Partisanen zwischen Mythos und Wirklichkeit

Rezensiert von Jörg Friedrich · 05.07.2009
Der Historiker Bogdan Musial räumt in seinem Buch "Sowjetische Partisanen 1941-1944. Mythos und Wirklichkeit" mit gängigen Legenden über sowjetische Partisanen im Zweiten Weltkrieg auf. Er untersucht ihr Verhältnis zu Staat und Zivilbevölkerung und identifiziert sie als Täter und Opfer zugleich.
Ein tapferer Mann ist der Partisan. Ganz aus freien Stücken bereitet er dem Heere, das fremden Boden betritt, einen blutigen Empfang. Es hat dort nämlich nichts verloren. Freudig unterstützen den Partisanen die Bauern, die Händler, die Priester bei der Säuberung des Vaterlands, von irgendetwas muss er schließlich in seinem Hinterhalt leben. Sein Name sei "Taliban" und schon steckt man inmitten des Schlamassels.

Der Eindringling behauptet von sich, er käme als Befreier, ja Freund, nicht eben des Talibans, jedoch des Bauern und seiner Mägde, die jener ungerufen schindet. Physisch besteht der Eindringling aus 19- bis 20-Jährigen, denen man vor ihrem Einsatz etwas erzählt hat, das simpel zu verstehen, aber schwieriger zu beurteilen ist. Besser als andere begreift der 19-jährige Eindringling aus Lüneburg alsbald, dass der Partisan ein feiger Hund ist. Er kämpft nicht mit offenem Visier, sondern inkognito, verschanzt sich hinter Wehrlosen, schmeißt seine Bombe ins Getümmel und rennt weg. Will man ihn stellen, kommen Unbeteiligte zu Schaden und eben das bezweckt er, einen schmutzigen Krieg.

Für den Kriegsrechtskundigen, sagen wir, den Justizminister der George-Bush-Administration, ist der Partisan schlichtweg ein Verbrecher. So will es das Völkerrecht, aber es will nicht, dass es verbrecherisch behandelt wird. Denn zweifelsohne ist der Verbrecher Mensch und Träger von Menschenrechten. Damit wären wir bei der deutschen Wehrmacht, die gerade jetzt vor 68 Jahren ungebeten nach Russland zog, dort auf einen zähen Partisanenwiderstand stieß und ihn auf eine Weise liquidierte, die weltweit als höchst kriminell angesehen wird.

Dies, kurz gesagt‚ gründet in der von den Unsrigen sogenannten Austrocknung des Partisanensumpfes, d.h. Massakern an der Dorfbevölkerung, der eine Nähe zu den Partisanen unterstellt wurde. Die Banden in ihren Verstecken aufzuspüren und auszuschalten kostete Aufwand und lenkte von der eigentlichen Sorge der Wehrmacht ab, die Rote Armee unterzukriegen.

Massakrierung der Zivilbevölkerung war, nebenbei, ein allen Parteien des Weltkriegs geläufiges Kriegsmittel. Am einfachsten aus der Luft, am Boden komplizierter darum, weil die Bodentruppe das gegnerische Zivil in ihrem Rücken braucht, von ihm lebt und seine Loyalität mehr nützt als sein Hass. Dem Piloten hingegen ist egal, ob ihn 3000 Meter tiefer die Berliner hassen. Befreit wird man hüben wie drüben zunächst einmal vom Leben.

Der Zivilist - Bauer, Magd und Mägdekind - sitzt im Partisanenkrieg exakt in der Schusslinie zweier Fronten. Dies schärfer herausgearbeitet und sauberer belegt zu haben als alle Historiker vor ihm, ist das Verdienst Bogdan Musials, dessen Werke dem Leser regelmäßig die Schuppen von den Augen pusten.

"Die beiden Parteien verfahren nach dem Prinzip ‚Wer nicht für mich ist, ist gegen mich’. Aus deutscher Sicht waren die Bewohner der Partisanenzonen vogelfrei, gleichgültig, ob sie die Partisanen unterstützten oder nicht. Ähnlich behandelten die Partisanen die Bewohner der Gebiete, die sie nicht kontrollierten. Im November 1942 klagte der Sowjetkommissar der weißrussischen Diversionsbrigade: ‚Die Partisanen kompromittieren sich in den Augen der Bevölkerung als eine Plündererbande, denn sie marodieren, begehen Diebstähle und erschießen Zivilisten im betrunkenen Zustand.’ Ihnen blieb nach der Zerschlagung der sowjetischen Macht nichts weiter übrig, als sich vor dem Verhungern durch Plünderungen zu retten und an den weißrussischen Bauern zu rächen, weil diese sich geweigert hatten, für Kommunisten und Juden zu sterben und die Truppen des großen Deutschland WILLKOMMEN geheißen hatten."

