Ost-West-Projekt in Thüringen

Die neuen Burgherren von Tannroda

Burg Tannroda in Thüringen
Burg Tannroda in Thüringen © Michael Frantzen
Von Michael Frantzen · 03.05.2018
Über 20 Jahre lang wusste niemand etwas anzufangen mit der Burg Tannroda im Weimarer Land. Nun will die Familie Bähr aus Hannover dem mittelalterlichen Gemäuer neues Leben einhauchen. Ihr Ziel: "Die Burg soll allen offen stehen."
Sie sind schon so gut wie startklar: Antje Bähr. Und Eddi, ihr Vierbeiner.
"Der Burg-Hund Eddi ist blind. Kommt damit aber ziemlich gut zurecht. Ich staune immer wieder."
Donnerstagvormittag, kurz nach zehn. Tannroda, ein kleiner Flecken im Weimarer Land. Eddis Frauchen ist schon seit Stunden auf den Beinen. Es gibt viel zu tun – als Burg-Fräulein. Die Anfang-50-Jährige schaut entgeistert, ehe sie anfängt zu lachen. Wenn schon: dann Burg-Dame.
"Wir wollten überhaupt nichts, was Piccobello ist. Sondern etwas, was wir gestalten können."
Ende letzten Jahres ist die Frau mit den kleinen Lachfalten zusammen mit ihren Mann auf Burg Tannroda eingezogen. Erst einmal provisorisch: In den Ostflügel. Zu DDR-Zeiten gab es hier eine Gaststätte.
"Wir wollten das Wasser in Betrieb nehmen. Da kam uns leider das Wasser aus den Wänden entgegen. Weil die Rohre unglücklicherweise zu so einer Charge Kunststoffrohre gehören, die dazu neigen, sich in Wohlgefallen aufzulösen. Die sind noch gar nicht so alt. Aber: Wir müssen es alles neu machen."
Es sollte nicht die einzige Überraschung bleiben für die Hannoveranerin und ihren Mann.
"Ich stehe im Augenblick noch so ein bisschen rum, weil mein Mann noch nicht fertig ist.
Wie man so schön sagt: Wenn man vom Teufel spricht.
Ja. Hallo. Herzlich Willkommen auf der Burg."
Thomas Bähr macht einen gestressten Eindruck. Kein Wunder: Die Kanalreiniger waren gerade da. Eine Stunde früher als geplant. So ist das in Tannroda. Die Uhren ticken hier anders.
Wenn man so will, schließt sich für Bähr ein Kreis. Er ist gebürtiger Thüringer, in Mühlhausen aufgewachsen. Nach der Wende ging er nach Hannover, der Liebe wegen. Jetzt ist er wieder da – in der alten Heimat.
"Wo ist der Schlüssel?
"Fürs blaue Schloss?!
Ja.
Hast Du ihn gefunden? Wunderbar."

