Oscar Wilde und ich

15.10.2009
Man muss nicht unbedingt den ersten Band der Adrian-Mayfield-Trilogie kennen, um den zweiten mit viel Freude zu lesen. Aber schade ist es doch, wenn man erst jetzt mit dem leidenschaftlichen Leben des jungen Mannes bekannt wird.
Nicht nur, weil man mit dem ersten Band einen großen sinnlichen und intellektuellen Lesegenuss verpasst hat. Sondern auch, weil man etwas länger braucht, um sich im bunten Figuren-Getümmel von Floortje Zwigtmans Zeitpanorama zurechtzufinden.

Hatte der aus dem Kleinbürgermilieu stammende Adrian Mayfield im ersten Band seine Karriere als Maler-Modell und Strichjunge begonnen, sein Coming-out erlebt und seine Einführung in die intellektuelle Elite Londons – was alles mit großen emotionalen Bewegungen verbunden war – so kommt sein Leben im zweiten Band vorerst zur Ruhe. Der 17-Jährige genießt die Liebe des zehn Jahre älteren Malers Vincent Farley, versöhnt sich mit seiner Familie und alles wäre gut, wenn nicht Erpresser und der dramatische Prozess um Oscar Wilde ihm das Leben schwer machten. Am Schluss finden sich Wilde im Gefängnis und Adrian im Asyl der Heilsarmee wieder.

Adrian ist ein bildungshungriger junger Mann, ein neugieriger Beobachter und präziser Erzähler. Er schildert alles, was er erlebt, mit großer Liebe zum Detail. Man meint förmlich, die Großstadt London am Ende des 19. Jahrhunderts mit ihren edlen Einkaufsstraßen und verfallenden Vororten, mit ihren Kneipen, Kaufhäusern, Salons und Bewohnern zu sehen und zu riechen. Wortreich und enthusiastisch feiert Adrian seine große Liebe zu Vincent Farley, einfühlsam schildert er seine Versuche, den verklemmten Künstler erotisch zu faszinieren und das Ende ihrer Beziehung. Entstanden ist so eine pralle Mischung aus Bildungs- und Gesellschaftsroman, ein farbiges Zeitgemälde voll mit authentischen und erfundenen Personen. Erzählt im charmanten, gefühlvollen Ton eines Liebenden, der mal beschwingt und euphorisch, dann wieder ernst oder sogar verzweifelt durch sein Leben geht.

Floortje Zwigtman nähert sich ihrem heiklen Thema ohne Scheuklappen, offen in der Beschreibung erotischer Szenen, aber auch mit dem nötigen Takt. Junge Leser lernen begreifen, wie nah am Abgrund Männer aller Schichten früher lebten, wenn sie sich zu ihrer homoerotischen Liebe bekannten, erleben deren großen Gefühle mit und die tiefe Verachtung durch das soziale Umfeld. Natürlich ergreift die Autorin dabei indirekt Partei für Adrian und seine Freunde; um Verständnis zu werben ist sicher ein Hauptanliegen ihres Buches.

Auch der zweite Band von Zwigtmans Mayfield-Trilogie ist unterhaltsam und atmosphärisch dicht geschrieben. Wenn auch der mitreißende Schwung des ersten Bandes fehlt. Denn Adrians Erlebnisse und Emotionen sind hier doch weniger dramatisch als im ersten Band. Auf den kühnen Wurf folgt nun der spannende Schmöker, auf einen Roman in der Nachfolge von Charles Dickens eine Geschichte à la "My Fair Lady". Aber das sind ja noch lange nicht die schlechtesten.

Besprochen von Sylvia Schwab

Floortje Zwigtman: Adrian Mayfield – Versuch einer Liebe
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2009
490 Seiten, 18,90 Euro