Palmöl aus Kolumbien

Die Schattenseiten eines Booms

23:06 Minuten
Ein indonesischer Palmöl-Bauer hält Palmölfrüchte in seinen Händen
Palmöl wird aus dem Fruchtfleisch der Früchte der Ölpalme gewonnen und ist geruchs- und geschmacksneutral. © dpa / EPA / Hotlie Simanjuntak
Von Sophia Boddenberg  · 29.08.2019
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Kolumbien ist der viertgrößte Palmöl-Produzent der Welt. Regierung und Palmöl-Unternehmer preisen es als Möglichkeit, vom illegalen Koka-Anbau wegzukommen. Doch Palmöl ist umstritten, nicht nur weil sein Anbau die Natur zerstört.
"Es wird versucht, die Palmöl-Produktion zu verteufeln, so als würde sie überall auf der Welt Entwaldung, Kinderarbeit und Missbrauch verursachen. Ich als Präsident Kolumbiens kann das nicht akzeptieren. Wir wollen als Regierung für alle Welt klarstellen, dass unser Palmöl anders ist. Es ist nachhaltig, qualitativ hochwertig und führt zu sozialem Wandel."
Kolumbiens rechtskonservativer Präsident Iván Duque hält eine Rede auf dem Nationalen Kongress der Palmöl-Produzenten in Bogotá im Juni 2019. Neben Kaffee und Bananen gehört Palmöl zu den am meisten exportierten Agrargütern Kolumbiens. Das Land ist in den letzten Jahren zum größten Palmöl-Produzenten Lateinamerikas aufgestiegen und zum viertgrößten der Welt. Während Palmöl aus Malaysia, Indonesien und Thailand wegen der Abholzung des Regenwalds in Kritik steht, wollen kolumbianische Politiker und Unternehmer sein Image aufpolieren. Und zwar mit einem Stichwort: Nachhaltigkeit.

Imagepflege für das Palmöl

Im 14. Stock eines Hochhauses in Bogotá befinden sich die Büros von Fedepalma, dem nationalen Verband der Palmöl-Produzenten in Kolumbien. Im Eingangsbereich zeigt ein riesiger Bildschirm idyllische Naturbilder und lachende Bauern auf Palmöl-Plantagen. Neben einer Palmöl-Bibliothek und einem Palmöl-Forschungszentrum gibt es hier auch einen Merchandising-Shop, in dem man Pullover, T-Shirts und Tassen mit Ölpalmen kaufen kann. "La Palma es Vida" – "Die Palma ist Leben", steht auf den grünen Silikon-Armbändern.
Andrés Felipe García trägt einen grauen Anzug, eine violette Krawatte und eine rahmenlose Brille. Er ist bei Fedepalma zuständig für "Nachhaltige Entwicklung".
"Fast überall auf der Welt haben die Menschen schon einmal etwas Gutes über Kaffee aus Kolumbien gehört. Er ist bekannt für seinen guten Geschmack und sein Aroma. Wir wollen, dass Palmöl aus Kolumbien in der Welt bekannt wird für seine Nachhaltigkeit."
Im Moment sind 18 Prozent des in Kolumbien produzierten Palmöls mit dem RSPO- Zertifikat ausgezeichnet. Die Abkürzung steht für "Roundtable on Sustainable Palm Oil" und es handelt sich um eine Initiative, die nachhaltige Anbaumethoden für Palmöl fördern soll. Die Ziele von Fedepalma sind ambitioniert: Bis 2021 sollen 50 Prozent des kolumbianischen Palmöls mit dem Nachhaltigkeitslabel ausgezeichnet sein und 75 Prozent bis 2023.