Früher ein Schmuckstück, heute fast eine Ruine

Das blaue Barock-Schloss ist das größte Gebäude auf der Burganlage und muss einmal ein wahres Schmuckstück gewesen sein. Damals, im Mittelalter. Heute ist es eine halbe Ruine. Eine wild-romantische allerdings.
"Wir sind hierhergekommen, wir haben auf diesem Platz gestanden und haben gedacht: Bo! Ist das schön hier. Wenn man morgens mit dem Hund rausgeht: Das einzige, was sie hier hören, ist das Knarzen von der Wetterfahne da oben. Das ist dann unglaublich ruhig. Oder morgens die Vögel jetzt im Frühling: Das ist total schön. Es ist ein sehr, sehr schöner Ort. Auch mal abgesehen davon, dass er schön ist: Er liegt ja genau in diesem Städteeck: Erfurt, Weimar, Jena. Nah an der Autobahn. Mit dem Auto nach Weimar sind es 20 Minuten. Es gibt einen Bahnhof, eine Haltestelle hier."
Unten im Tal. Im Sommer ist dort der Teufel los. Wegen des Ilm-Radwegs; der ganzen Fahrradfahrer, die von der Ilm-Quelle bis nach Weimar radeln. Zu Goethe und Schiller. Tannroda hat zwar keine Klassik-Fürsten im Angebot, dafür aber bald eine Burg-Gaststätte. In ein, zwei Jahren – hoffen die Bährs - könnte es etwas werden. Schon jetzt schauen Touristen vorbei. Ganz lustig, erzählt Antje Bähr. Die sehen den Burg-Turm und wollen unbedingt hoch. Dürfen sie.
"Genau.
Da sitzen Sie dann immer und halten Wacht.
Lässt dann ihr Haar herunter.
Genau."
Eddi, der Burghund; Besitzer Thomas und Antje Bähr, Ortsbürgermeister Günter Schmieder, Heimatvereins-Mitglied Jürgen Nolte
Eddi, der Burghund; Besitzer Thomas und Antje Bähr, Ortsbürgermeister Günter Schmieder, Heimatvereins-Mitglied Jürgen Nolte © Michael Frantzen
Einen sechsstelligen Betrag haben die Bährs für die Burg ausgegeben.
"Wir sind jetzt so ganz normale Mittelschicht-Leute, würde ich mal sagen. Ich bin Physio-Therapeutin, mein Mann ist Bauingenieur. Das Geld kommt von meinen Großeltern letztendlich. Die irgendwie nach dem Krieg zufälligerweise ein Mehrfamilienhaus in Hannover in guter Lage erbaut haben. Ja, und im Zuge dieser Erbschaft sind wir sozusagen an Geld gekommen, was wir einfach sinnvoll einsetzen wollten."
"Es is hier gerade, es ist so ein Kellergewölbe. Das war der sogenannte Saufkeller."
Saufen tut im Blauen Schloss keiner mehr. Einsturzgefahr! Überall liegen Steine herum, hängen Drähte aus den Wänden. Elektrisches Licht: Fehlanzeige. Aber wird schon. Die Bährs wollen Schritt für Schritt renovieren, Stockwerk für Stockwerk.
"Wir gehen mal nach oben. Ich geh mal vor."

Das Schloss soll allen gehören

"Gerade diesen Bereich möchten wir für kulturelle Bereiche nutzen und der Öffentlichkeit eben auch zugänglich machen. Wir haben diese Stiftung gegründet, weil wir nicht der Ansicht sind, dass das jetzt unseres ist. Sondern: Das gehört irgendwie allen. Unsere Ideen sind natürlich eher so kleinere Veranstaltungen. Im Prinzip: Lesungen; Musikdarbietungen."
Eine Burg-Stiftung: Im Dorf hielten das viele anfangs für eine Schnapsidee. Dazu muss man wissen: Die Bährs sind nicht die ersten, die seit der Wende dem mittelalterlichen Gemäuer neues Leben einhauchen wollen. Mal sollte ein Luxushotel entstehen, mal eine Edel-Gaststätte. Alles leere Versprechungen. Ein Investor – tuschelt man – kassierte fleißig Fördergelder – nur um sich samt seines Porsches und seiner zwei Dobermänner aus dem Staub zu machen.
"Dann gab es eine Einwohnerversammlung und dann haben wir uns präsentiert. Wir haben sehr früh Gespräche gesucht mit der Denkmalpflege und mit dem Forstamt. Das war auch gut. Auch für uns ist das ein ganz wichtiger Aspekt: Wir wollen hier auch nicht als Fremdkörper uns fühlen, sondern versuchen eben, Teil dieser Gemeinschaft zu werden; uns einzubringen."
"Wir waren auch furchtbar aufgeregt – natürlich, als wir uns hier im Ort präsentiert haben. Weil wir wirklich nicht wussten, wie wir hier im Ort so ankommen. Und es war ganz schön zu sehen, wie im Laufe unserer Präsentation so die Gesichter der Leute sich geöffnet haben. Und so ein Funken von Hoffnung sichtbar wurde. Das hat uns ganz, ganz gut getan. Und, na ja: Letztendlich haben wir viel Beifall bekommen."
"Selbstverständlich."
Tönt es aus der Eingangstür des Blauen Schlosses. Günter Schmieder ist Ortsbürgermeister Tannrodas – und heilfroh, dass die Bährs so voller Tatendrang stecken.
"Ich muss ganz ehrlich sagen. Bei uns im Ort ist so nichts mehr los. Das hat sich alles nach der Wende zerschlagen. Wir haben keine Einkaufsmöglichkeiten, wir haben keinen Bäcker, kein gar nichts mehr. Noch nicht mal mehr Gaststätten."
Der Mann, dem man seine Liebe zu gutem Essen ansieht, steht häufiger auf der Matte. Hat ja auch Zeit. Als Rentner.

