Organisierte Kriminalität

Wie Italiens Mafia Deutschland unterwandert

Bei einer Fehde unter italienischen Mafiosi wurden in Duisburg im Jahr 2007 sechs Männer erschossen.
Bei einer Fehde unter italienischen Mafiosi wurden in Duisburg im Jahr 2007 sechs Männer erschossen. © dpa / picture alliance / Federico Gambarini
Von Christian Blees · 10.03.2015
Sie investieren in Immobilien, waschen Milliarden im Baugewerbe: Mafia-Gruppen wie die N‘Drangheta und die Camorra haben den Wirtschaftsstandort Deutschland unter sich aufgeteilt. Den Ermittlern sind im Kampf gegen die Clans oft die Hände gebunden.
Die italienische Mafia scheint sehr weit weg. Daran haben auch die Morde von Duisburg im August 2007 kaum etwas ändern können. Damals waren aufgrund einer Fehde zweier verfeindeter Clans sechs Menschen auf offener Straße erschossen worden. Seitdem, so scheint es, herrscht in Sachen Mafia wieder Ruhe in Deutschland. Doch der Schein trügt. Für Experten steht längst fest: Die Aktivitäten organisierter krimineller Gruppierungen mit italienischen Wurzeln finden statt an Orten in ganz Deutschland. Die Palette reicht dabei von Betrügereien im Baugewerbe über Immobilieninvestitionen bis hin zur Finanzierung von Windkraftanlagen.
Laura Garavini ist gewählte Vertreterin der Auslands-Italiener im italienischen Parlament und dort Mitglied des Antimafia-Ausschusses. Nicht nur sie glaubt, dass die Morde von Duisburg bis heute als eine Art Betriebsunfall zu werten sind.
"Weil dadurch die Aufmerksamkeit sowohl der Polizeikräfte als auch der Staatsanwälte als auch der Institution und der Politik wahnsinnig gestiegen ist. Eigentlich nutzen sie den Raum hier auf der einen Seite, um sich zu verstecken und auf der anderen Seite auch wirtschaftliche Geschäfte zu machen, ohne dass es eben durch Gewalt oder durch Erpressungen sichtbar wird."
Wenn es um italienische Organisierte Kriminalität geht, dann ist oft pauschal von der Mafia die Rede. Fachleute dagegen unterscheiden in diesem Zusammenhang zwischen vier Haupt-Gruppen: der sizilianischen Cosa Nostra, der neapolitanischen Camorra, der Ndrangheta aus Kalabrien und der vergleichsweise kleinen Sacra Corona Unita aus Apulien.
Francesco Forgione hat ein Buch über die weltweiten Geschäfte der verschiedenen Mafia-Ableger geschrieben. Darin äußert sich der ehemalige Vorsitzende der Antimafia-Kommission des italienischen Parlaments auch zu verstärkten Mafia-Aktivitäten im frisch wiedervereinigten Deutschland – und zitiert in diesem Zusammenhang die Aussage eines inhaftierten Mafioso.
"Man sucht sich deutsche Bekannte – besonders solche, die im Bankgewerbe oder als Unternehmer tätig sind. Das war vor allem so, als die neue deutsche Hauptstadt gebaut wurde, Berlin. Dort wurden Millionen investiert. Was glauben Sie, wie viele italienische Unternehmen dort tätig waren? Hunderte! Und jeder sagt: 'Aber das ist doch nur natürlich, dass die Leute dorthin kommen, wo es Arbeit gibt.' Dabei geht es um etwas ganz anderes…"
Forgiones Kollegin, Laura Garavini, kann das bestätigen.
"Was die Direzione Nationale Antimafia betrifft, sind Telefonate abgehört worden, gleich nach dem Mauerfall, in denen Ndranghitisti, also Mitglieder der Ndrangheta aus Kalabrien, ihrer Leuten in Berlin befohlen haben zu kaufen. Und als gefragt wurde: 'Was sollen wir kaufen?', war die Antwort: " Kauf alles, was du kaufen kannst." Solche Abhörtelefonate sind natürlich ein Hinweis, dass verstanden wurde, was für ein Potenzial an Gewinnen nach der Wiedervereinigung entstehen konnte und dass man das massiv ausnutzen konnte."
