Oppermann: Kompromiss bei Hartz IV war nicht gewollt

Thomas Oppermann im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 09.02.2011
Der Parlamentarische Geschäftsführer SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, gibt der Bundesregierung die Schuld am Scheitern der Hartz IV-Verhandlungen. Die Opposition sei kompromissbereit gewesen und habe sich in allen Punkten bewegt, sagte Oppermann.
Jörg Degenhardt: Es war kurz vor Weihnachten, da hat der Bundesrat die schwarz-gelben Pläne für eine Hartz-IV-Reform gestoppt. Seitdem suchten Regierung und Opposition verbissen nach einem Kompromiss. Ausgelöst hatte den Streit das Bundesverfassungsgericht, das verlangte vom Gesetzgeber, das Existenzminimum für Langzeitarbeitslose neu zu berechnen. Die Bundesregierung schlug daraufhin eine Erhöhung von fünf Euro vor plus ein Bildungspaket für Kinder, die SPD setzte elf Euro dagegen. Dann ging es aber auch um Mindestlöhne und um Gemeindefinanzen. Kurz: Das ganze Hin und Her wurde immer unübersichtlicher. Letzte Nacht wurde wieder verhandelt, wir haben es gehört, das Ergebnis war allerdings gleich null. Mit dabei war Thomas Oppermann, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, und er ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Oppermann!

Thomas Oppermann: Ja, guten Morgen!

Degenhardt: Wenn ich Sie jetzt frage, warum die Gespräche gescheitert sind, werden Sie bestimmt sagen, Union und FDP haben sich nicht bewegt. Umgekehrt gefragt: Wie kompromissbereit war denn Ihre Partei, die SPD?

Oppermann: Wir waren gestern sehr kompromissbereit, wir haben unsere Vorschläge noch einmal überdacht. Weil wir gestern abschließen wollten, haben wir uns in allen Punkten bewegt, wir haben das der Koalition vorgetragen, aber wir hatten das Gefühl, dass sie eigentlich nicht mehr verhandeln wollte. Die Vertreter der Regierung und Frau von der Leyen haben erklärt, ihr Angebot vom letzten Mal sei das letzte Angebot, darüber könne man nicht mehr verhandeln oder diskutieren, das müssten wir jetzt annehmen oder ablehnen, aber Bewegung in der Sache gab es nicht mehr. Ich muss sagen, ich habe so was noch nicht erlebt, denn das Vermittlungsverfahren soll ja einen Ausgleich herstellen zwischen den unterschiedlichen Positionen. Das Vermittlungsverfahren ist kein Diktatverfahren, wo eine Seite ihre Position mit Mehrheit gegen die andere Seite durchsetzt. Man braucht einen Kompromiss und den wollte die Koalition gestern ganz offenkundig nicht.

Degenhardt: Was ich nicht verstehe und andere vielleicht auch nicht: Warum ist die Frage von ein paar Euro mehr so ein großes Problem geworden?

Oppermann: Nun, wir haben ja eine Verbesserung des Regelsatzes gefordert. Wir glauben, dass der Regelsatz so, wie er berechnet worden ist, nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes genügt, er ist politisch willkürlich gesetzt worden. Wir haben einen konkreten Vorschlag gemacht, wie das verbessert werden kann, das führt zu einer Anhebung des Regelsatzes um weitere sechs auf insgesamt elf Euro. Da haben wir gestern sogar für die Koalition noch mal eine Lösung vorgetragen, wonach es bei 364 Euro bleibt, aber ein Mobilitätszuschlag zusätzlich kommt. Das andere Problem: Die elendige Situation der Leiharbeitnehmer in Deutschland, fast eine Million Menschen, die nur bis im Durchschnitt 50 Prozent von dem verdient, was die Kollegen direkt neben ihnen, die zu den Stammarbeitskräften gehören, bekommt. Da haben wir gefordert ursprünglich gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit nach einem Monat. Wir sind ihnen gestern bis auf vier Monate entgegengekommen. Und bei der Frage Schulsozialarbeit, wo es darum geht, Kinder aus armen Familien zu unterstützen, damit weniger Schulabbrecher in Deutschland produziert werden, haben wir unsere umfassende Forderung – ein Milliardenpaket – runtergeschraubt auf 5000 Schulsozialarbeiter für die zehn Prozent der Schulen, an denen 50 Prozent der Schulabbrecher vorhanden sind. Also wir sind enorm auf die Regierung zugegangen, ein Kompromiss wäre möglich gewesen, aber war nicht gewollt.

