Osama bin Laden ist tot – es lebe Al Kaida?

07.05.2011
Im September jähren sich die Terroranschläge von "9/11" zum zehnten Mal. Mit dem Tod des Al-Kaida-Führers stellt sich einmal mehr die Frage, wie die Anschläge und die seitdem vergangenen zehn Jahre die Welt und damit auch uns verändert haben.
"Da wurden einfach Feindbilder aufgebaut, das war ganz schrecklich. Sie haben sich so negativ auf die arabische Welt ausgewirkt", sagt Asiem El Difraoui. Der ägyptisch-stämmige Politologe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der "Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika" bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Eines seiner Spezialgebiete ist die Terrororganisation Al Kaida, über die er auch mehrere Filme gedreht hat.

Die Anschläge vom 11. September 2001 hätten eine Spirale aus Angst, Generalverdacht und gegenseitigem Misstrauen in Gang gesetzt. Auf beiden Seiten, in der arabischen, wie der westlichen Welt. "Sie haben sich gegenseitig in die Hände gearbeitet. Das ist wie eine große Erzählung, die bestätigt, wie man sich sieht. Auf der einen Seite `Wir sind im 'war on terror' und auf der anderen `Wir sind die wahren Moslems`. Diese Feindbilder haben uns Jahrzehnte zurückgeworfen. Das Ganze spielt ja auch in die Islamdebatte mit hinein. Sarrazin hätte nie so viel Zuspruch bekommen. Was ist denn das Bild der türkischen oder arabischen Zuwanderer?"


Wie hat uns der Terrorismus verändert?
Diese Frage erörtert auch der Politikwissenschaftler und Historiker Bernd Greiner in seinem neuen Buch "9/11 - Der Tag, die Angst, die Folgen". Darin arbeitet er heraus, wie die Anschläge die US-amerikanische und damit auch die Weltpolitik aus den Angeln gehoben haben, die Fragilität von vorab als Grundfesten geltenden Werten, den Rückfall auf Positionen des Kalten Krieges.

"Mir ist wichtig, auf die politische Dynamik von Angst hinzuweisen", sagt der Leiter des Arbeitsbereichs "Theorie und Geschichte der Gewalt" am Hamburger Institut für Sozialforschung. "Wie man einerseits mit Angst Politik machen kann, und wie leicht sich andererseits die Gesellschaft lenken lässt. Wie schnell es geht, zivilisatorische Selbstverpflichtungen und Gewissheiten preiszugeben."

Beispiel: Das Folterverbot - bis 9/11 sei es in den USA unantastbar gewesen. Heute gebe es das "Foltergefängnis" Abu Ghraib – Menschenrechtsverletzungen im Namen des "war on terror". "Das Andere ist: Wir haben uns so was von schnell damit abgefunden, dass in solchen Momenten die Exekutive tun und lassen kann, was sie will. Die USA haben das Feindstrafrecht eingeführt, aber ähnliche Gedanken finden sich auch in der EU. Die Neigung, die Welt schwarz-weiß zu sehen. Die Stereotypisierung ist wieder da, wie einst im Kalten Krieg, die Einteilung in Gut und Böse, in Feind und Freund, und damit die Unfähigkeit, Grautöne zu erkennen."

Mit dem Tod Osama bin Ladens sei die Terrorgefahr keineswegs gebannt, der Gewaltforscher hofft aber, dass sein Tod die Möglichkeit bietet, die bisherige Politik zu überdenken – auf beiden Seiten: "Im Grunde genommen ist das Kärrnerarbeit. Um es mal pathetisch zu sagen, wir brauchen wieder die Stimme der Vernunft im öffentlichen Raum." Es sei unglaublich schwer, die zersetzende Dynamik aufzuhalten und den Menschen klar zu machen, dass sie "Dramatisierern" nicht auf den Leim gehen sollten. "Diese Neigung zu einer militärischen Außenpolitik erscheint mir das Grundübel zu sein. Wenn man davon nicht wegkommt, züchtet man sich die Hydra heran, die man eigentlich bekämpfen will."

"Nach dem Tod von Osama bin Laden - Wie hat uns der Terrorismus verändert?" Darüber diskutiert Stephan Karkowsky heute von 9.05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Asiem El Difraoui und Bernd Greiner. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 - 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Weitere Informationen im Internet:
Über Dr. Asiem El Difraoui
Über Prof. Dr. Bernd Greiner

Literaturhinweis:
Bernd Greiner: "9/11 – Der Tag, die Angst, die Folgen", Verlag C.H. Beck, München 2011

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