Opernsänger und Regisseur Selcuk Cara

„Ich war eigentlich nie glücklich auf der Bühne“

33:42 Minuten
Ein Mann im Anzug lächelt in die Kamera. Es ist der ehemalige Opersänger Selcuk Cara.
Erst interpretierte er Wagner, dann inszenierte er ihn auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg: der Sänger und Regisseur Selcuk Cara. © picture alliance / dpa / Frank Pusch
Moderation: Katrin Heise · 12.04.2021
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Selcuk Cara war erfolgreicher Opernsänger, doch das füllte ihn nicht aus. Nach einem schweren Bühnenunfall erfand sich der Sohn türkischer Migranten neu – als Regisseur und Autor. Sein wiederkehrendes Thema: NS-Zeit und Shoah. Und Richard Wagner.
Als Kind wollte er der erste türkeistämmige Bundeskanzler werden. Tatsächlich wurde Selcuk Cara der erste Hagen in Richard Wagners "Ring des Nibelungen" mit türkischen Wurzeln.
Dabei war der im hessischen Langen geborene Einwanderersohn eigentlich aus Trotz zur klassischen Musik gekommen. In der Schule hatte ein Musiklehrer ihm gesagt, "dass Mozart nicht zu meinem Kulturbereich gehört". Caras Antwort: "Ich werde Opernsänger!" Obwohl er bislang nie in einer Oper gewesen war.
Nach erfolgreichem Musikstudium machte Cara sich vor allem als Wagner-Interpret einen Namen. Doch richtig glücklich wurde er als Opernsänger nicht: "Ich habe mich eigentlich immer wie ein Fremdkörper auf der Bühne gefühlt", erinnert er sich. Singen und Schauspielen waren ihm "nicht tief genug."

"Der Musentempel war zerstört"

So begann Cara neben seiner Gesangskarriere ein Regiestudium. 2010 dann der Wendepunkt: Bei einer Probe für den "Freischütz" erlitt Cara einen schweren Bühnenunfall, fürchtete, gelähmt im Rollstuhl zu landen. Zwar konnte er nach erfolgter Genesung wieder auftreten, doch innerlich entfernte er sich immer mehr vom Gesang: "Der Musentempel war komplett zerstört."
Selcuk Cara hängte das Singen an den Nagel, machte sich als Autorenfilmer selbstständig. Sein größter Erfolg: der vielfach preisgekrönte Kurzfilm "Mein letztes Konzert". Ein Film, der sich mit dem Holocaust befasst, ein Thema, das Cara seit seiner Jugend beschäftigt.
Denn an seinen Geburtsort Langen erinnert er sich als damalige "Nazi-Hochburg". So waren die Eltern einiger seiner Schulfreunde in der rechtsextremen FAP engagiert. Auch seine Klavierlehrerin war, wie Cara später herausfand, NS-belastet; ihr verdankt seine Autobiografie "Türke – aber trotzdem intelligent" ihren Titel. Mit diesen Worten hatte seine Lehrerin den jungen Cara bei einem Konzert dem Publikum vorgestellt.

Die "Meistersinger" auf dem Reichsparteitagsgelände

Auch Caras jüngstes, und wie er findet wichtigstes Projekt hat mit der deutschen Vergangenheit zu tun: 2020 inszenierte er Wagners "Meistersinger" auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, genau dort, wo die Nazis einst ihre pompösen Aufmärsche mit Wagner-Musik untermalt hatten.
Damit löste er heftige Kontroversen aus. Wegen der Corona-Auflagen konnten allerdings nur wenige Zuschauer die Premiere sehen. Darum bittet Selcuk Cara die Verantwortlichen in Nürnberg eindringlich, seine Inszenierung wiederaufzunehmen, wenn die Pandemielage es erlaubt. Denn er, der mit seiner Rolle als Sänger so haderte, ist von seinen Regieprojekten überzeugt: "Ich weiß, dass das, was ich jetzt tue, richtig ist."
(pag)

Selcuk Cara: "Türke – aber trotzdem intelligent. Mein vollkommen verrücktes deutsches Leben"
Edel Books, Hamburg 2016
192 Seiten, 15 Euro

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