Auf den neuen Schlossherren lasten viele Erwartungen

"Es wird natürlich jetzt auch große Hoffnung in uns hineingesetzt. Das ist manchmal auch ein bisschen belastend. Wir sind ja zwei ganz normale Menschen und versuchen, das Beste draus zu machen. Wir haben unsere Möglichkeiten und unsere Grenzen. Und haben schon das Gefühl, ganz schön viel Verantwortung auf uns geladen zu haben."
"Das war eine Küche – früher mal. Das ist halt der andere Teil der barocken Treppe."
Möglichst viel bewahren, möglichst originalgetreu restaurieren: Als Bauingenieur kennt sich Thomas Bähr aus in der Materie. Er seufzt leise. Stimmt schon, nur: Wie marode die Burg ist, hat auch er unterschätzt.
"Das ist auch etwas, was wir lernen: Geduld zu haben. Ausdauernd zu sein. Man lernt halt auch eine gewisse Frustrationstoleranz. Weil halt bestimmte Sachen nicht so leicht gehen – schnell gehen. Bis jetzt ist es aber so, dass wir sagen müssen: Das, was es länger gedauert hat, meistens positiv war. Weil sich dadurch eben noch andere Dinge entwickelt haben, die für uns oder das Gesamtprojekt gut waren."
Da ist auch schon der nächste Besuch.
"Ich gehöre hier zum Heimatverein. Ich kümmere mich um alles so.
"Das ist eigentlich der Mann, der am allermeisten weiß. Er ist jetzt so zurückhaltend, aber: Wenn es um Dinge geht, also Wissen, Hintergrundwissen von der Burg, dann ist Jürgen Nolte schon ein wichtiger Mensch."

Zu DDR-Zeiten war im Schloss immer etwas los

Nolte hat einen dicken Aktenordner dabei. Darin: Fotos, Artikel, handschriftliche Notizen. Er sammelt gerne. Nicht nur Wissenswertes zur Burg, sondern auch Streichhölzer. 250.000 verschiedene Streichholz-Etiketten hat er bei sich zu Hause. Fast hätte er es damit ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft, wenn ihm nicht ein Japaner einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Der soll eine Million Etiketten haben. Nolte zuckt mit den Schultern. Muss er halt weiter sammeln. Angefangen hat er damit schon in der DDR. An Ort und Stelle. Hier: im Blauen Schloss. Er zeigt nach oben: das rechte Fenster. Da hat er gewohnt. In einer von acht Wohnungen. Winzigen Wohnungen. Mit Außen-Klo. Doch zumindest war Leben in der Bude, erinnert sich der Mann mit dem stilisierten Streichholz im rechten Ohr.
"Hier oben hat’s sich gut wohnen lassen. Da stand noch eine Garage. Hier war der Kindergarten. Da hatte ich auch ein Riesen-Radio drinne. Und da war hier auch immer Auflauf. Trinker-Festspiele. Da war immer Stimmung."
In Zeiten des real existierenden Sozialismus.
"Nur: Wo die Wende kam, da war nichts mehr. Da war alles weg. Die bösen Wessis! Es gibt ja ein paar Ordentliche."
"Ich fühle mich durchaus angenommen. Ich hab jetzt nicht das Gefühl, dass ich hier als Wessi geächtet werde."
"Näh, eigentlich nicht."
"Eigentlich."
"Dieser Ort hat einfach eine sehr große Bedeutung für Tannroda. Ich glaube, es hat sehr viel mit Identität zu tun. Dass eben nach der Wende die ganzen Betriebe abgewickelt wurden und so nach und nach Infrastruktur verloren gegangen ist. Bis jetzt eben auch die Kirche halt nicht mehr voll genutzt wird, sondern Teil einer größeren Gemeinde ist, verlieren Menschen natürlich auch Identität."
"Also die Uhr stimmt nicht.
"Falsch."
"Es geht falsch."
Werden Sie auch noch hinbekommen: Das mit der falsch laufenden Kirchturm-Uhr - vis-à-vis der Burg: die Bährs. Wo andere Probleme sehen, sehen sie Potenzial.

