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Ausstellung über Tristan Tzara
Vorsichtige Annäherung an Monsieur Dada

Das Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Strasbourg gestaltet eine Ausstellung über Tristan Tzara, den "approximativen Mensch, Dichter, Essayist, Sammler". Im Herbst 1915 begann der erst 19-jährige Lyriker damit, die Absurdität der Geschichte mit einer ebenso absurden Poesie zu bekämpfen.

Von Christian Gampert | 27.09.2015
    Als der in einer rumänischen Provinzstadt geborene Samuel Rosenstock sich aus poetischen Gründen zunächst in Samyro und dann in Tristan Tzara umtaufte, befand sich die Welt in Katastrophen und Umbrüchen. Tristan war wohl dem Wagnerkult und der Liebe geschuldet, Tzara geht auf das rumänische Tara (Land, Erde, terre) zurück und hat mit einem eingeschobenen Z eine schöne Ähnlichkeit mit dem Zaren. Und als solcher empfand sich Tzara später auch ein wenig.
    Im Herbst 1915, mitten in der Metzgerei des Ersten Weltkriegs, begab sich der 19-jährige Lyriker Tristan Tzara nach Zürich, um die Absurdität der Geschichte mit einer ebenso absurden Poesie zu bekämpfen. Das von Hugo Ball gegründete "Cabaret Voltaire" wurde die Zentrale einer Bewegung, die das Bürgertum mit theatralischen Simultan- und Nonsensegedichten verschreckte und das Sinnfreie zum Prinzip erhob: Dada, "le microbe vierge", die jungfräuliche Mikrobe, sollte sich bitte sehr rasend schnell über Europa verbreiten und die von nationaler Ideologie betäubten Köpfe durchpusten.
    Tabulosigkeit, Kraft und Optimismus
    Was heute an dieser konsequent multilingualen Bewegung frappiert, ist nicht nur ihre Tabulosigkeit und Kraft, sondern auch dieser Optimismus der Machtlosen, die tatsächlich glaubten, mit ein paar Gedichten die Welt zu erschüttern. Und die als Kosmopoliten von Zürich her in alle Welt ausschwärmten: Huelsenbeck nach Berlin, Tzara nach Paris zu Picabia. Es gehört zu den schönsten Momenten in der Straßburger Ausstellung, dass man die Stimme Tzaras tatsächlich einmal hören kann, diese schwere rumänische Zunge.
    Es gebe in der französischen Literatur, sagt Tzara, eine Kontinuität revolutionärer Ideen, die vielleicht noch von den Enzyklopädisten stammen oder aus der Revolution von 1789 und dann von den großen Romantikern übernommen wurden. In dieser Tradition sah sich Tzara, der in Paris – natürlich – zu den Surrealisten stieß, mit ihnen wilde Sachen machte, Lesungen mit Rätschen, Sprengung von Futuristen-Veranstaltungen, inszenierte Gerichtsverhandlungen, sich mit ihnen überwarf und manchmal auch versöhnte; aber mit dem Papst André Breton konnte man wohl nicht gut auskommen.
    Wie soll man über all das eine Ausstellung machen? Wie von Tzaras symbolistischen Anfängen in Rumänien erzählen, von seinem politischen Engagement, seinem Einfluss als Dichter, Essayist und später als Kunstsammler? Das Verrückte ist ja, dass der begnadete Kunstinterpret Tzara sich konsequent als Antitheoretiker verstand und die Surrealisten verließ, weil sie ihm irgendwann zu wenig aktionistisch waren. Dass er Manifeste schrieb, aber die Dogmatisierung ablehnte.
    Die Straßburger Ausstellung löst dieses Problem, indem sie vor der Aufgabe einerseits kapituliert – und uns dann auf lauter kleine Fährten lockt, die man selber verfolgen muss. Es ist unmöglich, gleichzeitig eine Literatur- und Kunstausstellung zu machen. Das wäre aber hier nötig.
    Der Kurator Serge Fauchereau verzichtet auf jede museumsdidaktische Animation und lässt die Objekte für sich sprechen. Er hängt ausgewählte Bilder der Tzara-Weggefährten, und das ist wirklich die gesamte klassische Moderne von Arp, Picasso, Mirò, Max Ernst, Man Ray bis Tanguy, neben die Vitrinen mit Tzara-Manuskripten, am Rand bekritzelte Schreibmaschinenblätter, Zeitschriften, Briefe, Fotos.
    Detailarbeit in der Ausstellung
    Das ist für den Besucher Detailarbeit. Die Ausstellung präsentiert beeindruckende Beispiele aus Tzaras Sammlung afrikanischer Kunst - Tzara war der Stilisierung und den Masken sehr zugetan, aber die Sammlung ist sowieso in alle Welt verstreut. Und der Kurator sagt, er wolle hier keine heilige Messe veranstalten – man soll ja auch den politischen Tzara wahrnehmen, der im Spanischen Bürgerkrieg Partei ergriff, sich in der Provinz vor den Nazis versteckte, später aber mit seinen kommunistischen Freunden brach, als die den Ungarn-Einmarsch der Russen guthießen.
    Und doch: Am Ende war er eine intellektuelle Instanz in Paris, ein Zar inmitten seiner afrikanischen Skulpturen. "L'homme approximatif", der sich seinen Zielen immer nur annähernde Mensch, ist der Titel eines der berühmtesten euphorischen Gedichte Tzaras. "L'homme approximatif comme moi comme toi lecteur et comme les autres" – Menschen sind wir annäherungsweise, ich und du, Leser, und alle anderen.
    Diese Ausstellung nähert sich vorsichtig an. Und wer sich Mühe gibt, wird den Hauch einer intellektuellen Revolution dort noch spüren. Das "Cabaret Voltaire" gibt es in Zürich übrigens heute noch - oder vielmehr: wieder – man kann sogar einen Newsletter abonnieren.
    Ausstellungsinfos:
    Tristan Tzara, der approximative Mensch, Dichter, Essayist, Sammler
    bis 17.01.2016
    Museum für moderne und zeitgenössische Kunst Strasbourg
    Weblink zu Ausstellungsinfos