Hamburg und Frankfurt werden von der Camorra dominiert, Köln von der Cosa Nostra
Laut Francesco Forgione beschränken sich die Aktivitäten der verschiedenen italienischen Mafia-Gruppierungen keineswegs nur auf Immobilienkäufe in Ostdeutschland. In seinem Buch beschreibt der Antimafia-Experte, wie Cosa Nostra, Camorra & Co. den gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland zwischen sich aufgeteilt haben. Demnach werden zum Beispiel Hamburg und Frankfurt von der Camorra dominiert, Köln von der Cosa Nostra. Am stärksten aber habe sich in den vergangenen Jahren die kalabrische N‘Drangheta in Deutschland breitgemacht, so Forgione – vor allem in Ruhrgebiets-Städten wie Duisburg, Bochum, Wuppertal und Oberhausen.
Nach Recherchen des italienischen Instituts Demoskopika erzielt alleine die kalabrische N’Drangheta mit ihren illegalen Geschäften in rund 30 Ländern einen Umsatz von etwa 53 Milliarden Euro im Jahr. Sie käme demnach auf eine geschätzte Wirtschaftskraft wie die Deutsche Bank und McDonald's zusammen. Auf 2013 bezogen, entspräche alleine der Jahresumsatz der N‘Drangheta somit immerhin dreieinhalb Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts. Der Studie des Instituts zufolge sind weltweit insgesamt rund 60.000 Menschen alleine in die Aktivitäten der kalabrischen Mafia-Gruppierung verwickelt.
"Ich denke eben, man muss sich entfernen von dem alten Bild der Mafia, also der Mafioso mit Gewehr und Coppola, also mit Mütze. Wir haben immer mehr mit einer Mafia der weißen Kragen zu tun. Wir haben eher mit Steuerberatern, wir haben mit Rechtsanwälten, wir haben sogar mit Notaren zu tun, die mafiösen Konstellationen einfach helfen und dienen."
Verglichen mit den Schätzungen des Mafia-Experten Francesco Forgione, liest sich die offizielle Darstellung des Bundeskriminalamtes eher unspektakulär. Im aktuellen Lagebericht des BKA zur Organisierten Kriminalität in Deutschland - kurz OK - heißt es:
"Die Anzahl italienisch dominierter OK-Gruppen ist im Vergleich zum Vorjahr wieder gestiegen – von 22 auf 26. Bei fast allen wurde eine internationale Tatbegehung festgestellt. Der festgestellte Schwerpunkt der italienisch dominierten OK-Gruppen lag wie in den Vorjahren im Bereich des Rauschgifthandels und -schmuggels."
Deutlich aufschlussreicher als der offizielle Bericht erscheint ein zweites, ganz anderes BKA-Schriftstück. Es stammt aus dem Jahr 2009 und trägt den Vermerk "Nur für den Dienstgebrauch". Die Analyse widmet sich auf immerhin 220 Seiten ausschließlich einer einzigen der vier bekannten Mafia-Gruppierungen, nämlich der kalabrischen N‘Drangheta. Zu vielen der rund 1000 aufgelisteten in Deutschland lebenden Personen sind detaillierte Informationen enthalten. Über einen der Genannten heißt es zum Beispiel:
"Bereits in den 70er-Jahren zogen die ersten italienischen Staatsangehörigen aus Corigliano Calabro nach Wuppertal/Remscheid. Damals wurde Arcangelo M., geboren am 30.09.1950, als Mafiapate des Bergischen Landes berühmt. M. betrieb in der Elberfelder Innenstadt ein Café, das Treffpunkt und Anlaufstelle italienischer Straftäter war. 1988 wurde M. auf Anweisung des Clanführers C. erschossen, da er ohne Zustimmung des Clans Geschäfte auf eigene Faust gemacht hatte. Das Café ist bis heute in italienischer Hand. Es ist immer noch ein Treffpunkt italienischer Straftäter."
