Ottmar Ette: "Anton Wilhelm Amo"

Vom "Kammermohr" zum Aufklärer

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Er hat zeitlebens versucht, in Deutschland anzukommen: Anton Wilhelm Amo © Deutschlandfunk Kultur / Kulturverlag Kadmos
Von Martin Ahrends · 19.09.2020
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Nach langem Hin und Her wurde die Berliner "Mohrenstraße" in "Anton-Wilhelm-Amo-Straße" umbenannt. Dass dies für unsere Erinnerungskultur eine gute Sache sein kann, zeigt Ottmar Ettes Buch über den ersten bekannten Philosophen afrikanischer Herkunft.
Der transatlantische Sklavenhandel war auf seinem Höhepunkt, als Anton Wilhelm Amo um 1700 an der damaligen "Goldküste", dem heutigen Ghana, geboren wurde. Sklavenhändler der Westindischen Kompanie brachten ihn als kleinen Jungen nach Europa und "verschenkten" ihn an Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der ihn als "Kammermohren" an seinen Sohn August Wilhelm "weitervererbte".
1708 wurde er evangelisch getauft und erhielt seinen deutschen Namen. Für seinen Herrn wurde er zum Versuchsobjekt, an dem die Bildungsfähigkeit "des Afrikaners erprobt" werden sollte.
Amo hat es zum Doktor der Philosophie gebracht und an den Universitäten von Halle, Wittenberg und Jena gelehrt. Eine verschollene, in Latein verfasste Disputation handelt von der "Rechtsstellung der Mohren in Europa", seine Dissertation von der "Empfindungslosigkeit des menschlichen Geistes". Auf einen Heiratsantrag folgte 1747 eine Spottkampagne, im selben Jahr verließ er Deutschland und Europa.

Ein Versuchsobjekt der Frühaufklärung

Sein in mancher Hinsicht exotischer Lebensweg hat etliche, auch spekulative Interpretationen gefunden. Der in Potsdam lehrende Ottmar Ette konzentriert sich auf das Werk des schwarzen Philosophen, er will verstehen und uns verständlich machen, wie dieser Mann sich vom Versuchsobjekt zum Subjekt in einer akademischen Landschaft der Frühaufklärung entwickeln konnte. Und wo seine inneren und äußeren Grenzen lagen. "Philosophie ohne festen Wohnsitz" – die Metapher taucht in verschiedenen Zusammenhängen auf, sie bringt die Ortlosigkeit, das schwer zu fassende Dazwischensein dieses Philosophen, ins Bild.
Ette verweist auf eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Blickpunkte in den von Amo überlieferten Texten und nennt dies einen aufregenden Befund: "Die Philosophie Anton Wilhelm Amos lässt sich daher in eine Entwicklungslinie einreihen, die man – keineswegs nur im Bereich der Literaturen der Welt – als ein Zwischenweltenschreiben bezeichnen könnte. Wir können daher sehr wohl mit Blick auf Amo und im Rahmen der historisch gegebenen Möglichkeiten von einer Philosophie ohne festen Wohnsitz sprechen, die sich in seinen Arbeiten auszuprägen begann. Denn sie ist nicht einem einzigen Ort, einer einzigen Perspektive verpflichtet und zuzuordnen (…). Sie lässt die Blickpunkte anderer auf dieselben Gegenstände hervortreten und macht (…) immer wieder deutlich, dass sie Europa aus seinem Spannungsverhältnis zu anderen Kontinenten, zu anderen Religionen, zu anderen Völkern und Kulturen begreift."
Auf den ersten Blick scheint Ettes Arbeit für den innerakademischen Dienstgebrauch geschrieben: ohne Übersetzung fremdsprachiger Zitate, mit ausführlichem Anmerkungsapparat, Bibliografie und Namensregister. Es ist aber auch der Versuch, sprachlich über den Fachjargon hinauszugehen. Ette ist auch für Nichtakademiker verständlich, er bedient sich poetischer Bilder und Metaphern, die man in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht vermutet.