Genau hinschauen, sagt ein Kritiker

Omar Clavijo ist Politologe am Institut für Umweltstudien der Universidad Nacional de Colombia. Er meint, dass das RSPO-Zertifikat und die Nachhaltigkeits-Kampagne von Fedepalma kritisch betrachtet werden sollte.
"Die Palmöl-Produzenten machen das, weil es ihnen internationale Märkte öffnet. Aber häufig dienen diese Zertifikate für nachhaltige Produktion auf perverse Art und Weise dazu, die Realität zu maskieren. Deshalb ist es wichtig, dass die Märkte, die das Produkt importieren, genau hinsehen."
62 Prozent des kolumbianischen Palmöls werden in die Europäische Union exportiert. Das Öl wird in Nahrungsmitteln, Kosmetikprodukten und als Biokraftstoff verwendet. Es befindet sich etwa in der Hälfte aller in Deutschland erhältlichen Waren. Palmöl wird aus dem Fruchtfleisch der Früchte der Ölpalme gewonnen und ist geruchs- und geschmacksneutral. Ölpalmen sind außerdem ertragreicher als Raps und Soja.
Früchte der Ölpalme, aus denen das Palmöl gewonnen wird in María La Baja
Palmöl ist z.B. in Schokoriegeln, Kosmetika und Wurst enthalten und wird auch für Biokraftstoff verwendet.© Deutschlandradio / Sophia Boddenberg
Clavijo meint, dass die Grundsteine für den kolumbianischen Palmöl-Boom in den 90er-Jahren mit dem Konsens von Washington gelegt wurden– ein Wirtschaftsprogramm, das unterstützt vom Internationalen Währungsfond und der Weltbank die Liberalisierung der Wirtschaft und den Freihandel in Lateinamerika vorantreiben sollte: 1994 rief die kolumbianische Regierung den "Fondo de Fomento Palmero", einen Fond zu Förderung von Palmöl ins Leben, der von Steuergeldern finanziert und vom Unternehmerverband Fedepalma verwaltet wird. Je nach Regierung fließt mal mehr und mal weniger Geld in den Palmöl-Sektor. In einer Forschungsarbeit hat Clavijo die Auswirkungen von staatlichen Subventionen im Palmöl-Sektor untersucht. Besonders hoch waren die Subventionen während der Regierung des rechtskonservativen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez.
"Der Palmöl-Sektor hat ein sehr starkes Gremium, das politischen Einfluss hat und dafür sorgt, dass die Regierung den Sektor unterstützt. Durch die wirtschaftlichen Anreize fing der Palmöl-Sektor und die bepflanzte Oberfläche an zu wachsen. Diese Ausrichtung der Regierung ist nicht objektiv, sondern bedient wirtschaftliche Interessen. Ein Modell wird priorisiert, das auf Profit und Produktivität ausgerichtet ist, aber nicht die ökologischen und sozialen Begebenheiten in den verschiedenen Territorien berücksichtigt."

Nach den Guerilla-Kämpfern kamen Palmöl-Unternehmer

Fast 1000 Kilometer nördlich von Bogotá an der kolumbianischen Karibikküste liegt die Gemeinde María La Baja im Departamento Bolívar. Eigentlich dauert die Busfahrt von der nahegelegenen Touristen-Metropole Cartagena hierher nur eineinhalb Stunden, aber da die einzige Straße seit Jahren einer Baustelle gleicht, kann es auch manchmal doppelt so lange dauern. Es ist heiß und feucht hier, das tropische Klima lässt die Kleidung am Körper kleben.
María La Baja ist eine von 15 "municipios" in der Gebirgskette Montes de María – eine Region, die besonders stark unter dem bewaffneten Konflikt in Kolumbien gelitten hat. Verschiedene Guerillas waren hier stationiert, darunter die FARC und der ELN. In den 90er-Jahren kamen die Paramilitärs und vertrieben nicht nur die Guerilla-Kämpfer, sondern auch viele Bauern. Etwa die Hälfte der 500.000 Bewohner in Montes de María sind Opfer des Konflikts, wurden vertrieben, misshandelt, entführt. Es gab über 100 Massaker in der Region. Beim "Masacre de El Salado" wurden über 200 Bauern ermordet.
Nach den Vertreibungen durch die Paramilitärs kamen die Palmöl-Unternehmer nach María La Baja, erinnert sich der Kleinbauer José Rivera:
"Der bewaffnete Konflikt ist ein Landkonflikt. Die Paramilitärs kamen angeblich, um die Guerilla zu vertreiben. Aber hier gab es strategische Vertreibungen. Die Kleinbauern wurden von ihren Ländereien vertrieben und anschließend kamen die großen Unternehmen. Heute gibt es ein großes Imperium von Palmöl-Unternehmern in Maria La Baja und es breitet sich immer weiter aus."
Früher pflanzten die Kleinbauern in María La Baja hauptsächlich Bananen, Yuca und Mais für die Selbstversorgung und die lokalen Märkte an. Mittlerweile sieht man hier fast ausschließlich Palmen. Über 50.000 Hektar sind mit Ölpalmen bepflanzt – auf den Ländereien, von denen einst die Bauern lebten.