Im Großraum Köln leben rund 35.000 Menschen sizilianischer Herkunft. Die Region gilt nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden vor allem für Angehörige der sizilianischen Cosa Nostra als bevorzugter Aktions- und Rückzugsraum.
"Im Zuge der gesamten Gastarbeiterbewegung in den 60er-Jahren – das hört sich so ein bisschen folkloristisch an, aber es ist tatsächlich so – sind natürlich sehr viele Menschen aus Südeuropa, aus Italien, gekommen, vorwiegend natürlich aus den ärmeren Bereichen Italiens, sprich aus Süditalien."
Thomas Jungbluth, beim Landeskriminalamt Düsseldorf Leiter der Abteilung zur Bekämpfung organisierter Kriminalität.
"Und die haben sich niedergelassen an den Standorten, wo Gastarbeiter gesucht worden sind. Das sind in der Regel die Industriestandorte gewesen – und das sind auch die Orte, die man heutzutage wieder erkennt als Bereiche, wo wir auch vermehrt Personen feststellen, die der italienischen organisierten Kriminalität zugeordnet werden."
Die Fahnder scheitern oft an gesetzlichen Hürden
Das Forschungszentrum für transnationale Kriminalität der Katholischen Universität Mailand hat im September 2014 eine Studie zu den europaweiten Aktivitäten verschiedener Mafia-Gruppierungen vorgelegt. Den Kriminalitätsforschern liegen demnach Hinweise vor, denen zufolge die sizilianische Cosa Nostra ihr durch illegale Machenschaften erwirtschaftetes Geld in Deutschland vor allem in Bau- und Textilunternehmen investiert. Die kalabrische N‘Drangheta wiederum steckt entsprechende Summen demnach bevorzugt in Restaurants und Catering-Betriebe. Thomas Jungbluth und seine Kollegen können zunächst einmal nicht viel dagegen unternehmen.
"Wenn wir den Hinweis bekommen, dass eine Person, die in Italien der organisierten Kriminalität angehören soll, sich hier in Nordrhein-Westfalen niedergelassen hat, dann gucken wir: stimmt das, gibt’s diese Person, hat sie sich hier niedergelassen, was macht die hier? Und da gibt’s einen kleinen Unterschied: In Italien ist die Zugehörigkeit zur Mafia schon ein Straftatbestand. Wir müssen hier nachweisen, dass er eine bestimmte Straftat begangen hat, es sei denn, es gibt ein Rechtshilfe- oder Auslieferungsersuchen der italienischen Behörden – was in der Regel nicht der Fall ist.
Wenn es kein Rechtshilfeersuchen gibt, müssen wir gucken, was die Person macht. Das Betreiben einer Pizzeria, eines Gastronomiebetriebes oder ähnliches ist kriminalistisch natürlich hochinteressant, begründet aber an sich noch keinen Anfangsverdacht für eine Straftat. So dass wir mit den Möglichkeiten, die uns dann zur Verfügung stehen, mit den rechtlichen Möglichkeiten, versuchen, Material zu sammeln und dann festzustellen: können wir ein Strafverfahren einleiten, ja oder nein? Je unverdächtiger sich ein Mensch hier verhält, desto schwerer wird das natürlich, das ist ganz klar."
Stärker als in Italien seien deutschen Ermittlern im Kampf gegen die organisierte Kriminalität durch die Gesetzeslage oft die Hände gebunden, sagt der LKA-Abteilungsleiter.
"Von italienischer Seite wird mehrfach darauf hingewiesen, dass wir in Deutschland zwei große Fehler hätten: zum einen die sogenannte Beweislastumkehr bei der Geldwäsche und zum anderen, dass wir hier nicht so abhören würden wie in Italien. Das kann man bedauern, darüber kann man sich sehr lange auslassen. Fest steht aber auch, dass wir mit den rechtlichen Gegebenheiten arbeiten müssen, die bei uns vorgeschrieben sind."