Degenhardt: Aber Herr Oppermann, es ist ja von außen betrachtet mittlerweile, ich habe es angedeutet, immer unübersichtlicher geworden. Warum sind Sie nicht bei der ursprünglichen Forderung geblieben, den Satz für die Hartz-IV-Empfänger heraufzusetzen, und haben das andere noch mit dazugepackt?

Oppermann: Na in der Sache wäre dies auch eine Erhöhung gewesen. Die Koalition hatte ja am Sonntag einen Mobilitätszuschlag angeboten, darauf sind wir eingegangen. Wir hätten darüber reden können, aber nicht mal über die eigenen Kompromissvorschläge wollte die Koalition gestern Abend noch reden. Es gab keine Verhandlungsspielräume. Und das war schon eine Situation, wo wir uns gefragt haben, warum glauben die, dass sie so verfahren können? Wahrscheinlich sind sie sehr davon überzeugt, dass das Angebot, die Kommunen durch die Übernahme der Grundsicherung im Alter um vier Milliarden Euro zu entlasten, dass das ein Angebot ist, das uns zum Schweigen bringt. Aber diese Milliarden Schweigegeld für die Kommunen, das kann nicht dazu beitragen, dass wir uns unsere Argumente abkaufen lassen, unsere Einwände gegen die Verfassungswidrigkeit des Regelsatzes.

Degenhardt: Aber Herr Oppermann, die Dummen sind doch jetzt in dem Fall erst mal die Hartz-IV-Empfänger. 4,7 Millionen Menschen warten jetzt auf eine kleine Erhöhung, die Sie nicht zustande gebracht haben zusammen mit der Koalition.

Oppermann: Wir sind entschieden der Meinung, dass die fünf Euro jetzt ausgezahlt werden müssen, vorläufig ausgezahlt werden müssen. Wir werden heute im Bundesrat die Bundesregierung, also heute im Vermittlungsausschuss die Bundesregierung auffordern, die fünf Euro nunmehr sofort auszuzahlen. Wenn es zu einer weiteren Erhöhung des Regelsatzes kommen sollte, kann das nachträglich geschehen. Aber niemand kann jetzt, weil wir weiterhin einen verfassungswidrigen Zustand haben, weil wir weiterhin kein neues Gesetz haben, den Hartz-IV-Empfängern die fünf Euro Regelsatzerhöhung vorenthalten. Jetzt muss gehandelt werden, sonst werden ohnehin die Sozialgerichte oder sogar das Bundesverfassungsgericht selbst durch eine einstweilige Anordnung vorläufig einen verfassungsgemäßen Zustand herstellen, weil es in der Politik keinen Kompromiss gegeben hat.

Degenhardt: Die Bundesregierung will ja ihr Paket trotzdem in den Bundesrat einbringen und hofft darauf, dass einige Länder wackeln, kippen, das Saarland zum Beispiel. Wie sehen Sie die Möglichkeit, dass doch noch die Zustimmung im Bundesrat am Freitag zustande kommt für das Paket, was jetzt die Koalition vorlegt?

Oppermann: Die Strategie der Bundeskanzlerin und Frau von der Leyen wird jetzt sein, ein Bundesland herauszukaufen, notfalls auch durch Zuwendungen in Millionenhöhe für irgendwelche Projekte, jemanden zu finden, der die notwendige Mehrheit dann verschafft. Ich prophezeie aber, das wird nicht gelingen. Ich glaube nicht, dass die rot-grünen Länder oder dass die rot-rot regierten Länder hier ihre Stimmen für dieses Paket zur Verfügung stellen. Es trägt zu sehr den Charakter eines einseitigen Diktats und es werden wichtige Gesichtspunkte aus den Verhandlungen nicht berücksichtigt. Schwarz-Gelb hat keine Mehrheit, sie hätten durch einen vernünftigen Kompromiss von uns die Unterstützung für die Mehrheit bekommen, aber man kann die Mehrheit nicht einseitig durchsetzen.

Degenhardt: Das vorläufige Ende der Hartz-IV-Reformverhandlungen, einer, der es miterlebt hat, war am Telefon, ich bedanke mich bei Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank, Herr Oppermann!

Oppermann: Ich danke auch!
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