Orale Toleranz
Eine Studie der Duke-Universität in den USA, die Nahrungsmittel-Allergien bei Kindern dadurch therapiert, dass man die Kinder nicht von den Allergenen fernhält, sondern sie gezielt und unter ärztlicher Aufsicht mit den fraglichen Allergenen versorgt. Und das hat sogar funktioniert.
Bisher ist keine wirksame Therapie bei Lebensmittel-Allergien bekannt – außer der Vermeidung der Allergene. Letzteres ist aber meist schwerer als gedacht, nicht nur aufgrund von Problemen bei der Deklaration, sondern auch aufgrund der Gefahr einer Kreuzkontamination in der Küche. Ja es gibt Fälle, bei denen Allergien durch einen Kuss ausgelöst wurden – der Partner hatte vorher was
gegessen.
Der Versuch: Kinder mit einer Hühnerei-Allergie bekamen täglich eine gewisse Menge Eipulver unters Essen gemischt. Man begann mit 0,1 Milligramm und steigerte sich über einen längeren Zeitraum auf bis zu 0,3 Gramm. Kam es zu einer allergischen Reaktion wurde die Dosis wieder etwas vermindert. Nach zwei Jahren wurde die Ei-Allergie erneut im Doppelblindversuch überprüft: Die Kinder vertrugen dann mindestens zwei Gramm Eipulver schadlos, teilweise bis zu 15 Gramm. Die Methode soll für eine so genannte orale Toleranz sorgen. (Da bei dieser Methode die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks nicht ausgeschlossen ist, darf sie nur mit ärztlicher Begleitung durchgeführt werden.)
Hintergrund: Der Körper hat bei der Verdauung eine ziemlich schwierige Aufgabe. Er muss erkennen, ob das Eiweiß, das in seinen Körper gelangt ist, ihm selbst gehört, oder zu den Mikroben seiner Darmflora oder zu einem Nahrungsmittel, das ihn nähren soll. Und es gibt noch eine weitere Möglichkeit: Das Eiweiß könnte auch eine Angriffswaffe eines Krankheitserregers sein, den es umgehend zu entfernen gilt. Zur Entfernung der unerwünschten Gäste bildet er Antikörper und reagiert auch schon mal allergisch. Wenn er sich da vertut und ein Nahrungseiweiß für eine böse Bazille hält, kann eine Lebensmittelallergie die Folge sein.
Hierbei ist zu bedenken, dass der Körper in seinem größten Organ des Immunsystems, den Schleimhäuten des Verdauungstraktes einem steten Bombardement an Myriaden von Eiweißen aus Nahrung, Darmbakterien und Krankheitserregern ausgesetzt ist. Bevor also die Eiweiße vom Verdauungstrakt aufgenommen und zerlegt werden, ist erst mal eine Einschätzung ihrer jeweiligen Funktion (Freund oder Feind) bei jedem einzelnen Molekül erforderlich. Fehlentscheidungen der Schleimhaut können fatale Folgen für den Organismus haben.
Also muss der Verdauungstrakt lernen, Nahrungseiweiße zu identifizieren und dagegen ganz bewusst keine Antikörper zu bilden. Er muss lernen sie zu tolerieren. Daher der Name orale Toleranz. Gewöhnlich hängt die Entscheidung einen Stoff zu akzeptieren oder zu bekämpfen, davon ab, ob das fragliche Eiweiß beim ersten Kontakt mit dem Körper im Darm aufgetaucht ist. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum man durch systematisches Einschmieren von Säuglingen mit so genannten "Kosmetika", die aus "natürlichen Lebensmittelinhaltsstoffen" zusammengesetzt sind, später allergische Reaktionen gegen die gleichen Produkte als Nahrungsmittel induzieren kann.
Das Prinzip, dass man durch Verfüttern von Eiweißen eine Reaktion des Immunsystems unterdrücken kann, ist übrigens seit etwa 100 Jahren bekannt. Allerdings hat man trotz intensiver Forschung bis heute keine rechte Ahnung davon, wie der Körper diese Unterscheidungen trifft, wie er das lernt und wie er sich das merkt. Es wird also noch eine geraume Zeit dauern, bis es dem menschlichen Gehirn gelungen sein wird, die anspruchsvolle "Denkweise" seines Darmes zu begreifen und nachzuvollziehen. Vielleicht wird er auch auf Dauer der klügere Partner bleiben, der immer dann nachgeben muss, wenn sich irgendein kluger Kopf eine neue Diät zur Erziehung der dummen Körper ausgedacht hat.
Ausblick: Die Methode wurde gleichermaßen zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten wie Arthritis, Multipler Sklerose oder Diabetes geprüft. Bei einer Autoimmunerkrankung geht man davon aus, dass das Immunsystem körpereigene Eiweiße nicht als solche erkennt und sie für Krankheitserreger hält. Um dieses Werk der inneren Zerstörung zu beenden, soll der Körper lernen dieses Eiweiß zu tolerieren – deshalb gibt man die entsprechenden Stoffe oral. Der Erfolg ist aber beim Menschen bisher eher mäßig. Aufgrund von Tierversuchen wird vermutet, dass das Prinzip nicht mehr wirksam ist, wenn sich eine Autoimmunkrankheit erst mal etabliert hat.