Aktivisten drohen Gewalt und Tod

Die Vertriebenen heißen in Kolumbien "desplazados". Im Rahmen des Friedensprozesses sollen sie nun die Ländereien zurückerhalten, von denen sie verjagt wurden. Auch José Rivera ist ein "desplazado". Auch er lebt von der Landwirtschaft und begleitet mehrere Kleinbauern bei den Landrückerstattungen. Er ist ein "líder social", ein sozialer Anführer. In Kolumbien leben Menschen wie er gefährlich. Allein in diesem Jahr wurden bereits über 50 "líderes sociales" ermordet. Dazu zählen zum Beispiel Gewerkschafter, Gemeinderäte, indigene und Bauernanführer und Umweltschützer. Die Zahl ist trotz Friedensprozess in den letzten Jahren angestiegen. Zwischen Januar 2016 und Mai 2019 wurden 837 Aktivisten ermordet, so ein Bericht der Menschenrechts-Organisation Indepaz. José Rivera heißt eigentlich anders. Er muss seine Identität beschützen, denn er hat schon öfter Morddrohungen erhalten.
"Einmal kamen zwei bewaffnete Männer und haben gesagt, dass der Prozess der Landrückerstattungen in María La Baja nicht funktionieren wird und dass ich den Mund halten soll, sonst würden sie mir in den Kopf schießen. Ohne die Rückgabe der Ländereien wird es keinen Frieden geben. Die Regierung will Kolumbien als Land im Frieden zeigen. Aber die Monokulturen und die großen Unternehmen erzeugen neue Konflikte. Es gibt neue bewaffnete Gruppen in den Gemeinden."
Der mächtigste Palmöl-Unternehmer in der Region ist Carlos Murgas. Er ist ehemaliger Landwirtschaftsminister und Mitglied des Unternehmerverbands Fedepalma. Sein Unternehmen Oleoflores besitzt nicht nur zahlreiche Plantagen in María La Baja, sondern auch eine Fabrik, in der das Öl aus den Früchten der Palme extrahiert wird. Aktuell gibt es 21 Forderungen nach Landrückgaben von Kleinbauern in María La Baja gegen Murgas.
Palmöl Fabrik des Unternehmens Oleoflores in María La Baja
Dem Unternehmen Oleoflores gehört in María La Baja eine Fabrik, in der das Öl aus den Früchten der Palme gewonnen wird.© Deutschlandradio / Sophia Boddenberg
Als er noch Landwirtschaftsminister war, gründete Murgas die sogenannten "alianzas estratégicas productivas", produktive Allianzen zwischen Kleinbauern und großen Unternehmern. Viele Kleinbauern in María La Baja pflanzen deshalb Ölpalmen auf ihrem Land an.
"Sie haben uns gesagt, dass die Ölpalme der einzige Ausweg aus der Armut für die Bauern ist. Heute gibt es hier Bauern, die seit 20 Jahren Ölpalmen anpflanzen und immer noch arm sind. Ihnen geht es schlechter als uns. Denn sie haben das wichtigste im Leben verloren: die Würde und die Autonomie. Sie sind Sklaven auf ihrem eigenen Land."

