Originalton

Schreiben und Musik

Ein Saxofonspieler.
Musik kann beim Schreiben unterstützen. © picture-alliance / dpa / Aleshkovsky Mitya
Von Bodo Morshäuser · 28.08.2014
Kleine Formen erproben und mit den Möglichkeiten des Radios spielen: "Originalton" heißt ein täglicher Bestandteil unserer Sendung "Lesart" - kurze Texte, um die wir Schriftsteller bitten. In dieser Woche befasst sich Bodo Morshäuser mit dem "Kerngeschäft" eines Autors.
Wenn geschrieben wird, muss überhaupt nicht Ruhe herrschen. Es gibt Musik, die ich gern als Raum- oder Hintergrundgeräusch habe. Je sicherer und wohler ich mich in einem Text fühle, umso eher bin ich in der Lage, mir den Schreibraum durch Sound zu erweitern. Oder Musik gezielt einzusetzen, damit sie einen Zustand unterstützt. Damit sie das Ambiente, in dem der Text spielt, gegenwärtig hält. Es kommt jede Musik infrage. Sie darf die Aufmerksamkeit nicht zu sehr auf sich selbst lenken. Die Musik im Schreibraum muss dem Schreiben dienen. Das ist ihre Aufgabe.
Es gibt zwei Absichten, Musik beim Schreiben zu benutzen. Die erste bezieht sich direkt auf den Text. Die Musik korrespondiert mit dem Inhalt des Geschriebenen. Sie bildet akustisch die Epoche der Handlung ab. Oder sie vergegenwärtigt mir das Milieu, in dem meine Figuren sich bewegen. Musikalisch ist hier alles möglich. Es hängt von Epoche oder Milieu ab. Vor kurzem habe ich tagelang Operetten gehört. Nach einer Weile habe ich ganz gut verstanden, warum früher einmal so viele Leute diese Musik, die Texte und den Humor geliebt haben.
Die zweite Art, Musik beim Schreiben zu benutzen, hat nichts mit dem Geschriebenen, sondern nur etwas mit mir, dem Schreiber zu tun. Zum einen ist das Musik, die den Raum in eine eher schwerelose Atmosphäre hüllt. Musik, die aus wenigen Abweichungen besteht. Sphärisches Zeug, auch mimimal music, auch serielle Musik, vieles, was unter elektronische Musik firmiert. Toccaten von Bach. Kann ich stundenlang hören bzw. eben nicht immer hören, aber leise im Raum haben. Zum anderen benutze ich Musik mit ungefähr gleichbleibendem Rhythmus, der etwas schneller ist als mein Herzschlag. Sowas ist nützlich für längere Passagen, in denen ich eher mechanisch arbeite, zum Beispiel etwas tippe, ohne wirklich neue Absätze zu schreiben. Auch wenn ich spüre, dass ich eigentlich aufhören will, bleibe ich dann sitzen und mache weiter. Und weiter.
Richtig laute Musik geht nicht. Während des Schreibens muss sie leise sein. Am besten, sie ist so leise, dass ich sie kaum bewusst höre. Ich will sie gar nicht hören, wie man Musik hört. Ich will sie dahaben als Teil des Raums. Als Teil von mir selbst. Als meine Erweiterung. Sie hat eine einzige Aufgabe: Mir beizustehen und mich zu unterstützen. Tut sie das nicht, wird sofort ausgeschaltet. Denn beim Schreiben kann sehr wohl auch absolute Ruhe herrschen. Manchmal ist es das beste. Oft sogar. Aber nicht immer.
Der Schriftsteller Bodo Morshäuser ist gebürtiger Berliner und auch ein gestandener Radiomann. In den 70er-Jahren arbeitete er für den RIAS und den Sender Freies Berlin. Anfang der 80er-Jahre verfasste und moderierte er regelmäßig Sendungen der Reihe Plattensprünge im SFB-Jugendfunk. Noch heute verfasst er Radioerzählungen, Features und Rezensionen.
Als Autor wurde Morshäuser bekannt mit Romanen wie "Die Berliner Simulation", "Blende" oder "Der weiße Wannsee". In diesem Jahr erschien sein Roman "Und die Sonne scheint", eine Selbstbeobachtung über das Leben mit einer Krebserkrankung.
Bodo Morshäuser
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