Doch leider zitiert der Autor sie querbeet in äußerst knappen Ausschnitten, sodass sie oft nur wie Belege für vorgefasste Thesen wirken. Seine Studie orientiert sich an den psychoanalytischen Schulen von Melanie Klein und Jacques Lacan, deren Begrifflichkeiten allzu umständlich und autoritätshörig hergeleitet werden. Wenn man die Lektüre mit dem Epilog beginnt, erschließt sich die Intention des Buches: Bowies Geschichte entzaubert den Sex-and-Drugs-and-Rock'n' Roll-Mythos.

Diese Geschichte wurzelt in dramatisch neurotischen Konflikten, denn der junge Bowie war in einer fatalen Mutterbindung gefangen, vermisste seinen konservativen, emotionsgehemmten Vater und sah den geliebten älteren Stiefbruder in die Schizophrenie abgleiten. Jackes Buch schildert, trotz stilistischer Mängel und vieler Schreibfehler, erhellend, wie Bowie seine widerstreitenden Gefühle in narzisstischer Exzentrik, manischer Euphorie und abgrundtiefer Depression zum Ausdruck brachte. Es resümiert das Gegenteil des gängigen Klischees vom früh ausgebrannten Popstar, beschreibt David Bowies Borderline-Exzesse am Ende als geglückten Weg zum Ich. Heute nämlich widmet sich der Megastar dem Malen und Schreiben. Er tanzt nicht wie die Rolling Stones den Altersrock vor, sondern geht spazieren, in seinem Lebensmittelpunkt New York City. Den Glamour überlässt der 64-Jährige seiner langjährigen Gattin Iman. Die Diplomatentochter aus Somalia weiß ihm auf Augenhöhe zu begegnen.

Besprochen von Claudia Lenssen

Andreas Jacke: David Bowie – Station to Station. Borderline-Motive eines Popstars
Psychosozial-Verlag, Gießen 2011
280 Seiten, 29,90 Euro