Die treffendste Metapher für dieses Leben: Der Laufsteg

Eine andere Metapher scheint noch erhellender als die im Titel verwendete: Es ist die des "Laufstegs", auf dem sich Amo während seiner akademischen Karriere befunden habe. Er war der gefeierte Exot, in aufgeklärten Kreisen beklatscht und gern gesehen. Nie und nirgends aber war er beheimatet, weder unter den Akademikern noch unter seinen deutschen Landsleuten. Und er war stets unter Beobachtung, er konnte den Laufsteg nicht verlassen. Ette beschreibt die zweischneidige Tatsache, "dass der schwarze deutsche Philosoph und 'doctissimus magister legens' eine Figur des öffentlichen Lebens war, die fraglos eine enorme Aufmerksamkeit auf sich zog", aber in der Wissenschaftsgeschichte kaum Spuren hinterließ.
Auch im universitären Bereich sei er mancherlei rassistischen Anfeindungen ausgesetzt gewesen; es gab Schmähschriften, die sich auf die Annäherungsversuche an eine weiße Frau bezogen. Amo wollte eine Familie gründen, etwas eigentlich ganz Normales, nicht aber in seinem Fall und zu jener Zeit. Am Beispiel des Anton Wilhelm Amo wird deutlich, was sich seit dem 18. Jahrhundert verändert und was sich nicht verändert hat für jene Menschen, die mehr oder weniger freiwillig als Schwarze in Deutschland leben. Exemplarisch ist die Bewunderung und Förderung einerseits, die begrenzten Integrations- und Aufstiegschancen andererseits. Exemplarisch sind die Versuche der politischen Instrumentalisierung seiner Vita und die Tatsache, dass sie tatsächlich so unvereinnahmbar ist wie sein Denken.

Zwischen Heimkehr und Deportation

Bis heute nachwirkend ist auch die damalige Vorstellung, "so jemand" müsse, um Wurzeln zu schlagen, letztendlich heimkehren: "Die Figur der 'Heimkehr' – sei es in eine Familie, in ein 'Vaterland', in eine 'Muttersprache', in eine 'eigene' Kultur, in eine 'eigene' Ethnie oder zum 'Ursprungs'-Kontinent ist niemals harmlos und noch weniger unschuldig. Gerade in Verbindung mit der Problematik von Deportation und Migration haften ihr zahllose Narrative an, welche die Heimkehr zu einem komplexen Ideologem, mitunter sogar zu einem unterschiedlich funktionalisierbaren Mythos werden lassen, der sich aller Vorstellungen bemächtigt.
Selbst ein scheinbar so deskriptiver Begriff der Remigration ist in diesem Zusammenhang ideologisch höchst aufgeladen. Denn nur allzu häufig unterliegt dieser Bewegungsfigur die Vorstellung von der Vertreibung aus dem Garten Eden und die Hoffnung auf eine Rückkehr in das Paradies – und sei es eine 'Heimkehr' in das Paradies einer Kindheit, das es so niemals gab."
Nachdem Amo vergeblich versucht hatte, in Deutschland anzukommen, nachdem auch sein letzter Mäzen gestorben war, beantragte er als etwa Fünfzigjähriger eine kostenlose Überfahrt zur westafrikanischen Küste, dorthin, von wo er als Kleinkind verschleppt worden war. Seine letzten Jahre verbrachte er aber nicht an einem Ort, den man von außen gesehen vielleicht als ein Heimatdorf bezeichnen könnte, sondern im Fort San Sebastian, in der afrikanischen Handelsfestung der Westindischen Kompanie. Vermutlich dort starb Anton Wilhelm Amo, um 1784, in jenem "Zwischenraum" also, den er sein Leben lang unfreiwillig bewohnt hatte.

Ottmar Ette: "Anton Wilhelm Amo"
Philosophieren ohne festen Wohnsitz
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2020
172 Seiten, 19,90 Euro

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