In Italien muss eine Person im Zweifelsfall nachweisen, dass sie das Geld legal erworben hat, mit dem sie ein Geschäft abwickeln will. Gelingt ihr dies nicht, wird das Vermögen vom Staat einkassiert. In Deutschland verhält es sich genau anders herum: Stoßen Fahnder bei einem Verdächtigen auf einen größeren Betrag ungeklärter Herkunft, dann müssen sie dem Betreffenden nachweisen, dass dieser das Geld illegal erwirtschaftet hat.
Wie die Baumafia über Strohfirmen illegale Gelder in den hiesigen Wirtschaftskreislauf einspeist
Laut Bundeskriminalamt werden durch die Strafverfolgungsbehörden hierzulande pro Jahr durchschnittlich 600 Ermittlungsverfahren geführt, die sich gegen Gruppierungen der Organisierten Kriminalität richten. Zum dabei entstandenen wirtschaftlichen Schaden äußerte sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei der Vorstellung des BKA-Bundeslageberichts.
"Wir haben im Jahr 2013 etwa einen Schaden von 720 Millionen Euro zu verzeichnen. Und das umfasst noch keinerlei Zahlen aus der Dunkelziffer, die es hier natürlich in großem Maße gibt. Der Anstieg der kriminellen Erträge ist um zehn Prozent gestiegen. Im Jahr 2013 wurden in fast 90 Prozent aller OK-Verfahren Finanzermittlungen durchgeführt. In 35 Prozent der Fälle fanden sich dabei auch Hinweise auf Geldwäsche. Die großen, durch Verbrechen erworbenen Vermögen sollen natürlich durch Geldwäsche quasi legalisiert werden, und das wollen wir verhindern."
In einem ans Tageslicht gekommenen Fall verurteilte das Landgericht Köln vor knapp einem Jahr vier Italiener zu jeweils mehrjährigen Haftstrafen. Sie hatten den deutschen Staat und die Sozialkassen mithilfe von Scheinfirmen nachweislich um sechs Millionen Euro betrogen. Alexander Fuchs von der Staatsanwaltschaft Köln erklärt, wie die italienische Baumafia über sogenannte Strohfirmen illegale Gelder in den hiesigen Wirtschaftskreislauf einspeist, ohne dass dies den Behörden zunächst auffallen muss.
"Die gehen zum Gewerbeamt, die gehen zum Finanzamt, lassen sich eine Steuernummer geben und dann immer auch die entsprechenden Unbedenklichkeitsbescheinigungen. Das heißt also, ein Papier, in dem drinsteht: Ja, die Firma ist ordnungsgemäß beim Finanzamt registriert und hat bisher auch immer die Steuern bezahlt. Am Anfang ist das ja tatsächlich auch zutreffend, zumal die Betreibergruppierungen dafür sorgen, dass in den ersten Monaten einer solchen Firma tatsächlich auch alles bezahlt wird. Die Firmen haben in der Regel einen Steuerberater, der tatsächlich auch nach außen hin tätig wird. Es hat alles einen ganz normalen Anschein, so dass diese Unternehmen auch im Anmeldeprozess nicht unbedingt auffallen. Es gibt einen Handwerksmeister, der eingetragen ist. Es ist alles ordnungsgemäß."
Immer mehr Mafia-Unternehmen werden an Personengesellschaften mit deutschen Strohmännern überschrieben. Weil diese pro Jahr offiziell meist weniger als 500.000 Euro Umsatz und 50.000 Euro Gewinn machen, eignen sie sich hervorragend zur Geldwäsche. Denn dadurch sind sie nach deutschem Recht automatisch von der Buchführungspflicht befreit. In diesem Fall reicht es aus, dem zuständigen Finanzamt eine simple Einnahmen-Überschuss-Rechnung vorzulegen.
