Parolen auf Pappen

Unterwegs mit Wahlkämpfern in Brandenburg

05:13 Minuten
Wahlplakate an einer Straße in Brandenburg
Plakate in Brandenburg: Der Wahlkampf ist in vollem Gange. © picture alliance / dpa / Revierfoto
Von Axel Flemming · 20.08.2019
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Anfangs sah es in einigen Gemeinden so aus, als ob nur die AfD bei der Landtagswahl in Brandenburg antritt. Denn die rechtspopulistische Partei plakatierte als erste. Dann zogen die anderen Parteien nach. Mittlerweile wird es eng an den Laternenpfählen.
Dass Arnd Heymann weiß, wo seine Wahlplakate hängen, hat er einer App für Hundebesitzer zu verdanken. Bevor er seinen Wagen in Bewegung setzt, blickt er auf das Programm in seinem Smartphone, das sonst Spaziergänge mit den Vierbeinern dokumentiert.
"Einfach nach Apps gesucht, wie ich in der Lage bin, meinen Weg mit Bildern aufzuzeichnen und an den markierten Punkten und entsprechend eine Art Rückverfolgbarkeit möglich zu machen. Wo hängt welches Plakat? Denn es ist nicht mit dem Aufplakatieren getan. Wir müssen es ja auch abplakatieren."

Immer wieder verschwinden Wahlplakate

Im geräumigen Kofferraum liegt alles bereit: rechts ein Stapel von etwa 20 Plakaten, links eine Klappleiter.
Heymann hält an einer Laterne in Berlinchen. Dort sollte eigentlich sein Konterfei hängen, wie er auf einem Foto von der letzten Tour festgehalten hat. Also Leiter raus und los.
Er zieht den oberen Kabelbinder zu, schiebt das Plakat so hoch, dass er gerade noch an die untere Kante herankommt und fixiert es dort mit der Plastikmanschette.

Er ärgert sich, dass das alte vermutlich geklaut oder zerstört wurde – und freut sich, sollte es sich um einen heimlichen Fan gehandelt haben.
"Wenn jemand möchte, kriegt er auch ein Autogramm dazu, aber: Die wollen das nicht haben!"
Jetzt hängt sein Bild wieder am Stahlpfahl vor der Dorfkirche: kurze mittelbraune Haare, Scheitel rechts nur angedeutet, Jackett, weißes Hemd, kein Schlips. Arnd Heymann, AfD. "Wende 2.0" steht als Wahlspruch fett links oben.
Der angestellte Geschäftsführer steht auf der Landesliste der Partei auf Platz 34. Das sichert ihn vermutlich nicht ab, wenn er nicht das Direktmandat holt.
Arnd Heymann (AfD) hängt ein Wahlplakat auf.
Arnd Heymann (AfD): ein "Wessi" plakatiert "Wende 2.0"-Parolen.© Axel Flemming

An den Laternenpfählen wird es langsam eng

Heymann tritt an im Wahlkreis zwei, der offiziell "Prignitz II / Ostprignitz-Ruppin II" heißt. 15 Gemeinden im Nordwesten Brandenburgs, eine Fläche etwa halb so groß wie das Saarland. Er versucht überall Präsenz zu zeigen, durch Plakate und persönlich.
Da er am ersten Tag, an dem es erlaubt war, begonnen hatte zu hängen, kam bei einigen der Eindruck auf, dass nur die AfD zur Landtagswahl antritt, schmunzelt er.
"Ich bin selber schon am 20. Juli aufgebrochen und habe die ersten Plakate gehängt, deutlich vor den anderen Parteien. Das war unser Aufbruchtermin, dass wir gesagt haben: Okay, ab jetzt dürfen wir, also plakatieren wir auch."

