Parabel auf die Diktatur

29.01.2008
Vor kurzem feierte Italien den 100. Geburtstag Alberto Moravias, dem großen Klassiker der Moderne. In der Erzählung "Cosma und die Briganten" wird ein Juwelierssohn auf dem Weg zu einem Geschäft von seinem Vertrauten und Chauffeur umgebracht. Die beiden versuchen, es einer Räuberbande in die Schuhe zu schieben. Doch dann geraten sie selbst in die Hände der Banditen.
Sein scharfer Blick für menschliche Unzulänglichkeiten entspringt vielleicht der langen Isolation. Der italienische Schriftsteller Alberto Moravia verbrachte neun Jahre seiner Jugend in Sanatorien - abgeschnitten von Zerstreuungen und der familiären Umgebung. Der 1907 als Sohn einer großbürgerlichen jüdisch-katholischen Familie geborene Moravia litt an der typischen Krankheit der Jahrhundertwende, an Tuberkulose. Vielleicht ist es dieser langen Phase der Abstinenz zu verdanken, dass sich Moravia über Nacht an die Spitze der italienischen Literatur schrieb.

1929, mit knapp zweiundzwanzig Jahren, veröffentlichte er im Selbstverlag seinen Roman "Die Gleichgültigen". Das eindringliche Porträt einer in zerstörerischer Passivität verharrenden römischen Familie wurde als Parabel auf die Lage Italiens unter Mussolini gelesen - die scharfsinnige Analyse der Bewusstseinskrise des Bürgertums, verfasst in einer unterkühlten, trockenen Sprache, stellt eine erste Ausprägung existenzialistischer Literatur dar und nimmt Jean Paul Sartre gewissermaßen vorweg.

Von der Kritik in seiner Bedeutung gleich erkannt, rief das Buch die Zensur auf den Plan. Nach der fünften Auflage verbot man "Die Gleichgültigen". Alberto Moravia arbeitete als Journalist und Auslandskorrespondent, veröffentlichte unter Pseudonym, erhielt schließlich Schreibverbot und musste untertauchen.

In der Nachkriegszeit avancierte er rasch zu einer zentralen Figur der italienischen Kultur, und zwar nicht nur als Schriftsteller. Moravia war zugleich der Prototyp des engagierten Intellektuellen, arbeitete bei der Tageszeitung "Corriere della Sera" mit und leistete einen entscheidenden Beitrag für die Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit. In den achtziger Jahren ging er als Abgeordneter der kommunistischen Partei ins europäische Parlament.

Die Erzählung "Cosma und die Briganten", die ohne Gattungsbezeichnung jetzt zum ersten Mal in deutscher Sprache erscheint, entstand rund zehn Jahre nach dem bahnbrechenden Debüt. Der Schauplatz ist ein kleines Land irgendwo auf dem Balkan. Klaus Wagenbach weist in einer knappen Nachbemerkung darauf hin, dass es durchaus Bezüge zu Italien gibt: allein die Verwendung eines Begriffes wie "Briganten", die eine typische Erscheinung der süditalienischen Berge sind, verweise auf Moravias Heimatland.

Entstanden kurz nach dem Verlust sämtlicher Korrespondentenverpflichtungen und kurz vor dem Schreibverbot von 1941, spiegelt der schmale Band zumindest atmosphärisch die Verhältnisse in einem diktatorischen System.

Dabei fängt alles ganz vergnügt an. Ein Juwelier schickt seinen Sohn Cosma, der immer für ein Abenteuer zu haben ist, mit wertvoller Ware in ein nahe gelegenes Städtchen. Der Schmuckmakler Ataman, ein Vertrauter der Juweliersfamilie, ja, beinahe ein Hausfreund, hat das Geschäft vermittelt. Es gebe dort eine Dame, die auf der Suche nach kostbaren Geschmeiden sei.

Gemeinsam mit Ataman und einem Chauffeur begibt sich Cosma per Auto in die Richtung des Städtchens. Auf dem Weg dorthin muss ein Höhenzug überquert werden, wo in jüngster Zeit Briganten ihr Unwesen treiben. Ataman unterhält seine Reisegenossen mit Schilderungen über die skrupellose Räuberbande. Am aufregendsten scheint der kleinen Gesellschaft, dass unter den Banditen eine Frau ist.

Doch die Anekdoten haben nur einen einzigen Zweck: den Juwelierssohn leutselig zu stimmen, denn Ataman verfolgt einen perfiden Plan. Er will Cosma per Genickschlag ins Jenseits befördern, den Schmuck an sich bringen und auf dem Diebstahl, den er mit dem Chauffeur ausgeheckt hat, eine neue Existenz gründen. Kurz nach einer Kontrolle durch zwei Carabinieri führt Ataman seinen Plan aus.

Doch dann geraten die beiden Mörder, die sich als Opfer der Briganten ausgeben und den Mord der Bande in die Schuhe schieben wollten, in die Hände eben jener Briganten. Bevor die Erzählung auf den finalen Höhepunkt zuläuft, macht die Handlung noch einige überraschende Kehrtwendungen. Von Verkleidungen über lebendige Tote bis hin zu erotischen Wechselfällen ist alles geboten.

"Cosma und die Briganten" atmet die Atmosphäre eines klassischen Genres. Es gibt einen Wendepunkt, der später noch einmal überboten wird, die Handlung ist von großer Dichte und Geschlossenheit, der Tonfall ist augenzwinkernd-gediegen und die Erfahrung des Helden gewinnt etwas Paradigmatisches. Außerdem geht es um die immer wieder überraschenden Winkelzüge der Liebe. Eine perfekte Novelle in bester Boccaccio-Tradition.

Rezensiert von Maike Albath

Alberto Moravia: Cosma und die Briganten
Aus dem Italienischen von Marianne Schneider.
Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2007.
96 Seiten. 13,90 Euro