Die Strohfirmen der Mafiosi basieren meist auf einem einfachen Geschäftsmodell: Sie stellen anderen Unternehmen Rechnungen für nie erbrachte Leistungen aus. Die Summen, die sie dafür überwiesen bekommen, zahlen sie ihren angeblichen Kunden anschließend – abzüglich einer Provision – in bar zurück. Entnommen werden die entsprechenden Gelder aus Töpfen, die sich zum Beispiel aus illegalen Drogengeschäften speisen. Auf diese Weise können die Mafiosi unauffällig Geld waschen. Auf der anderen Seite freuen sich ihre vermeintlichen Kunden über das Bargeld, das zurück in die eigenen Kassen fließt. Mit diesem lassen sich dann zum Beispiel im Baugewerbe Schwarzarbeiter bezahlen.
"Und der Rest, der übrig bleibt, verbleibt ihm tatsächlich als Gewinn. Neben dem Umstand, dass unser Unternehmer dann für die Schwarzlöhne keine Steuern und Sozialabgaben abführt, hat er obendrein auch noch den Vorteil, dass die gesamte Rechnungssumme bei ihm in der Einkommenssteuererklärung bzw. in der Körperschaftssteuererklärung für seine Firma als Betriebsausgabe anerkannt wird. Das sieht ja niemand, dass dahinter letztlich keine Leistung steht, jedenfalls nicht die Leistung, die auf dem Papier erscheint, so dass er auch noch Einkommensteuer spart."
Zehn Milliarden Euro Schaden allein durch die illegale Bauwirtschaft
Was auch nicht ganz unwichtig ist: Durch die Schwarzarbeit kann die betreffende Baufirma – bei der es sich nicht selten ebenfalls um ein Mafia-Unternehmen handelt - auf dem hart umkämpften Markt konkurrenzlos günstige Preise anbieten. So kommt es, dass letztlich auch der eine oder andere öffentliche Bauauftrag hierzulande von einer Mafia-Firma ausgeführt wird. Davon sind zumindest viele Experten überzeugt.
Die Gewerkschaft Verdi schätzt den Schaden, der dem deutschen Staat alleine durch die illegale Bauwirtschaft entsteht, auf jährlich bis zu zehn Milliarden Euro. Staatsanwalt Alexander Fuchs erklärt, warum das Entdeckungsrisiko für die Strohfirmen der italienischen Hintermänner dabei eher gering ist.
"Die Struktur der deutschen Behörden in diesem Spannungsfeld Gewerbe, Steuer, Zoll, Schwarzarbeit ist tatsächlich so, dass man sich die fehlende Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden auch zunutze machen kann. Sie haben auf der einen Seite Polizei, die vielleicht Erkenntnisse hat zu organisierter Kriminalität. Diese Erkenntnisse werden aber bei dieser konkreten Kriminalitätsform nicht verknüpft mit den Erkenntnissen, die zum Beispiel der Zoll hat – die Zollverwaltung zu organisierter Schwarzarbeit. Das wird auch nicht verknüpft mit Erkenntnissen, die die Finanzverwaltung hat, die ja dann auch noch Ländersache ist. Das heißt: Sie haben auf der einen Seite das Problem Zoll als Bundesbehörde, demgegenüber stehen die Finanzverwaltung und die Polizei als Landesbehörden - die aber konkret auch eher wenig Anlass haben, zusammen zu ermitteln, weil jeder sagt: Das ist eigentlich nicht mein Betätigungsfeld."
Eine mögliche Lösung beim Bekämpfen derart illegaler Machenschaften sieht der Kölner Staatsanwalt in fachübergreifenden Ermittlungskommissionen – bestehend aus Spezialisten der Kriminalpolizei für organisierte Kriminalität sowie aus Fahndern von Zoll- und Steuerbehörden.
"So wäre es jedenfalls möglich, diesen tatsächlich bestehenden Markt an Strohmannfirmen, egal jetzt in welchem Gewerbe und egal betrieben von welchen Ethnien, einzudämmen. Ich will nicht sagen, dass man den lahmlegen oder trockenlegen kann. Die Möglichkeiten haben wir nicht, aber man wird ihn eindämmen können."
