Pakistan

Wie man Terroristen züchtet

Gefechtsübung von pakistanischen Anti-Terror-Kräften in Karatschi
Gefechtsübung von pakistanischen Anti-Terror-Kräften in Karatschi © dpa / picture alliance / Rehan Khan
Von Sandra Petersmann · 24.02.2015
Als im Dezember 2014 ein Kommando der Taliban eine Schule in Peschawar überfallen und mehr als 140 Menschen ermordet hatte, schworen die Verantwortlichen Rache. Doch Pakistans Kampf gegen den Terror bleibt unentschlossen − die Terroristen im Land morden weiter.
Die ältere Dame hält zum ersten Mal eine Pistole in ihren Händen. Sie versucht, die Waffe mit ausgestreckten Armen ruhig vor ihrem Körper zu halten und abzudrücken. Sie zielt auf eine Pappfigur am Ende eines Schießstandes der Polizei. Die Direktorin einer Mädchenhochschule in Peschawar hat sich beim freiwilligen Waffentraining für Lehrer angemeldet:
"Ich finde es wichtig, in diesen Zeiten schießen zu können. Das Schießtraining sollte Pflicht sein. Für alle Organisationen und Institutionen. Für Ärzte, Ingenieure, Lehrer und auch für euch Journalisten. Wir sollten uns verteidigen können."
Rund ein Fünftel der Pakistaner sind Schiiten. Sie werden wie alle anderen religiösen Minderheiten von der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit unterdrückt und sind besonders häufig Opfer von Terroranschlägen.
Ein schiitischer Geistlicher aus der Millionenmetropole Karachi forderte nach dem jüngsten Anschlag hilflos eine landesweite Militäroffensive gegen den Terror. Die Feinde Pakistans und der Menschheit verstünden nur die Sprache der Waffe und müssten mit Waffengewalt ausgelöscht werden.
Pakistan setzt im Kampf gegen den Terror auf seine Sicherheitskräfte. In seiner Ansprache versicherte Sharif, dass man nicht in Frieden ruhen werde, bevor der letzte Terrorist seiner gerechten Strafe zugeführt worden sei. Der Premier wiederholte auch, dass man seit dem Massenmord an Kindern und Lehrern in der öffentlichen Armeeschule in Peschawar im Dezember nicht mehr zwischen guten und bösen Taliban unterscheide. Das war in Pakistan jahrzehntelang der Fall. Das Land kämpft mit den Geistern, die es selber gerufen hat.
USA setzen Kopfgeld auf radikalen Islamisten aus
In der konservativen, tief religiösen Bevölkerung hegen heute viele Menschen Sympathien für radikale Islamisten wie Hafiz Saeed – weil Militär und Regierung den militanten Islamismus gezielt gefördert haben. Die USA haben ein millionenschweres Kopfgeld auf Hafiz Saeed ausgesetzt. Doch Pakistans Machtelite hat ihn lange Zeit als wichtigen, strategischen Partner begriffen.
Er kann sich bis heute frei in Pakistan frei bewegen. Er tritt in Talkshows und bei großen Demonstrationen auf – wie zuletzt bei den Massenprotesten gegen das französische Satiremagazin Charlie Hebdo.
"Eure westliche Propaganda gegen uns Muslime wird euch den Untergang bescheren", rief er den Demonstranten zu. Die Ehre des heiligen Propheten mit allen Mitteln zu verteidigen, sei die Pflicht aller Gläubigen.
Hafiz Saeed ist der Kopf von Jamaat-ud-Dawa. Die Organisation gilt als Nachfolgerin der auch in Pakistan verbotenen Terrororgruppe Lashkar-e-Toiba − die Hafiz Saeed einst gegründet hatte. Lashkar wird für viele Anschläge im indischen Teil Kaschmirs und für die Terrortage im indischen Mumbai im November 2008 verantwortlich gemacht.
Eine Bibliothek namens Osama bin Laden
Ein weiteres Beispiel für Pakistans widersprüchlichen Kampf gegen den Terror ist der radikale Religionsgelehrte Abdul Aziz. Der Iman der Roten Moschee in der Hauptstadt Islamabad unterstützt die Taliban-Bewegung offen. Im Dezember hatte er sich geweigert, den Taliban-Anschlag auf die öffentliche Armeeschule in Peschawar zu verurteilen, bei dem über 140 Kinder und Lehrer grausam ermordet wurden. Aufgebrachte Bürger demonstrierten gegen ihn und zeigten ihn an.
Doch Abdul Aziz macht einfach weiter wie immer, und der Staat lässt ihn gewähren. Der Imam betreibt ungehindert Koranschulen, an denen mehrere tausend Kinder seine ultrakonservative Auslegung des Islam verinnerlichen. Abdul Aziz hat eine Schulbibliothek nach Osama bin Laden benannt.
"Der Dschihad steht nicht für Aggression. Sondern nur dafür, sich gegen einen Unterdrücker zu wehren. Sagen Sie mir: Sind die Iraker oder Afghanen nach Amerika aufgebrochen, um dort Bomben abzuwerfen? Es sind die Amerikaner, die tausende Kilometer reisen, um Völker zu bombardieren, auszubeuten und ihre Länder zu besetzen. Die Mudschahedin reagieren auf diese Verbrechen."
Was der pakistanischen Gesellschaft fehlt, ist eine breite ehrliche Auseinandersetzung. Mit sich selber, der Religion und dem Islamismus. Die Sicherheitsstrategie des Landes fußt bis heute darauf, mit islamistischen Gruppen zusammenzuarbeiten, um dem großen benachbarten Erzrivalen Indien zu schaden.
Die Menschenrechtlerin Asma Jahangir bringt es so auf den Punkt: "Unsere Politik, ganz besonders die des Militärs, hat Terrorismus gezüchtet", sagt die Trägerin des alternativen Nobelpreises. Asma Jahangir ergänzt: "Wer Terrorgruppen als Schutzschild für die eigenen Interessen benutzt, beschwört Unheil herauf."
Es spielt den Extremisten in die Hände, dass die zivile Regierung schwach ist. Das wahre Machtzentrum in Pakistan ist die Armee. Die Bevölkerung sucht den Weg des geringsten Widerstands. Die Mehrheit lebt bildungsfern in Armut und schweigt. Viele Menschen in Pakistan halten sich an ihrer Religion fest. Andere lernen zu schießen.
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