Wasser für Ölpalmen – nicht für die Menschen

In den 60 Jahren wurde in María La Baja ein Bewässerungssystem mit zwei Staudämmen für die Landwirtschaft der Kleinbauern geschaffen. Das System bewässert etwa 20.000 Hektar Land. Mittlerweile sind über 80 Prozent der Ländereien, die durch das System bewässert wurden, mit Ölpalmen bepflanzt, die besonders viel Wasser verbrauchen. Die Kleinbauern haben nicht genug Wasser für ihre Pflanzen.
Am Staudamm Matuya in María La Baja schwimmt eine Frau, um sich abzukühlen. Eine andere füllt Wasser in Kanister. Danach muss sie mit den Kanistern kilometerweit zurück in ihre Gemeinde laufen. Denn viele Gemeinden in María La Baja haben kein Kanalisierungssystem und keinen Zugang zu Wasser. Das Wasser in dem Staudamm ist außerdem kein Trinkwasser.
Eine Frau füllt Wasser in Kanister am Stausee Matuya in Maria La Baja
Ölpalmen brauchen besonders viel Wasser, das an anderer Stelle fehlt. Viele Gemeinden in María La Baja haben kein Kanalisierungssystem und keinen Zugang zu Wasser.© Deutschlandradio / Sophia Boddenberg
"Das ganze Abwasser aus den Palmölplantagen landet hier im Stausee. Es gab ein massives Fischsterben. Das Wasser ist verschmutzt. Das betrifft nicht nur die Fischer, sondern auch die Familien und die Kinder. Dieses Wasser benutzen die Menschen, um sich zu waschen, um zu kochen, und zum Fischen."
Viele Bewohner in María La Baja haben Hautkrankheiten und Magen-Darm-Infektionen wegen des verschmutzten Wassers. Mehrere Kinder sind schon an Vergiftungen durch das Wasser gestorben.
Zurück in Bogotá im Glashochhaus in den Büros des Palmöl-Unternehmerverbands Fedepalma. Wie sich die Situation in María La Baja mit der Nachhaltigkeits-Kampagne vereinbaren lässt, möchte ich von Nachhaltigkeits-Manager Andrés Felipe García wissen.
"Wir sind in Kolumbien. Wir müssen Lücken füllen, die der Staat hinterlässt. Der Staat sollte sich darum kümmern. Dann könnten wir auch mehr machen. Angesichts dieser Verletzung von Rechten ist unser Beitrag maßgeblich."

Legale Ölpalmen statt illegaler Koka-Pflanzen

Sein Kollege Alcibíades Hinestroza sitzt gegenüber in der Bibliothek. Der Agraringenieur ist Afrokolumbianer und kommt gebürtig aus dem Departamento Chocó, eine der ärmsten und gewalttätigsten Regionen des Landes. Er ist Sohn von Kleinbauern und konnte durch ein Stipendium die Universität besuchen. Nachdem er eine Zeit lang im Landwirtschaftsministerium arbeitete, betreut er jetzt bei Fedepalma diejenigen Kleinbauern, die sich in den sogenannten "produktiven Allianzen" mit den großen Palmöl-Unternehmern befinden. Hinestroza meint, dass die Palmöl-Industrie einen positiven Beitrag zum Friedensprozess in Kolumbien leistet, weil sie den Kleinbauern ermöglicht, legale Ölpalmen anstatt illegale Koka-Pflanzen anzubauen.
"Die Ölpalme in Kolumbien ist eine Chance für die Bauern, die vorher wenig rentable oder illegale Pflanzen angebaut haben. Sie haben die Chance bekommen, ihr Einkommen, ihre Lebensqualität und die ihrer Familien zu verbessern. Wir haben die Kleinbauern aus der Unterentwicklung geholt und sie auf den Weg der Entwicklung braucht."
Wenn man Fedepalma glaubt, dann sorgt die Palmöl-Industrie in Kolumbien für Frieden und Entwicklung. Für die Kleinbauern in María La Baja wie José Rivera bedeutet Entwicklung und Frieden aber nicht, als Saisonarbeiter auf einer Palmöl-Plantage zu arbeiten oder ihr Land an einen Großunternehmer zu verpachten. Sie wollen frei und selbstbestimmt leben und dafür brauchen sie Land und Wasser.

Diese Recherche ist von der Stiftung Brot für die Welt unterstützt worden.

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