Wie viele legale Wirtschaftsunternehmen sind auch die verschiedenen Mafia-Gruppierungen stets auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern. Sie suchen jedoch nicht nur attraktive Renditen sondern auch nach Möglichkeiten, ihre illegal erworbenen Milliarden reinwaschen. Dabei geraten zunehmend auch Öko-Projekte in den Fokus der Mafiosi. Dies bestätigte ein Vertreter des Bayerischen Landeskriminalamtes im März 2013 bei einer Expertenanhörung im Hinblick auf Aktivitäten im Bereich der erneuerbaren Energien:
"Innerhalb der letzten drei bis fünf Jahre hat sich das bei italienischen Mafia-Gruppierungen tatsächlich zu einem sehr beliebten Geldwäschemodell entwickelt. Zum einen ist die Investitionsfreude in derartige Projekte gestiegen, zum anderen hat man neben dem, dass man sein eigenes kriminell erwirtschaftetes Geld waschen kann, auch noch die Möglichkeit, Subventionen der Europäischen Union abzugreifen."
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt seit November 2013 in einem Fall, in den neben Strohmännern aus Deutschland auch die HSH Nordbank verwickelt ist. Konkret geht es um einen Windpark im italienischen Cortone, einer Hochburg der kalabrischen N‘Drangheta. Für das Projekt soll die HSH Nordbank im Jahr 2006 ohne Sicherheiten einen Kredit von rund 225 Millionen Euro gewährt haben. Strohleute unter anderem aus Deutschland hätten demnach Anteile an der Betreibergesellschaft des Windparks übernommen – um auf diese Weise Mafia-Gelder zu waschen. Das glaubt zumindest die Staatsanwaltschaft.
Strengere Voraussetzungen für das Abhören von Telefongesprächen
Was die Arbeit der deutschen Ermittlungsbehörden auch in diesem Fall erschwert, ist nicht nur die hierzulande fehlende Regelung der Beweislastumkehr. Zu schaffen machen den Fahndern zusätzlich die im Vergleich zu Italien deutlich restriktiveren gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf das heimliche Abhören und Mitschneiden von Telefongesprächen. Dazu noch einmal Thomas Jungbluth, Abteilungsleiter für organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt Düsseldorf:
"Wenn ich die Situation in Italien mit der in Deutschland vergleiche, dann ist es, denke ich mal, unstrittig, dass in Italien die italienische organisierte Kriminalität viel tiefer in die Gesellschaft verwurzelt ist als bei uns in Deutschland. Das hat zur Folge, dass die italienische Gesellschaft auch bereit ist, sehr viel tiefer gehende Rechtseingriffe zu dulden als das bei uns in Deutschland der Fall wäre. Von daher ist es nicht ungewöhnlich, dass natürlich in Italien das Abhören von Telefongesprächen, von Räumen, Privaträumen, von öffentlichen Räumen ein Mittel ist, um Personen zu identifizieren, die dann der italienischen OK angehören und sie entsprechend zu verurteilen. Bei uns in Deutschland sind strengere Voraussetzungen für das Abhören von Telefongesprächen oder sogar von Wohnräumen vorgegeben."
Für die Telefonüberwachung Verdächtiger gibt es in Deutschland deutlich höhere Hürden als in Italien.
Für die Telefonüberwachung Verdächtiger gibt es in Deutschland deutlich höhere Hürden als in Italien.© dpa picture alliance / Jan-Philipp Strobel
Anfang 2008 trat das novellierte "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen" in Kraft. Darin wurde der Katalog der Straftaten eingeschränkt, zu deren Aufklärung eine Telefonüberwachung überhaupt angeordnet werden darf. Zu ihnen gehören seitdem nur noch solche Vergehen, bei denen den Tätern im Falle einer Verurteilung mindestens fünf Jahre Haft drohen. Darunter fallen zum Beispiel Drogendelikte, schwere Betrugsfälle und Mord. Unverändert blieb dagegen Paragraph 100a, Absatz 1 des Gesetzes. Darin heißt es:
"Maßnahmen dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht angeordnet werden. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen."
