Orchestre Philharmonique de Radio France

Anna Vinnitskaya in Paris

Die Pianistin Anna Vinnitskaya
Die Pianistin Anna Vinnitskaya © Gela Megrelidze
Moderation: Volker Michael · 13.10.2020
Mit einem großen Repertoirewerk gastierte die Pianistin Anna Vinnitskaya in Paris beim Orchestre Philharmonique de Radio France. Sergej Rachmaninows 3. Klavierkonzert stand neben Debussys "Le martyre de Saint Sébastien" und einem neuen Werk von Camille Pépin. Mikko Franck dirigierte.
Eigentlich wollten wir an dieser Stelle das Saisoneröffnungskonzert aus der Harpa in Reykjavik senden. Das ist aber den Pandemiebeschränkungen zum Opfer gefallen. Stattdessen gibt es ein voll-umfängliches Sinfoniekonzert aus Paris. Am 18. September war die Pianistin Anna Vinnitskaya in der französischen Hauptstadt zu Gast. Zusammen mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France hat sie das dritte Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow gespielt. Ein absoluter Repertoirerenner, lang, virtuos und in jeder Hinsicht anspruchsvoll.

Der Heilige Sebastian im Konzert

Das Konzert endet mit den Symphonischen Fragmenten aus dem Ballett "Le Martyre de Saint Sébastien" von Claude Debussy. Mikko Franck leitete den Abend im Auditorium des Funkhauses von Radio France. Der finnische Dirigent ist künstlerischer Leiter des Orchesters, das eines von zwei Rundfunkorchestern in Paris ist.
Der Dirigent Mikko Franck im März 2014 in Wien
Der Dirigent Mikko Franck im März 2014 in Wien© imago images/SKATA
Am Anfang des Pariser Abends stand ein neues Werk der französischen Komponistin Camille Pépin. "Avant les clartés de l’aurore" – vor der Klarheit der Morgenröte - so lautet der Titel – und das ist auch die vierte Zeile eines Gedichts von Alexander Puschkin. Camille Pépin ist 29 Jahre alt, wurde in Amiens geboren und hat in Paris studiert. Für ihre sensitive, oft repetitive und akzentfreudige Musik wurde sie mehrfach ausgezeichnet, und in Frankreich hat sie einige Werke bereits bei Festivals aufführen können.

Vor der Klarheit der Morgenröte

Ein Auszug aus einem tatarischen Lied ist der Komponistin bei Puschkin besonders aufgefallen: "Also verbreitet der Mond auf der Rose/sobald der Regen wieder zunimmt/seinen mystischen Schein/vor der Klarheit der Morgenröte." Die Komponistin hat in der russischen Lyrik nach inspirierenden Versen gesucht und war angezogen von der Farbigkeit und dem Rhythmus dieses Puschkin-Gedichts.
Einen großen Schwerpunkt aus russische Musik, vor allem die von Rachmaninow und seinem Antipoden Igor Strawinsky legen die beiden französischen Radio-Orchester im aktuellen Herbstprogramm. So kommt es, dass man Rachmaninows Klavierkonzerte im Wochenabstand in Paris hören kann, beim Orchestre Philharmonique de Radio France und beim Orchestre National de France.

Die Faszination des Leidens

Das dritte Werk im Programm am 18. September hatte keinen direkten Russlandbezug – auch die orthodoxen Kirchen verehren allerdings als Heiligen den römischen Soldaten Sebastian. Er bekannte sich unter Kaiser Diokletian zum Christentum, als das Römische Reich noch nicht heilig, sondern heidnisch war. Sebastian wurde gleich zweimal dafür hingerichtet. Die erste Hinrichtung durch Erschießung durch Bogenschützen konnte er wie durch ein Wunder überleben. Der italienische exzentrische Dichter Gabriele D‘Annunzio hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein mittelalterliches Mysterienspiel geschrieben. Das hat die Menschen der Kunst damals fasziniert, auch die russische Tänzerin Ida Rubinstein. Die beauftragte daraufhin Claude Debussy, eine Musik dazu zu schreiben. "Le Martyre de Saint Sébastien" ist ein besonderes Werk – auch im Gesamtschaffen Debussys.

Skandal: Frau tanzt katholischen Heiligen

Es ist besonders religiös, orientalisch und experimentell. Dichtung, Ballett und Musik sorgten für Skandale – die katholische Kirche fühlte sich gleich mehrfach provoziert. Die Darstellung des Heiligen ist sehr körperbetont, man könnte meinen, Sebastian sei eine Ikone der Homosexualität. Und dann wollte Ida Rubinstein den Heiligen auch noch selbst verkörpern in ihrem Ballett. Französischen Gläubigen war es durch die Strafe der Exkommunikation verboten, Vorstellungen des Tanzspiels zu besuchen. Das sieht im Original ein großes Orchester und einen gemischten Chor vor – Debussys Verleger hat kurz nach der erfolglosen Uraufführung des Mysterienspiels Symphonische Fragmente daraus herstellen lassen.
Auditorium des Funkhauses von Radio France, Paris
Aufzeichnung vom 18. September 2020
Camille Pépin
"Avant les clartés de l'aurore" für Orchester (Uraufführung)
Sergej Rachmaninow
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 d-Moll op. 30
Claude Debussy
Fragments symphoniques aus "Le martyre de Saint Sébastien"

Anna Vinnitskaya, Klavier
Orchestre Philharmonique de Radio France
Leitung: Mikko Franck

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