Partys und Pandemie

Der Drang zum Feiern ist zutiefst menschlich

04:16 Minuten
Menschen tanzen ausgelassen mit hochgehobenen Armen.
Die Aussichten für kollektives Aufwallen bleiben düster, fürchtet Nicola Schubert. © Unsplash / A. L.
Ein Einwurf von Nicola Schubert · 25.09.2020
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Eigentlich ein Ort der Ekstase: Dass Partys zurzeit nur mit angezogener Handbremse möglich sind, tut Nicola Schubert weh. Das Feiern ist nämlich kein Luxus, auf den wir gut verzichten können, sondern hat grundlegende Funktionen, meint die Autorin.
Schwitzende Körper, die sich gemeinsam zu einem Rhythmus bewegen, die sich, mal absichtlich, mal unabsichtlich oder beiläufig berühren. Dröhnende Bässe, blitzende Lichter, rauschhafte Atmosphäre: Ich finde das großartig. Im Moment geht das einfach nicht, völlig klar.
Doch das tut weh. Ein ganzer Sommer ohne Feiern und Tanzen in Clubs, ohne Konzerte und Festivals liegt fast hinter uns. Das ist kein kleiner Verlust.
Rauschhaftes Feiern ist etwas zutiefst Menschliches, davon zeugen schon die frühesten Überlieferungen. Kaum etwas ist von Anthropolog*innen so dicht beforscht wie die Feierkultur. Und der Verzicht darauf scheint nicht konsequent durchhaltbar zu sein.

Fehlt die Erleichterung durch das Feiern?

Verbotene Raves machen vielleicht wütend, sind mitunter gefährlich, auch rücksichtslos, aber menschlich nachvollziehbar. Hat das Klagen über Energielosigkeit, dieses dumpfe Grundgefühl, das viele Menschen beschreiben, auch damit zu tun, dass uns die Erleichterung durch das Feiern fehlt?
Der Mensch tanzt, bevor er spricht. Viele Kinder beweisen das, die sich zu Musik bewegen, bevor sie singen oder eben sprechen können. Und nicht nur sie: Auch einige Tiere reagieren mit Bewegungen auf Rhythmen.
Bevor es die Schrift gab, so vermuten Forscher*innen, diente der Tanz bei Festen, zum Beispiel bei Beerdigungen, auch der Gedächtniskultur. Es ging darum, Erinnerungen wachzurufen und gleichzeitig dem Moment einen Ausdruck zu verleihen.

Tanzen hilft gegen Depressionen und Demenz

Es liegt im Feiern also auch eine Betonung des Gegenwärtigen, ein angenehmer Stillstand in der Zeit, eine Bewegung gegen die Vergänglichkeit und letztlich: gegen den Tod. Tanzen hilft gegen Depressionen und Demenz und stärkt das Herz-Kreislauf-System. Es verweist zudem natürlich auch auf Sex, also der Grundbedingung von Leben.
"Sie können ja zu Hause mit ihrer Partnerin tanzen". Dieser Vorschlag kam vom bayerischen Ministerpräsidenten Söder. Mal abgesehen davon, dass nicht alle Menschen eine Partnerin oder ein Zuhause haben, entspricht das überhaupt nicht dem Bedürfnis, das hinter dem Tanzen in einer Masse steht: ein kollektives Erlebnis. Gegen Anspannung und für das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, als Gruppe gemeinsam – je nach Tanz sogar synchron - zu handeln.
Das Fest ist der Ort der Ekstase, der Selbstvergessenheit, des Rausches, auch des Hormonrausches, des gemeinsamen Flows. Es kann nicht einfach nur als egoistischer Hedonismus abgetan werden, sondern bietet wichtige Ausflucht aus täglichem Leistungsdruck und Vereinzelung.

Kollektives Aufwallen ist politisch

Zu Hause mit der Partnerin zu tanzen, ist etwas völlig anderes. Das Feiern in den Clubs, das kollektive Aufwallen, ist öffentlich und damit auch politisch. Nicht der private Raum wird dabei groß gemacht, sondern eben der öffentliche, das gemeinsame Erleben auch mit Fremden. Das kann eine ungeheure Energie erzeugen.
Ähnlich wie bei Demonstrationen. Die ausblutende Veranstaltungsbranche schaut fassungslos auf Anti-Coronamaßnahmen-Demonstrationen, bei denen keine Masken getragen, keine Abstände eingehalten werden. Menschen nehmen sich hier immer wieder, wie zuletzt zum Beispiel in Dresden, Freiheiten, die sich andere schmerzlich verkneifen.
Die Aussichten für das Feiern bleiben düster. Und der Frust darüber wird wachsen. Dieser Frust lässt sich auch nicht so leicht wegdiskutieren, weil hinter ihm starke Bedürfnisse stehen, die sich trotz aller gebotener Vernunft beharrlich melden.
Und dass das so ist, zeigt uns wieder und wieder: Das Wort Systemrelevanz suggeriert auf verständliche, aber trotzdem problematische Weise Prioritäten, die die Vielfältigkeit menschlichen Verlangens und notwendiger sozialer Interaktionen, manche nennen es auch Kultur, nicht abbildet.

Nicola Schubert ist Schauspielerin und freie Autorin. Sie begann bei den "Ruhr Nachrichten" und Radio 91,2 in Dortmund und mit einem Theater- und Medienwissenschaftsstudium. Zurzeit ist sie, nach Schauspieldiplom in Frankfurt am Main und Erstengagement in Ostwestfalen, am Theater Ulm engagiert.

© Birgit Hupfeld
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