Die Zahl der Gerichtsverfahren in Deutschland, in denen das Abhören von Telefonaten eine Rolle spielt, hat in den vergangenen Jahren dennoch deutlich zugenommen. Das geht aus einer Statistik des Bundesamtes für Justiz hervor. Demnach ist die Zahl von 2007 – dem letzten Jahr vor Inkrafttreten der neuen Gesetzesregelung – bis 2013 um etwa 19 Prozent gestiegen: von 4800 auf knapp 5700 Verfahren.
"Es wird aber auch immer schlimmer, die Situation bei den Ermittlungen für uns wirklich gerichtsfest abzuliefern."
Erich Rettinghaus gerät richtiggehend in Rage, wenn man ihn auf die aktuelle Gesetzeslage anspricht. Rettinghaus ist seit 2010 Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen. Vor über dreißig Jahren hat er als Polizeibeamter im Streifendienst angefangen. Bis zu seiner aktuellen Funktion war der Gewerkschafts-Chef beim polizeilichen Staatsschutz in Duisburg tätig.
"Es verlagert sich ja immer mehr aufs Internet, auf mobile Sachen, auf Prepaid-Karten. Da wird getrickst, auch mit ausländischen Prepaid-Karten. Also, da gibt’s verdammt viel – Trojaner auf den Rechner schicken, und und und. Alles diese Sachen, die müssen wir nutzen dürfen."
Nicht zuletzt durch das Bekanntwerden der Abhör-Praktiken des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA hat das Thema Telefonüberwachung hierzulande an Brisanz zugelegt. Trotzdem hält der Polizei-Gewerkschafter die aktuellen gesetzlichen Regelungen im Kampf gegen - nicht nur italienische - OK-Gruppierungen für völlig unzureichend.
"Ein Beispiel: Wir wollen wissen, wem der Mafia-Boss XY in den letzten Monaten Mails geschrieben hat, was auf seinem Rechner los war und mit wem er telefoniert hat. So. Dann sind wir auf Daten angewiesen, die uns ein Provider zur Verfügung stellt. Nehmen wir mal irgendeinen, da gibt’s ja verschiedene: E-plus, Vodafone, T-Mobile oder Sonstige. Und dann haben wir keine gesetzliche Verpflichtung zur Speicherung irgendwelcher Verbindungsdaten. Das heißt also: Die halten die vor für einen gewissen Zeitraum, die die meistens für die Abrechnung brauchen, und danach wird das gelöscht, weil halt keine Verpflichtung da ist, zum Beispiel die letzten sechs Monate aufzuzeichnen und vorzuhalten."
Die Politik zeigt wenig Interesse an dem Problem
"Deutschland, Verbrecherland" lautet der Titel des Romans den Egbert Bülles, bis 2012 Oberstaatsanwalt in Köln, gleich nach seiner Pensionierung geschrieben hat. Er berichtet darin von seinem jahrelangen Kampf gegen die organisierte Kriminalität und bemängelt die laxe Haltung vieler einheimischer Politiker, wenn es um die Bekämpfung der verschiedenen Mafia-Gruppierungen in Deutschland geht.
"Da will ich Ihnen ein Beispiel nennen. Als die SPD in der Opposition war, ich glaube 2006 oder 2007, haben die eine Große Anfrage gemacht im Landtag bei der CDU/FDP-Regierung, die Mafia hätte Nordrhein-Westfalen im Griff. Was denn die Landesregierung dagegen zu tun hatte. Zwei Jahre später sind sie an der Macht - es passiert nichts."
Nach Ansicht von Experten wäscht alleine die N‘Drangheta 80 Prozent der Gelder, die sie illegal erwirtschaftet, in Deutschland. Bei den anderen italienischen OK-Gruppierungen dürfte es kaum anders aussehen. Wie kann es da sein, dass die Politik sich hierzulande derart desinteressiert zeigt?
