Parallelität der Verwandlung

04.04.2012
1987 in München geboren, wuchs Elias Wagner am Starnberger See auf. "Vom Liebesleben der Mondvögel" ist sein Romandebüt, darin beschreibt der Medizinstudent die Leiden der Pubertät und nimmt die innere Verfassung des 15-jährigen Protagonisten Max unter die Lupe.
Sein Debüt über die Leiden an der Pubertät zu schreiben ist naheliegend, wenn man wie Elias Wagner ein 25-jähriger junger Mann ist. Aber jeder Autor muss sich im Wettbewerb mit den vielen Vorgängern - von Salingers "Fänger im Roggen" bis zu Herrndorffs "Tschick" - etwas einfallen lassen. Etwas Eigenes, eine Variation, denn die eigentliche Problematik, die tiefe physische und psychische Verunsicherung ist in jeder Generation die gleiche.
Um der inneren Verfassung seines 15-jährigen Protagonisten Max einen äußeren Rahmen zu geben, beschreibt der Medizinstudent Elias Wagner das familiäre Milieu wie ein Dickicht. Ein verkommenes Bauernhaus, ein verwilderter Garten am Ufer des Starnberger Sees. Als hätte die schöne, von Reichen bevölkerte Landschaft um das Grundstück einen Bogen geschlagen, hausen hier Vater und Sohn.

Wortkarg der verlotterte Vater, der im Atelier der fehlenden Mutter manisch ihre Bilder übermalt, seinem Beruf als Architekt nachgeht und abends mit seinem Saab ziellos durch die Gegend braust. Der Mann, soviel ist schnell klar, ist auf der Flucht vor sich selbst. Er vermeidet Gespräche mit seinem Sohn, krault den Hund und füllt den Kühlschrank. Ob und was für Gedanken er sich macht, das lässt der Autor offen. Klar ist nur, dass ein unbewältigtes Unglück über allem lastet.

In der Schule freut man sich auf die Sommerferien. Jacob, der beste Freund von Max, träumt sich in eine erste Mädchenfreundschaft und schwebt über dem Boden. Max beobachtet das mit zurückhaltendem Misstrauen, er trödelt und eigenbrödelt vor sich hin, blättert in seinem Lieblingsbuch über das Leben der Insekten, radelt durch die Gegend, schwimmt zu seiner "Insel der Seligen", lässt die Zeit verdämmern. Elias Wagner gelingt es gut, die Verlorenheit von Max, sein seelisches Desaster darzustellen.

Er nutzt die Umgebung als Spiegel für den inneren Zustand. Wagner ist nicht klüger als sein Ich-Erzähler, er interpretiert nicht dessen Befinden, lässt ihn lethargisch durch den Tag treiben, vermeidet jeden aufdringlichen Jugendjargon und beschreibt durch Film- und Songtitel doch sehr genau die Welt, der Max zugehört.

Ein Mädchen taucht in seiner Nähe auf, kommt und geht wie ein Schmetterling, eine schöne, fast träumerische Begegnung, die vom Autor in der Schwebe gehalten wird. Dass Elias Wagner sich traut, der ganzen Geschichte, deren schrecklicher Hintergrund erst spät im Roman zur Sprache kommt, ein Happy End zu geben, wenigstens ein vorläufiges, spricht für die Souveränität des Autors. Aber so ganz hat er sich selbst und seiner Geschichte doch nicht getraut und deshalb die Liebe von Max zu den Insekten eingebaut.

Die Parallelität der Verwandlung, beispielsweise von einer Raupe in einen Schmetterling und der Verwandlung eines Jungen in einen jungen Mann, hätte der Roman als Untermalung gar nicht bedurft. Elias Wagner hat sich mit seinem Debüt als realistischer und stilsicherer Autor vorgestellt. Sein unaufgeregter Ton und seine sichere Beschreibungskunst sind bestechend.

Besprochen von Verena Auffermann

Elias Wagner. Vom Liebesleben der Mondvögel
Hoffmann & Campe, Hamburg 2012
240 Seiten, 19,99 Euro
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