Parteiische Anklage

Rezensiert von Andreas Baum · 30.09.2005
Der Autokonzern in Wolfsburg dürfte kaum amüsiert sein über das "Schwarzbuch-VW". Darin hat das ehemalige Preussag-Vorstandsmitglied Hans-Joachim Selenz zusammengetragen, was er an Volkswagen auszusetzen hat. Ein Schwarzbuch, wie es im Buche steht.
Ein Schwarzbuch ist – so steht es im Lexikon – eine Auswahl schlechter Nachrichten zu einem Thema, ausschließlich aus Sicht des Autors. Dort dürfen, ja müssen auch Gerüchte und Vermutungen gesammelt werden, das Anklagende ist der Grundton in dieser Gattung. Nach dieser Definition ist es dem Autor Hans-Joachim Selenz zweifellos gelungen, dieses Genre zu bedienen.

Das "Schwarzbuch VW" versammelt jede Art von Ungeheuerlichkeit, die über diesen Konzern zu sagen wäre. Das Buch erscheint zur rechten Zeit. Der Skandal um die Verquickung von privaten und geschäftlichen Interessen im Volkswagenkonzern ist präsent, in den Medien wie im Bewusstsein der Deutschen. Erst in dieser Woche ist im "Stern" ein langes Interview mit einem Ex-VW-Manager veröffentlicht worden. Dort wird in allen Einzelheiten beschrieben, wie auf aufwändigen Reisen in tropische Paradiese für Betriebsräte, Aufsichtsratsmitglieder und andere Wolfsburger Entscheider Prostituierte "organisiert" wurden, alles auf Kosten des Konzerns. Einer der Hauptverantwortlichen ist Peter Hartz, der den Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung den Namen gegeben hat.

VW - eine Räuberhöhle?

Das Buch von Hans-Joachim Selenz erwähnt die Sexpartys auch, sie sind aber nur ein Detail in einer langen Liste von Fällen der Untreue, Bestechung und des Betrugs. Dabei ist sich der Autor auch nicht zu schade nachzurechnen, auf welchen Dienstreisen die Nutzung der Mini-Bar und des kostenpflichtigen Porno-Kanals über VW abgerechnet worden ist. Alles in allem ergibt sich das Bild eines Molochs mit mafiösen Strukturen, in dem alle Kontrollmechanismen längst versagt haben.

In der Mitte seines Buches zitiert der Autor sogar Aussagen, die die Existenz eines firmeninternen Geheimdienstes behaupten, zu dessen Repertoire auch Auftragsmorde gehören. Düster wird hier ein Konzern portraitiert, der zum Selbstbedienungsladen für seine Manager geworden ist, der Wirtschaftsprüfer, Journalisten und die Justiz zu Komplizen gemacht hat und auch die Politiker in einer bewährten Mischung aus Korruption und Kooptation zu manipulieren weiß. Dem Autor verdächtig, von Volkswagen auch persönlich profitiert zu haben, sind insbesondere die Ministerpräsidenten Niedersachsens, die ehemaligen: Gerhard Schröder, Gerhard Glogowski, Sigmar Gabriel, aber auch der aktuelle: Christian Wulff.

Der Ankläger ist nicht neutral

Das bisweilen reißerisch geschriebene Buch bietet leider wenig neue Erkenntnisse. Die Skandale im VW-Konzern sind längst von Medien veröffentlicht worden und werden, soweit strafrechtlich relevant, vor Gericht verhandelt. Selenz hat nach eigenem Bekunden Akten der Staatsanwaltschaft Braunschweig gelesen. Den bekannten Fakten fügt er einen Wust von Vermutungen und Andeutungen hinzu.

Es ist ihm – zusätzlich zu dem fraglos ehrenwerten Anliegen, Korruption aufzudecken – ganz offensichtlich wichtig, auch die spezifische Konzernstruktur von VW in Misskredit zu bringen. Denn hier gibt es seit dem Zweiten Weltkrieg eine besonders enge Kooperation der Tarifpartner; Gewerkschaften und Betriebsräte haben im Aufsichtsrat mehr Einfluss als in vergleichbaren Betrieben, zum Nutzen der Arbeiter und Angestellten, die rund 20 % mehr verdienen als ihre Kollegen anderswo und über zahlreiche zusätzliche Privilegien verfügen. Volkswagen wird immer als Beispiel für eine "Ehe" zwischen Arbeit und Kapital genannt, und das scheint den Autor zu stören.

Selenz, der einst aus dem Vorstand der Preussag flog, kandidierte später erst für die FDP, arbeitete dann für die rechtsextreme Schill-Partei. Er nutzt das Buch auch, um ganz persönlich dreckige Wäsche zu waschen und manchen Akteur, der ihm in vergangenen Jahren im Wege stand, zu diskreditieren. Das macht ihn insgesamt unglaubwürdig. Was bedauerlich ist, denn ein "Schwarzbuch VW" ist ohne Zweifel dringend notwendig. Aber nicht so.


Hans-Joachim Selenz unter Mitarbeit von Detlef Gürtler:
Schwarzbuch VW. Wie Manager, Politiker und Gewerkschafter den Konzern ausplündern

Eichborn Verlag, 224 Seiten, 14,90 €