Orientalisches von Félicien David und Karol Szymanowski

Der Klang der Wüste

Eine Karawane von Dromedaren und Menschen in der libyschen Wüste.
So ziehen seit Jahrunderten Karawanen durch die Wüsten. © imago images / Nature Picture Library
Moderation: Volker Michael · 20.08.2020
Orientalismus pur bieten diese großbesetzten Werke: "Die Wüste" nannte Félicien David seine symphonische Ode, "Lied der Nacht" Karol Szymanowski seine dritte Sinfonie für Tenor, Chor und Orchester. Beide Werke gibt es hier in exklusiven Aufnahmen.
Die Welt des Orients, der "Anderen", des geheimnisvoll-Unbekannten hat schon immer die Künstlerinnen und Künstler in Europa fasziniert. In Phasen der kolonialen Ausdehnung und kriegerischer Kontakte wurde es regelrecht zur Mode, "orientalisches" Flair in der jeweiligen Kunst auszubreiten und zugleich eigene Sehnsüchte in diese fremde ferne Welt zu projizieren.
Schon die Oper der Barockzeit war voll von morgenländischen Sujets und Klischees. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts erhielt dieser Orientalismus eine neue Qualität.
Porträt eines jungen Männerkopfes mit längerem Haar und Vollbart.
Der französische Komponist Félicien David in einem historischen Stich aus dem 19. Jahrhundert© imago images/Leemage
Der französische Komponist Félicien-César David stand nie so wirklich im Mittelpunkt des Musiklebens. Er wuchs als Waisenkind auf und trat früh in den Knabenchor an der Kathedrale von Aix-en-Provence ein. Eine südlich-mediterrane Prägung dürfte also zu seinem Interesse an den Kulturen des Orients beigetragen haben.

Mit offenem Ohr gereist

Später musste er aus politisch-religiösen Gründen Paris verlassen, weil er zu den Saint-Simonisten gehörte. Einige Jahre reiste er durch Nordafrika und den Nahen Osten. Musikalische Anregungen nahm er zu Hauf von diesen Reisen mit, um dann eine Karriere als Komponist und Musiklehrer in Paris einzuschlagen.
Eine Daguerreotype von Joseph-Philibert Girault de Prangey (1804-1892) aus dem Jahr 1842 zeigt eine Gruppe Männer mit Turbanen und typischer Kleidung in einer felsigen Wüstenlandschaft mit einem Kamel, das aber verwackelt ist.
Dieses Daguerreotype mit dem Motiv einer Wüste wurde um 1840 in Paris vertrieben.© imago images / Artokoloro
Die Uraufführung seiner symphonischen Ode "Le Désert" 1844 in Paris verschaffte ihm große Aufmerksamkeit und begeisterte Anerkennung - auch bei Kollegen wie Hector Berlioz. Der ebenfalls zu den Saint-Simonisten gehörende Dichter Auguste Colin schrieb das Textbuch.
Gesungen wird auf Französisch, mit zwei Ausnahmen: Nie ist von "Dieu/Gott" die Rede, sondern von "Allah" - und im "Lied des Muezzin" (Solo-Tenor und Orchester) erklingen in abgewandelter und leicht verfremdeter Form einige Zeilen des islamischen Gebetsrufs auf Arabisch.

Islamische Mystik in Form einer Sinfonie

Kürzer, aber nicht weniger intensiv war der Kontakt des polnischen Komponisten Karol Szymanowski zu den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens. Eine ausgedehnte Reise hatte er von Sizilien aus nach Algerien unternommen, kurz vor Beginn des ersten Weltkrieges. Dessen Ausbruch erlebte er in Paris, von wo aus er auf das seiner Familie gehörende Gut nach Ost-Polen zurückkehrte.
Dort schrieb er fortan seine nicht lange, aber groß besetzte Sinfonie Nr. 3 "Lied der Nacht" auf Verse des islamischen Mystikers Dschalal ad-din ar-Rumi. Der Text wird allerdings nicht Persisch gesungen, sondern in der polnischen Übersetzung und Nachdichtung von Tadeusz Miciński.
Porträt des Komponisten in einer nachkolorierten Fotographie, wobei der Mann seinen Kopf in eine Hand stützt.
Der Komponist Karol Szymanowski© imago images/Leemage
Was die musikalische Nähe zur Klangwelt Nordafrikas und des Nahen Ostens angeht, haben beide Komponisten - der Romantiker Félicien David und der Modernist Karol Szymanowski - bewusst keine Imitationen oder Variationen bekannten Materials aus Ost oder West versucht.
Vielmehr bot ihnen die "fremde" Ideenwelt und Landschaft die Freiheit, etwas aus ihrer Sicht Neues auszuprobieren. Dieses Neue haben die Zeitgenossen begierig und begeistert aufgenommen. Auch viele Epochen später kann diese Musik noch verwirren und verzaubern, auch wenn der Orientalismus seitdem vielerlei Kritik erfahren hat.

Wegweisende Aufnahmen

Die beiden Aufnahmen in dieser Sendung entstanden quasi auch schon in unterschiedlichen Epochen. Das Radio-Symphonie-Orchester Berlin (das heutige Deutsche Symphonie-Orchester Berlin) führte Félicien Davids Wüstenode kurz vor dem Mauerfall in West-Berlin auf - noch bevor man auch in Frankreich das Schaffen des Orient-begeisterten Komponisten wieder entdecken wollte.
Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin wiederum spielte unter seinem damaligen Chefdirigenten Marek Janowski das "Lied der Nacht" erstmals im Februar 2003. Das Werk eines polnischen Komponisten mit einem Text der islamischen Mystik, mit vielen Anklängen an den französischen Impressionismus - Europäischen Geist im umfassenden Sinne beinhaltet diese Sinfonie, meint nicht nur Marek Janowski.
Aufzeichnung des Konzerts vom 15. Juni 1989 in der Philharmonie Berlin
Félicien-César David
"Le Désert" (Die Wüste), Ode symphonique in 3 Teilen für Sprecher, Tenor solo, Männerchor und Orchester auf Texte von Auguste Colin

Bruno Lazzaretti, Tenor
Olivier Pascalin, Sprecher
Herren des Chors der St. Hedwigs-Kathedrale Berlin
Radio-Symphonie-Orchester Berlin
Leitung: Carlo-Maria Guida


dazwischen: "Reiz und Grenzen des musikalischen Orientalismus" - der Musikwissenschaftler und Publizist Michael Stegemann im Gespräch mit Volker Michael

Aufzeichnung des Konzerts vom 9. Februar 2003 in der Philharmonie Berlin
Karol Szymanowski
Sinfonie Nr. 3 B-Dur für Tenor, gemischten Chor und Orchester "Lied der Nacht" op. 27

Ryszard Minkiewicz, Tenor
Rundfunkchor Berlin
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Marek Janowski

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