Die Schändlichkeiten der Wehrmacht in Russland im Allgemeinen und bei der Partisanenabwehr im Besonderen werden hierzulande jedem Schulkind und Fernsehgucker genügend drastisch eingepaukt, dass sich die Frage erübrigt, wer dieser Partisan denn eigentlich ist. Ein heimatliebendes Opfer deutscher Schlächter, was sonst! Erstens richtig, zweitens falsch. Denn ‚sonst’ ist er noch ein heimatliebender Schlächter seiner eigenen Mitbürger. Das geht übereinstimmend aus sowjetischen wie deutschen Militärquellen hervor. Die deutschen melden:

"In den von deutschen Truppen nicht belegten Ortschaften erschießen sie die von uns eingesetzten Bürgermeister, Verwaltungsorgane und Ordnungsdienstmänner mitsamt ihren Familien. Die Angehörigen der Bürgermeister und Ortsschulzen werden von den Partisanen in Ställe gesperrt und bei lebendigem Leibe verbrannt."

Um dies zu quantifizieren, schreibt Musial:

"Nach einem Bericht des weißrussischen Stabes vernichteten die sowjetischen Partisanen in Weißrussland zwischen Juni 1941 und Januar 1944 exakt 17.431 Polizisten und Verräter. Bezeichnenderweise werden im Abschlußbericht für das Jahr 1944 keine Angaben über die getöteten Polizisten und Verräter mehr aufgeführt. Es ging dabei offensichtlich darum, das Ausmaß des angeblichen Verrats und der Kollaboration mit den deutschen Besatzern zu kaschieren."

Geschätzt wird, dass auf dem weißrussischen Territorium etwa 40.000 Einheimische in der Bezirksverwaltung tätig waren. Kalkuliert man die breiten Abrechnungen von 1944, die Familienangehörigen und das gesamte sowjetische Kriegsgebiet mit ein, so sind wohl weit über 100.000 russische Zivilleben zu beklagen. Die Zivilopfer des deutschen Antipartisanenkriegs in seinem Zentrum, Weißrussland, schätzt Musial auf zwischen 100.000- und 200.000. Dabei hielten sich die Wehrmachtsverluste in Grenzen:

"Ingesamt mögen es zwischen 6.000 und 7.000 gewesen sein."

Die Geschichtsschreibung in Staaten mit aufmerksamer Zensur, wie Russland oder die Bundesrepublik, operiert vorzugsweise mit Legenden, gerührt aus Zutaten der Wirklichkeit und der Unwirklichkeit. Eine gefilterte, zensurierte Wirklichkeit wird legendär. Zensuriert wird gern, dass die Partisanenbewegung zu einem Teil bemannt war von NKWD-Kadern, dem sowjetischen Pendant der SS. Ferner: dass sie alles andere als ein Volkswiderstand gegen den Aggressor gewesen ist, sondern ein von Stalins Leuten zentral konzipierter, irregulärer Arm der Streitkräfte, sagen wir, wie die blutigen Tschetniks im jüngsten Jugoslawien-Krieg als Arm der serbischen Armee wüteten. Fachleute fürs Grobe.

Es bedarf wohl eines polnischen Autors, um einen so traurigen wie menschlichen Sachverhalt zu zeichnen: dass der Großteil der Partisanen aus überrollten Rotarmisten, geflohenen Gefangenen und Deserteuren bestand, die ohne weitere politisch-militärische Ambitionen sich im Walde zusammenrotteten, um nicht im deutschen Gewahrsam zu krepieren. Wie überleben Männer im Wald? Sie plündern die Bauern, die nichts übrig haben und darum lahm geschlagen werden. Man unterhält sich mit Saufen und Vergewaltigen, kämpft allenfalls, um diesen Verweil zu verteidigen, weiß Verwundeten nicht zu helfen, Geschlechtskranke nicht zu heilen, kann mit Schwangeren und mit Gefangenen nichts anfangen und erforderlichenfalls wird aller Ballast und was immer sich muckt umgelegt.

Hier und da existieren Kontakte zu Väterchen Stalin und seinen Planbürokraten in der Ferne, dass sie per Flugzeug ein so knappes Lebenselixier abwarfen wie Salz, oder Sprengstoff und Munition. Die Erfolgsmeldungen sind sozialismusüblich frisiert. Gefechtserfolge gegen die Deutschen traten eher selten ein, die aus Moskau befohlenen Anschläge auf Schienen und Depots schon häufiger, doch nicht häufig genug, dass sie von unseren tüchtigen Pionieren nicht mehr zu flicken waren. Ihre stattlichsten Erfolge erzielten die Partisanen beim Abmurksen von Landsleuten, die der Wehrmacht behilflich waren, etwa dabei, die Partisanen aufzugabeln, denn dazu gehört Ortskunde.

Im Übrigen gab es auch Ausnahmeerscheinungen wie den Obersten Niciporovic, der heldenmütig und unerbittlich mit seinen Banditen den Deutschen zusetzte, allein weil sie seine Heimat nicht zu befreien, sondern zu unterwerfen kamen, häufig das kleinere, meist das größere Übel waren als der Kommunismus. Niciporovics Leben endete im Januar 1945 in Moskaus NKWD-Gefängnis Butyrka. Stalins servile Henker ertrugen nicht eine so stolze Gestalt.

Bogdan Musial: Sowjetische Partisanen 1941-1944. Mythos und Wirklichkeit
Schöningh Verlag, Paderborn 2009

Das Buch erscheint laut Verlag am 22. Juli 2009.