Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft

Große Wunschliste für zentralen Erinnerungsort

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Blick auf einer Einzelzelle durch eine kleine runde Gefängnistüröffnung.
Menschen, die anders waren, die nicht mitmachen wollten, wurden in der DDR oft weggeschlossen. Manchen wurde Gewalt angetan. Viele leiden bis heute. © picture alliance / dpa-Zentralbild / Jürgen Lösel
Von Claudia van Laak · 09.07.2020
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Die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft haben im Leben viel Leid erfahren. Soll für sie in Berlins Mitte ein repräsentatives Mahnmal entstehen oder ein stiller Ort des Gedenkens? Opferverbände sind sich einig: Lange warten können sie nicht.
Treffen mit Mario Röllig vor dem Brandenburger Tor. Der ehemalige politische Häftling und engagierte Kämpfer für eine Aufarbeitung der SED-Diktatur hat wie immer seinen kleinen Hund Othello mitgebracht.
"Das ist der Sonnenschein für jeden Tag, um die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben."
Die DDR-Staatssicherheit versuchte, Mario Röllig mit seiner Homosexualität zu erpressen, ihn als Spitzel anzuwerben. Doch Röllig wehrte sich, landete im Gefängnis, wurde dann in den Westen abgeschoben.

Viele können nicht um ihre Toten trauern

Das Brandenburger Tor ist für ihn ein wichtiges Symbol der Deutschen Einheit. Aber natürlich brauchen wir dringend einen zentralen Erinnerungsort für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft. Davon ist der 52-Jährige überzeugt.
"Einfach, weil es viele Menschen gibt, die um ihre Toten gar nicht trauern können bisher. Viele Angehörige von Mauertoten, die wissen gar nicht, wo die Menschen liegen, weil sie anonym verbrannt wurden, weil keine Grabstätten existieren, verschollen sind auch viele im Ausland, die bei Fluchtversuchen ums Leben kamen."
Ein zentraler Ort in der Mitte Berlins wird nun gesucht, in der Nähe von Kanzleramt und Bundestag. Doch vor der Festlegung auf einen Ort, vor einem Gestaltungswettbewerb steht ein inhaltliches Konzept.
Dies erarbeiten gerade die Bundesstiftung Aufarbeitung und die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft gemeinsam mit einem Beirat unter Leitung von Christine Lieberknecht, der ehemaligen thüringischen Ministerpräsidentin. Für die Christdemokratin ist das Prager Denkmal ein Vorbild – sieben Bronzefiguren auf einer absteigenden Treppe, die sich zunehmend auflösen.
"Wo dargestellt wird, wie ein selbstbewusster, strahlender Mensch stückweise seiner Würde immer mehr beraubt wird und am Ende ein Leben auch ausgelöscht wird, das ist Erfahrung im real existierenden Kommunismus gewesen. Allgemeingültige Aussagen zur Gewaltherrschaft des Kommunismus zu treffen, aber den Einzelnen damit auch persönlich anzusprechen, das wird die große Aufgabe sein."

"Wir vermissen ein zentrales Mahnmal"

Eine ganze Reihe von Gedenkstätten und Museen erinnert bereits an die SED-Diktatur und ihre Opfer. Was wir schon lange vermissen, ist ein zentrales Mahnmal, sagt auch Dieter Dombrowski, Präsident des Dachverbandes UOKG, der 40 Opferinitiativen vereint. Der Bundestagsbeschluss von Dezember letzten Jahres sei überfällig.
"Um diesen Menschen, die zu kurz gekommen sind in der DDR, weil sie anders waren, und nicht mitmachen wollten, denen zu helfen. Die demokratische Gesellschaft respektiert diese Menschen nicht nur, sondern ehrt, was sie geleistet haben, letztendlich für die Demokratie."
Dombrowski war einer derjenigen, die nicht mitmachen wollten. Fast zwei Jahre lang saß er im DDR-Gefängnis – wegen "Staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme". Nach seiner Ausreise nach Westberlin beteiligte er sich weiter an Aktionen gegen die SED-Führung, die Stasi bespitzelte ihn auch in Westberlin.
Für den Christdemokraten ist das geplante Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft auch eine persönliche Genugtuung. "Es soll ja auch eine Stätte sein, die offiziellen Charakter hat und an die dann auch Staatsgäste geführt werden. Wenn Herr Putin kommt, dann kann der da auch gerne mal hingehen."

Unterschiedliche Vorstellungen

Dieter Dombrowski stellt sich deshalb ein repräsentatives Denkmal vor, an dem ausländische Staatsgäste zum Beispiel am 9. November Kränze ablegen könnten. Ines Geipel, frühere Leistungssportlerin und Kämpferin für die Rechte der DDR-Dopingopfer, schwebt eher ein leises, nachdenkliches Mahnmal vor.
Sie fragt sich: "Wer gehört dort eigentlich hin, wer wird da stehen? Wer wird an seinen Bruder, an seine Schwester denken, die eben unter diesen Zeichen der Gewalt ausgelöscht wurden. Darum geht es ja."
Gemeinsam mit der früheren thüringischen Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht und anderen arbeitet die Schriftstellerin am Konzept für das künftige Mahnmal in der Mitte Berlins. Zweimal hat sich der Beirat bereits getroffen und darüber debattiert, wie gleichzeitig an die Opfer und an den Widerstand erinnert werden kann. Nicht einig war man sich in der Frage: Wer zählt alles zu den Opfern der SED-Diktatur?
"Nun ist ja die Geschichte einer unmittelbaren Verfolgung, oder im Gefängnis gesessen zu haben oder in einem Kinderheim die Kindheit verbracht zu haben, das sind ja ziemlich deutlich verschiedene Geschichten."

Junge Menschen ansprechen

Der vom Bundestag formulierte Anspruch ist hoch, der Gedenkort soll vieles gleichzeitig leisten – auch junge Leute sollen sich durch das Mahnmal angesprochen fühlen, ihnen sollen "die Gefahren und Folgen totalitärer und diktatorischer Systeme bewusst gemacht werden, um die Wertschätzung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weiter zu schärfen, diese Werte ins Bewusstsein zu rücken und den antitotalitären Konsens zu stärken."
So hoch ist der Anspruch von Ines Geipel an das geplante Mahnmal nicht. "Ich fände es natürlich großartig, wenn so ein Ort ein Ort wäre, der wirklich noch einmal etwas anstößt im Hinblick auf die Geschichte des Ostens. Dass es zu einem Ort wird, mit dem Menschen auch umgehen, den sie annehmen können, wo sie sich versöhnen können, wo sie sich stören können."

Wir können nicht mehr lange warten

Beim Denkmal für die Friedliche Revolution und die Deutsche Einheit, das gerade vor dem Humboldtforum errichtet wird – die so genannte Einheitswippe –, bei diesem Denkmal dauerte es 13 Jahre vom Bundestagsbeschluss bis zum ersten Spatenstich. Dieter Dombrowski schüttelt den Kopf. Wir feiern jetzt 30 Jahre Deutsche Einheit, sagt er etwas entrüstet. Da können wir nicht mehr so lange warten, meint er.
"Es müssen jetzt Nägel mit Köpfen gemacht werden, ansonsten warten wir noch auf das 40. Jubiläum."
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