Papst-Film "Verteidiger des Glaubens"

Benedikt XVI. - wie ein Papst tragisch scheiterte

09:00 Minuten
Sonnenaufgang über dem Vatikan. Standfoto aus dem Film Verteidiger des Glaubens.
Fünf Jahre hat der Regisseur an seinem kritischen Film über den Pabst Benedikt im Vatikan gearbeitet. © Realfiction / Christoph Röhl
Christoph Röhl im Gespräch mit Christopher Ricke · 27.10.2019
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Christoph Röhls Film "Verteidiger des Glaubens" zeigt einen Papst, der als Reformer antrat und als restaurative Kraft endete. Mit seiner autoritären Politik habe Benedikt XVI. den Boden für die gegenwärtige Krise der Kirche bereitet, sagt Röhl.
Christopher Ricke: Sie hören Deutschlandfunk Kultur und wir schicken Sie vielleicht gleich ins Kino. Oder warnen davor. Je nach dem, wo Sie kirchenpolitisch stehen. Am Donnerstag läuft ein Papst-Film an: "Verteidiger des Glaubens", ein Film über Papst Benedikt XVI., über Josef Ratzinger. Der britisch-deutsche Regisseur Christoph Röhl hat fünf Jahre daran gearbeitet, legt einen kritischen Film vor, der zu dem Schluss kommt: Papst Benedikt ist letztlich tragisch gescheitert. Herr Röhl, war das der Ansatz von Anfang an?
Christoph Röhl: Nein, das war ein Prozess. Ich habe angefangen, über ihn zu recherchieren, noch bevor er zurückgetreten ist, und habe mich zunehmend mit ihm beschäftigt und wurde auch zunehmend von ihm fasziniert. Was mich daran so faszinierte, war, dass ich in ihm eine Symbolfigur gesehen habe, an der man über die Institution Kirche viel erzählen konnte.
Ricke: Es ist ja kein Film eines Insiders. Sie sind in England aufgewachsen in einem nicht-katholischen Elternhaus.
Röhl: Richtig, also kirchenferner, als ich aufgewachsen bin, geht kaum.
Ricke: Aber warum dann das Interesse an diesem Thema?
Röhl: Also, damals hatte ich zwei Filme zum Thema Missbrauch an der Odenwaldschule gedreht, einen Dokumentarfilm und einen Spielfilm, und in diesem Zusammenhang bin ich zusammengekommen mit katholischen Betroffenen aus dem katholischen Kontext, sprich Canisius-Kolleg. Und wir haben darüber gesprochen, ob es möglich wäre, einen ähnlichen Film, wie ich den auf der Odenwaldschule gemacht habe, über die Kirche zu machen, und zwar systemisch betrachtet.

Ohne Benedikt ist die Krise nicht zu verstehen

Ricke: Systemisch betrachtet heißt, erst mal die Zusammenhänge erklären. Das tun Sie ja. Also was war das zweite vatikanische Konzil, was war die Rolle des junge Josef Ratzinger, wie wurde ein progressiver Theologe zum konservativen Papst? Wem erklären Sie das denn, an wen richtet sich der Film, an Kircheninsider, an Kirchenferne?
Röhl: Also, ich bin der Meinung, dass man die heutige Krise der Kirche nicht verstehen kann, ohne dass man sich mit Ratzinger beschäftigt. Also diese ganzen Sachen, die Sie jetzt anführen: Ratzinger war ja ursprünglich Reformer oder galt als Erneuerer und wurde dann ein Repräsentant der Restauration in der Kirche als Glaubenspräfekt und hat damit den Boden bereitet für die vielen Krisen, die es heute gibt.
Ricke: Hat er den Boden bereitet für die Krisen, die es gibt, oder hat er weggeschaut bei Themen, die schon lange schwären?
Röhl: Also, ich würde seine Politik, die er als Glaubenspräfekt betrieben hat, als autoritär bezeichnen. Er hat von oben herab versucht, wieder Ordnung herzustellen. Und in dieser Politik kann man die vielen Fehler sehen, die dann, als er Papst wurde, zum Vorschein gekommen sind.

Von außen bedroht, von innen zerfressen

Ricke: Sie erzählen ja eine Geschichte von einer prachtvollen Monarchie, also die katholische Kirche als Monarchie mit dem Papst als Monarchen, die sich vielleicht von außen bedroht fühlt, aber in Wirklichkeit von innen zerfressen wird.
Röhl: Ja, genau. Also das Interessante ist ja, dass Ratzinger immer das Böse von außen hat sehen kommen. Das Böse war aus seiner Sicht innerhalb der Kirche nicht, und dieser Dualismus, den er vertreten hat, sprich, dass draußen das Böse ist und innen nicht, das musste er praktisch infrage stellen.
Ricke: Das ist ja das alte Argument, es sind die Taten einzelner, die das Ansehen von Mutter Kirche beschmutzen, aber es ist nicht Mutter Kirche selbst.
Röhl: Genau, das war sein großer Fehler. Bei seiner hohen Intellektualität hat er das nicht verstanden, dass diese ganzen Krisen einen systemischen Ursprung hatten.
Porträt des Regisseurs Christoph Röhl.
Der Regisseur Christoph Röhl hat sich mit seinem Dokumentarfilm über Papst Benedikt XVI. im Vatikan nicht nur Freunde gemacht.© Gerlind Klemens
Ricke: Herr Röhl, es gibt eine ganze Reihe von Interviewpartnern, die uns durch diesen Film begleiten. Da sind einmal sehr Reformorientierte, wie der Jesuitenpater Klaus Mertes, der den Missbrauch am Canisius-Kolleg aufgedeckt hat – den Film, den Sie da gemacht haben zum Thema Missbrauch, haben wir ja schon angesprochen –, aber es gibt auch hohe Würdenträger wie Georg Gänswein, den Privatsekretär Benedikts. Wie schwer war es denn, den vor die Kamera zu kriegen?
Röhl: Sehr schwer. Ich habe drei Jahre lang daran gearbeitet, ein Interview mit ihm machen zu dürfen, und das ging dann nur, indem ich irgendjemanden in Rom kennengelernt habe, der mir den Zugang verschafft hat. Also in Rom, im Vatikan hat alles damit zu tun, ob man als vertrauenswürdig gilt. Man kann nicht schreiben oder anrufen oder irgendwie sonst einen Antrag stellen. Das geht nur über persönliche Beziehungen. Zum Glück bin ich dann in Rom auf einen gestoßen, der mir vertraute und mir den Zugang verschaffte.