"Was ganz interessant ist: Es gab eine Verbindung zwischen Weimar und dem Bauhaus und den Korbmachern hier. Weil einer der Bauhaus-Väter, Henry van der Felde, hat halt Möbel entworfen, unter anderem. Und diese Korbarbeiten hat er hier machen lassen. Und da gibt es jetzt halt noch ein paar Zeugnisse im Korbmacher-Museum."
"Das können sie gleich wegstecken."
Das Mikrofon. Da kennt Gilda Salzbrenner nichts – die Frau vom Korbmacher-Museum im Seitenflügel der Burg.
"Näh, also ich nicht."
Seit 20 Jahren hat Salzbrenner im Korbmacher-Museum das Sagen. So lange gibt es das Museum schon.
"Gilda! Kannste nicht ein bisschen einfach was zum Museum sagen?"
"Zum Museum kann ich was sagen. Aber zum Schloss?!"
"Nein, zum Museum."
Geht doch. Salzbrenner weiß eine ganze Menge über die Korbmacher-Tradition. Wie sie ihre Leute auf Trapp hält auch.
"Jürgen! Geh mal bitte in den Kasten und gib mir mal einen Schlüssel. Mit dem gelben Band!"
"Ja! Machst du das erste Mal Dienst hier? Hast'n? Hier bin ich."
"Danke."
Heimat- und Korbmacher-Museum auf Burg Tannroda
Das Heimat- und Korbmacher-Museum auf Burg Tannroda gibt es schon seit 20 Jahren.© Michael Frantzen

Korbmacher-Museum belebt ein altes Handwerk

"So! Hier haben wir jetzt in dem Bereich eingeräumt, wie’s früher in den Korbmacher-Familien aussah. Die hatten ein Schlafzimmer, wo Kind und Kegel drin geschlafen hat. In der Küche wurden Korbmöbel hergestellt im Winter. Und eine gute Stube, wo sie nur zu großen Feiertagen reingehen. Und hier sitzt immer mal wieder unser Korbmacher-Meister. An Sonnabenden. Und dann macht er mal so ein paar Vorführungen."
"Wie alt ist der denn mittlerweile?"
"Ich glaube, Karl-Heinz ist 80, über 80."
"Das ist nämlich tatsächlich ein Problem. Diese Korbmacherei stirbt wirklich aus. Das Problem des Heimatvereins ist die Überalterung."
"Also wir haben jetzt mal ausgerechnet: Im Durchschnitt liegen wir bei 64 Jahren."
Salzbrenner ist auch schon Ü-60. Das Museum ist ihr Baby, Korb ihr Ding. Korb-Stühle, Korb-Kinderwagen, Korb-Wäsche-Puffs.
"Wäsche-Puff?! Hier! Das sind Wäsche-Puffs. Da kann man alles reinstopfen, was man versteckten möchte."
An dreckiger Wäsche.
"So! Dann hab ich ihnen das mal gezeigt."
Es ist Mittag geworden. Die Bährs haben sich vor den Ostflügel gesetzt – in die Sonne. Schon ganz schön hier, sinniert Antje Bähr. Manchmal allerdings auch ganz schön anstrengend. Die Spontan-Besuche der Leute aus dem Dorf sind halb so wild. Doch langsam schwant ihr, wie viel es noch zu tun gibt auf der Burg; sie es ganz alleine nicht schaffen können.
"Wir bringen Geld hinein, aber wir brauchen weitere Unterstützung. Das ist eine super initiale Spritze, die wir hineinbringen können. Aber: Nur in einer Kombination aus privater Initiative unsererseits und der Unterstützung von Stadt, Land und weiterer Bevölkerung, wird das Ganze wirklich ein gelingendes Projekt."
Antje Bähr schließt für ein paar Sekunden die Augen. Wird schon. Es muss.
"Auch wir können scheitern. Wir möchten uns jetzt nicht darstellen, dass wir sagen: Wir sind jetzt hier die Glücksbringer für diesen Ort. Aber: Unseren Beitrag, den können wir leisten."
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