Inzwischen haben die anderen Parteien mit der Plakatierung nachgezogen. Robert Funke steigt von seinem hellblauen Lastenfahrrad. Der schlaksige junge Mann mit dem dunkelblonden, lockigen Haar, das kaum zu bändigen scheint, ist erst 19, aber ein erfahrener Plakatierer. Schon vor sechs Jahren war er mit Annalena Baerbock unterweg. Da war sie noch nicht Bundesvorsitzende von Bündnis 90/die Grünen.
Jetzt tritt Funke selber an im Wahlkreis 19: Potsdam Nord. Und weil dort nicht so viele Leute wohnen, gehören auch noch Werder/Havel und die Gemeinde Schwielowsee dazu.
Auf der Landesliste steht er auf Platz 20. Bislang haben die Grünen sechs Abgeordnete im Parlament in Potsdam.
"Wir haben aber bei der letzten Wahl auch nur 6,2 Prozent bekommen. Jetzt stehen wir in den Umfragen bei 17 Prozent, dementsprechend könnten auch bis zu 17 Leute in den Landtag kommen. Und dann ist Platz 20 mit einem Mal gar nicht mehr so weit hinten, wie es klingt."
Robert Funke, der als Beruf "Sprecher der Grünen Jugend Brandenburg" angibt, hängt Plakate von Robert Habeck auf. Zum Beispiel an der Allee mit Blick auf das Schloss Sanssouci.
Auf allen Grünen Plakaten steht "Brandenburg ist erneuerbar". Aber die Laternenpfähle werden langsam knapp. Das führt dazu, dass die vorhandenen Pappen immer höher wandern. Die obersten Plakate an den Peitschenmasten, die über die Fahrbahn ragen, geraten schon in Schieflage.
Robert Funke, Sprecher der Grünen Jugend Brandenburg, mit einem Lastenfahrrad, auf dem Wahlplakate transportiert werden.
Robert Funke, Sprecher der Grünen Jugend Brandenburg, ist schon geübt im Plakatieren.© Axel Flemming

Plakatieren - ein ganz schöner Aufwand

Bei den Grünen sind die Kabelbinder schwarz, und die überstehenden Plastikenden müssen mit einer Schere abgeschnitten werden oder in die Pappen hineingefädelt.
Da ist das Ordnungsamt Potsdam sehr genau, sagt Funke. Das hilft aber auch nicht gegen Vandalismus.
"In der Gegend, in Innenstadtnähe, hatten wir bisher noch Glück. In Golm wurden mal 30 Plakate in einer Nacht abgerissen. Und ein Mitglied der Grünen Jugend hat sogar mal einen Mitarbeiter der Stadtentsorgung dabei beobachtet, wie er bei einem Plakat, auf dem ich abgebildet bin mit einem Messer Stiche reingemacht hat."
Unterdessen ist Arnd Heymann am Ende seiner Tour durch den Wahlkreis angelangt, hat 64 Kilometer hinter sich. Weniger Zerstörung als beim letzten Mal, konstatiert er, der sich als Christ und national-konservativ bezeichnet.
Mit der Parole "Wende 2.0" greift die AfD auf einen Begriff der friedlichen Revolution in der DDR zurück. 1989, da war Heymann gerade 18 Jahre alt:
"War noch im Rahmen meiner Schulzeit eingebunden, also im Gymnasium. Und war ganz begeistert davon, die Bilder im Fernsehen zu sehen. Bin aber erst selber – warten sie mal… Ich bin selber erst 1999 im Spätsommer das erste Mal über Eisenach in die Ex-DDR reingefahren."
Und so plakatiert der Wessi nun fleißig für die AfD: "Vollende die Wende", "Der Osten steht auf" oder "Wir sind das Volk".
600 Plakate hat Heymann in seinem Wahlkreis gehängt, Hunderte Kilometer muss er dafür fahren – ein ganz schöner Aufwand. Ob das wirklich wirkt, weiß er nicht. Ob der sich wirklich gelohnt hat, wissen er und Robert Funke am Abend des 1. September.
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