"Paris des Nordens"

Rezensiert von Andreas Schäfer · 29.03.2006
In "Homo Novus" von Anslavs Eglitis geht es um Riga in den dreißiger Jahren. Die Stadt, auch "Paris des Nordens" genannt, gilt als geradezu kunstbesessen. Das halbe Dutzend Künstler haust zwar in billigen Dachabsteigen, ist aber ansonsten gesellschaftlich mittenmang - beispielsweise auf Empfängen Industrieller. Und alle, selbst die Kutscher von der Straße, reden über Kunst.
Er gehört zu den großen lettischen Nachkriegsautoren, ist aber nicht nur hierzulande völlig unbekannt: der Schriftsteller und Maler Anlavs Eglitis. Er wurde 1906 in Riga geboren und ging 1944, als Lettland infolge des Hitler-Stalin-Paktes erst von Sowjet-Truppen und dann von der Wehrmacht besetzt worden war, ins amerikanische Exil, wo er 1993 starb, nachdem er sich jahrzehntelang mit Filmkritiken für ein lettisches Exil-Magazin über Wasser gehalten hatte.

Eglitis schrieb mehrere Romane, "Die Brautjäger" (1940) oder "Der Mensch vom Mond" (1954), sein Hauptwerk aber war "Homo Novus", ein "Künstlerroman aus dem Riga der 30er Jahre", der durch Krieg und die Lebenssituation des Autors fast untergegangen wäre. Der Roman erschien zwar 1944 zuerst in Lettland, aber nur als Fortsetzung in einer Literaturzeitschrift. Als Buch kam es 1946 in einem amerikanischen Verlag heraus, und erst ein halbes Jahrhundert später, als Lettland wieder seine Unabhängigkeit erhalten hatte, erschien 1992 eine Neuauflage in Riga.

Ähnlich kompliziert gestaltete sich auch die deutsche Übersetzung: die Rechtebesitzer waren erst nicht aufzutreiben und schienen dann kein sonderliches Interesse an weiteren Ausgaben zu haben. Doch nun ist der Roman im Bonner Weidle Verlag erschienen, 500 Seiten dick und von Berthold Forssman in klares, plastisches Deutsch übertragen. Und hat man sich erst durch die ersten Seiten der etwas schematische Exposition gelesen, mag man diesen intelligenten Roman nicht mehr aus der Hand legen, der mit seinen Hauptthemen Eitelkeit, Kunst und Liebe etwas durchaus Zeitloses hat. Im Zentrum steht der junge Juris Ubenajs, der als frischgebackener Kunsthochschulabsolvent aus der Provinz in die Hauptstadt kommt und innerhalb eines Jahres zum Star der Rigaer Kunstszene aufsteigt. Nebenbei gewinnt er das Herz der rätselhaften Bildhauerin Ciemelda, steckt aber auch - es handelt sich auch um einen Entwicklungsroman – einige augenöffnende Niederlagen ein.

Das Riga der 30er Jahre, auch "Paris des Nordens" genannt, ist in Eglitis Beschreibung geradezu kunstbesessen. Das halbe Dutzend Künstler, das neben Juris um gute Kritiken, Brotjobs und lukrative Auftragsarbeiten konkurriert, haust zwar in billigen Dachabsteigen, ist aber ansonsten gesellschaftlich mittenmang. Man steht auf Empfängen Industrieller herum, besucht Gerichtsverhandlungen und frequentiert einfache und noblere Lokale. Und alle, selbst die Kutscher von der Straße, reden über Kunst.

Mit Juris Upenjas hat sich Eglitis mehr oder weniger selbst porträtiert, denn auch Eglitis studierte Kunst und arbeitete als Lehrer an einer Schule, die - dem zuspitzenden Geist des Romans gemäß - im Text zu einer männerverschlingenden Anstalt für verwöhnte, höhere Töchter wird. Eglitis Blick auf sich selbst ist nicht ohne liebevolle Ironie. Juris ist ein sympathischer Tor, zäh und begabt, aber auch eitel, also den Einflüsterungen anderer ausgeliefert. Der Meister der Einflüsterungen heißt Felikss Kurcums, und mit ihm ist Eglitis eine tragisch schillernde Mephisto-Figur gelungen, die sich im Verlauf der Handlung als eigentlicher Held, beziehungsweise Antiheld erweist.

Kurcums, auch "der Alleswisser" genannt, hat das Zeug zum Künstler, ist aber aus Mutlosigkeit Journalist geworden. Er ist ein großer Psychologe, der seine Einfühlungsfähigkeiten aber ausschließlich dazu nutzt, Zwietracht, Skandale und vor allem Klatsch zu produzieren. Kurcums "macht" Juris überhaupt erst, in dem er ihn, frisch angekommen, am Bahnhof aufgreift und gleich in eine Boheme-Wohnung schleppt, wo alle wichtigen Künstler versammelt sind. Dank seiner Fädenzieherei gerät alles zum äußerst amüsanten Theater eines Witzfigurenkabinetts, dessen Konflikte Eglitis auf mehreren Handlungssträngen spannungsreich auf den Showdown zulaufen lässt, einen Kunstwettbewerb, der mit Geld und Parisstipendium lockt. Im Grunde aber will Kurcums beweisen, dass Inszenierung alles ist und Qualität keine Rolle spielt. Da irrt der Alleswisser natürlich. Das Gerede hat gegen die Substanz zumindest in diesem Fall keine Chance. Juris ist tatsächlich ein guter Maler und kann deshalb auch ganz unbesorgt zur Preisbekanntgabe ins Rathaus gehen.


Anslavs Eglitis: Homo Novus. Ein Künstlerroman aus dem Riga der dreißiger Jahre.
Aus dem Lettischen übersetzt von Berthold Forssman.
Weidle Verlag, Bonn 2006.
525 Seiten, 23 Euro.