Fazit: Erstens ist unser Darm nicht etwa eine primitive "Kackröhre", sondern ein höchst intelligentes Organ. Zweitens ist es keine gute Idee Kinder ohne Notvon allen möglichen Allergenen fernzuhalten, in der vagen Hoffnung damit eine Allergie zu vermeiden. Oft genug funktioniert es genau andersherum – und keiner weiß warum.
Quelle: Buchanan AD et al: Egg orla immunotherapy in nonanaphylactic children with egg allergy. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2007; 119: 199-205
gegessen.
Der Versuch: Kinder mit einer Hühnerei-Allergie bekamen täglich eine gewisse Menge Eipulver unters Essen gemischt. Man begann mit 0,1 Milligramm und steigerte sich über einen längeren Zeitraum auf bis zu 0,3 Gramm. Kam es zu einer allergischen Reaktion wurde die Dosis wieder etwas vermindert. Nach zwei Jahren wurde die Ei-Allergie erneut im Doppelblindversuch überprüft: Die Kinder vertrugen dann mindestens zwei Gramm Eipulver schadlos, teilweise bis zu 15 Gramm. Die Methode soll für eine so genannte orale Toleranz sorgen. (Da bei dieser Methode die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks nicht ausgeschlossen ist, darf sie nur mit ärztlicher Begleitung durchgeführt werden.)
Hintergrund: Der Körper hat bei der Verdauung eine ziemlich schwierige Aufgabe. Er muss erkennen, ob das Eiweiß, das in seinen Körper gelangt ist, ihm selbst gehört, oder zu den Mikroben seiner Darmflora oder zu einem Nahrungsmittel, das ihn nähren soll. Und es gibt noch eine weitere Möglichkeit: Das Eiweiß könnte auch eine Angriffswaffe eines Krankheitserregers sein, den es umgehend zu entfernen gilt. Zur Entfernung der unerwünschten Gäste bildet er Antikörper und reagiert auch schon mal allergisch. Wenn er sich da vertut und ein Nahrungseiweiß für eine böse Bazille hält, kann eine Lebensmittelallergie die Folge sein.
Hierbei ist zu bedenken, dass der Körper in seinem größten Organ des Immunsystems, den Schleimhäuten des Verdauungstraktes einem steten Bombardement an Myriaden von Eiweißen aus Nahrung, Darmbakterien und Krankheitserregern ausgesetzt ist. Bevor also die Eiweiße vom Verdauungstrakt aufgenommen und zerlegt werden, ist erst mal eine Einschätzung ihrer jeweiligen Funktion (Freund oder Feind) bei jedem einzelnen Molekül erforderlich. Fehlentscheidungen der Schleimhaut können fatale Folgen für den Organismus haben.
Also muss der Verdauungstrakt lernen, Nahrungseiweiße zu identifizieren und dagegen ganz bewusst keine Antikörper zu bilden. Er muss lernen sie zu tolerieren. Daher der Name orale Toleranz. Gewöhnlich hängt die Entscheidung einen Stoff zu akzeptieren oder zu bekämpfen, davon ab, ob das fragliche Eiweiß beim ersten Kontakt mit dem Körper im Darm aufgetaucht ist. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum man durch systematisches Einschmieren von Säuglingen mit so genannten "Kosmetika", die aus "natürlichen Lebensmittelinhaltsstoffen" zusammengesetzt sind, später allergische Reaktionen gegen die gleichen Produkte als Nahrungsmittel induzieren kann.
Das Prinzip, dass man durch Verfüttern von Eiweißen eine Reaktion des Immunsystems unterdrücken kann, ist übrigens seit etwa 100 Jahren bekannt. Allerdings hat man trotz intensiver Forschung bis heute keine rechte Ahnung davon, wie der Körper diese Unterscheidungen trifft, wie er das lernt und wie er sich das merkt. Es wird also noch eine geraume Zeit dauern, bis es dem menschlichen Gehirn gelungen sein wird, die anspruchsvolle "Denkweise" seines Darmes zu begreifen und nachzuvollziehen. Vielleicht wird er auch auf Dauer der klügere Partner bleiben, der immer dann nachgeben muss, wenn sich irgendein kluger Kopf eine neue Diät zur Erziehung der dummen Körper ausgedacht hat.
Ausblick: Die Methode wurde gleichermaßen zur Behandlung von Autoimmunkrankheiten wie Arthritis, Multipler Sklerose oder Diabetes geprüft. Bei einer Autoimmunerkrankung geht man davon aus, dass das Immunsystem körpereigene Eiweiße nicht als solche erkennt und sie für Krankheitserreger hält. Um dieses Werk der inneren Zerstörung zu beenden, soll der Körper lernen dieses Eiweiß zu tolerieren – deshalb gibt man die entsprechenden Stoffe oral. Der Erfolg ist aber beim Menschen bisher eher mäßig. Aufgrund von Tierversuchen wird vermutet, dass das Prinzip nicht mehr wirksam ist, wenn sich eine Autoimmunkrankheit erst mal etabliert hat.
Fazit: Erstens ist unser Darm nicht etwa eine primitive "Kackröhre", sondern ein höchst intelligentes Organ. Zweitens ist es keine gute Idee Kinder ohne Notvon allen möglichen Allergenen fernzuhalten, in der vagen Hoffnung damit eine Allergie zu vermeiden. Oft genug funktioniert es genau andersherum – und keiner weiß warum.
Quelle: Buchanan AD et al: Egg orla immunotherapy in nonanaphylactic children with egg allergy. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2007; 119: 199-205