"Die Politik beziehungsweise die Industrie und die Gesellschaft hat oft kein Interesse an einer wirksamen Bekämpfung der italienischen Mafia. Warum nicht? Weil da Gelder kommen. Die bringen Investitionen. Die bringen Arbeitsplätze."
Egbert Bülles hat viele Ideen, wie man Cosa Nostra, Camorra & Co. hierzulande wirkungsvoll bekämpfen könnte. Er nennt Stichworte wie Anti-Mafia-Gesetz, Sonder-Staatsanwaltschaft und Spezialistentum auf Seiten der Ermittlungsbehörden. Auf juristischer Ebene, so Bülles, bestünde jedenfalls ein erheblicher Nachholbedarf.
"Unser Strafgesetzbuch ist von 1871, da sind einige Neuregelungen gekommen, will ich gar nicht abstreiten. Unsere Strafprozessordnung von 1877 – damals gab es kein Telefon, es gab keine Handys. Es ist komplizierter geworden, weltweit. Wir haben Internet und so weiter. Die Welt hat sich völlig geändert. Nur: Die Strukturen, die Einteilungen in Deutschland, sind geblieben, wie sie 1871 waren."
Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa, OECD, glaubt, dass in Deutschland zu wenig gegen Geldwäsche unternommen wird. Im April vergangenen Jahres forderte die Geldwäsche-Task-Force der OECD die Bundesregierung auf, in Sachen Strafrecht nachzubessern. Kritisiert wurde vor allem, dass in Deutschland die sogenannte Selbstgeldwäsche bislang nicht strafbar ist.
Das bedeutet: Wer sich bereits durch die illegale Beschaffung von Geldern strafbar gemacht hat, kann zusätzlich nicht auch noch wegen der eigentlichen Geldwäsche belangt werden. Das soll sich nach Auskunft des Bundesjustizministeriums demnächst ändern. Ein entsprechender Gesetzesentwurf, so heißt es, sei bereits in Bearbeitung. Das Ausmaß der Haftstrafe, die das Strafgesetzbuch für Geldwäsche vorsieht, soll davon allerdings unberührt bleiben. Es beträgt zwischen drei Monaten und fünf Jahren. Nach Ansicht vieler Experten ist das deutlich zu wenig.
"Das heißt also: Bei Baumafia und so weiter – was juckt das, wenn man 24 Millionen an einem Auftrag verdient hat, wenn man dann dafür zwei Jahre in den Knast geht?"
Petra Reski hat viele Reportagen und auch Bücher über die italienische Mafia geschrieben. Wie Egbert Bülles bemängelt auch sie, dass die Politik hierzulande zu häufig die Augen vor der Mafia verschließe – wie etwa nach dem Fall der Mauer so mancher Bürgermeister im Osten Deutschlands.
"Die Erfurter Innenstadt – das ist ja kein Geheimnis – ist von N’Drangheta-Geldern aufgebaut worden. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie eng die Interessen der Mafia mit denen der Politik verstrickt sind."
Letztlich, so Petra Reski, seien aber nicht nur die Politiker aufgefordert, im Zweifelsfall etwas genauer hinzuschauen. Auch den normalen Bürger sieht sie in der Pflicht.
"Weil man eben nach wie vor glaubt, die Mafia sei ein italienisches Problem. Die Mafia ist seit vierzig Jahren kein ausschließlich italienisches Problem mehr, sondern ein europäisches Problem. Nur: Solange wir Deutschen uns moralisch den Italienern überlegen fühlen – so nach dem Motto: 'Ach, die Italiener, die kriegen das ja irgendwie nicht auf die Reihe mit der Mafia' – solange wir stumm das Geld einkassieren, was die hier schön investieren, in den Aufbau Ost beispielsweise, dann haben wir natürlich ein kleines moralisches Problem, würde ich sagen."
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