"Ich habe ihm vorher gesagt, dass ich Atheist sei"

Ricke: Wusste denn Gänswein, dass das keine Ratzinger-Hymne wird, kein Gloria?
Röhl: Er hat sich ja jetzt am Wochenende oder letzte Woche bei seiner Buchvorstellung beklagt.
Ricke: Er hat sich deutlich distanziert.
Röhl: Genau, aber ich meine, ich habe ihm vorher gesagt, dass ich Atheist sei und dass es ein neutral-kritischer Film sein würde. Und er schien wahnsinnig glücklich zu sein mit dem Interview, was ich mit ihm gemacht habe. Schließlich hatte er mir zweieinhalb Stunden geschenkt im Apostolischen Palast. Also, es wundert mich ein bisschen, dass er sich jetzt so beschwert.
Ricke: Er sagt: dieser Film ist eine miserables Machwerk, ein Debakel.
Röhl: Ich weiß.
Ricke: Haben Sie ihm beim Interview etwas vorgespielt?
Röhl: Nein, ich glaube, nicht. Also, ich war sehr ehrlich, und ich glaube, diese Ehrlichkeit und Authentizität, die ich an den Tag gelegt habe, hat dazu geführt, dass man mir vertraute. Ich habe mich schließlich fünf Jahre lang damit beschäftigt. Das war eine Riesenarbeit und das so als miserables Machwerk abzutun, das akzeptiere ich nicht.

Ein Mann, der an seinen Idealen scheiterte

Ricke: Es ist ja ganz interessant, wie unterschiedlich ihr Film gesehen werden kann. Ich erzähle Ihnen mal, wie ich ihn gesehen habe. Ich habe erstaunlicherweise neue Sympathie für Josef Ratzinger entwickeln können.
Ich habe da einen Mann gesehen, der die Schönheit der Kirche bewahren will, der aber leider im Irdischen scheitert, also der mit dem Filz im Vatikan nicht zurechtkommt, der einfach an die Grenzen seiner Fähigkeiten gerät, der das Übel, das ihn umgibt, nicht erkennen und deswegen auch nicht bezwingen kann – oder ist das jetzt schon wieder zu optimistisch?
Röhl: Also, es freut mich, dass Sie die Figur so sehen in dem Film. Schließlich ist er meine Hauptfigur, und ich demontiere ihn nicht. Ich habe versucht, ihn an seinen Maßstäben zu messen, nicht an meinen eigenen.
Ich zeige einen Mann, der an diesen Idealen gescheitert ist. Ratzinger hat ja versucht, das Evangelium zu verkünden und seine Kirche zu stärken und hat praktisch genau das Gegenteil bewirkt. Das ist tragisch, und diese Gründe, also die Ursprünge dieser Entwicklung versuche ich nachzuzeichnen in dem Film.

Missbrauchsfälle müssen aufgearbeitet werden

Ricke: Herr Röhl, wichtiges Thema in Ihrem Film ist das Thema sexuelle Gewalt, die man auch als sexuellen Missbrauch bezeichnet. Sie beschäftigen sich intensiv mit Irland, mit der Aufarbeitung der hunderten und tausenden von Fällen dort, die es gegeben hat. Die Kirche ist in einem Prozess. Wenn Sie jetzt zum Beispiel nach Deutschland schauen, ist es hier aus Ihrer Sicht alles auf dem richtigen Weg, wird schnell genug, wird zu schnell gegangen?
Röhl: Also als erstes muss man sich ja klarmachen, dass diese Vertrauenskrise zunächst mal nicht mit den Missbrauchstaten an sich zu tun hat, sondern diese Krise hat damit zu tun, dass vertuscht wurde. Die Gründe für diese Vertuschung müsste man unbedingt aufarbeiten. Das tut man bisher nicht. Die Geheimarchive bleiben weiterhin geheim. Man bräuchte eine flächendeckende Aufarbeitung, wenn man diese Kirche noch retten möchte.
Also, Sie haben jetzt gerade Irland erwähnt: Irland galt ja als katholischstes Land der Welt, und da sieht man, was passiert, wenn man nicht aufarbeitet. Die Kirche dort ist ja richtig kollabiert. Da gehen kaum noch Leute in die Kirche. Wenn die deutsche Kirche da nicht nach hinten in der Vergangenheit guckt und da aufarbeitet, dann wird die Krise weiterhin andauern. Das müsste sie unbedingt machen, weil nur die Wahrheit rettet. Das hat ja Ratzinger selbst gesagt.
Ricke: Verteidiger des Glaubens – ein Film von Christoph Röhl, ab Donnerstag in den Kinos. Vielen Dank Herr Röhl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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