Operndrama vom Feinsten

12.12.2009
Ian McEwan, weltberühmt und preisverwöhnt für seine virtuosen, manchmal fast zu makellos gearbeiteten Romane, hat sich verlocken lassen, ein Libretto zu schreiben. "For You" heißt der Text und so heißt auch die Oper von Michael Berkeley, die viele Kritiker begeisterte.
Es ist Operndrama vom Feinsten. McEwan hat tief in die Tragödienkiste gegriffen und seine Figuren mit schönstem Sarkasmus aufpoliert. Sie glitzern und parlieren elegant und durchtrieben. Der Plot ist frech und finster, voller Verrat und Kraft, und es fehlt auch nicht der Mord aus Liebesgier.

Ein alternder berühmter Komponist und nimmermüder Frauenverbraucher probt eines seiner Jugendwerke. Er ist unzufrieden, erschöpft, gelangweilt. Seine eigene Musik berührt ihn nicht mehr. Doch falsche Töne hört er noch. Die Hornistin war's. Sie wird gerügt. Doch sie ist hübsch. Und muss natürlich verführt werden. Mit dem Versprechen, dass er in sein nächstes Werk ein Solo von 32 Takten für sie hineinschreiben werde. So hat er es immer gehalten, so hat er sie alle bekommen.

Und seine Frau hat es ertragen. Dieses Leben in Luxus und Lüge. Doch nun kränkelt sie, ist wohl wirklich krank. Und wird behandelt und geliebt von ihrem treuen, bislang entsagenden Arzt. Während die polnische Haushälterin des Musikers und seiner Gemahlin, ein hinterhältig garstiges Weib, wie wir es als Hexe oder böse Stiefmutter aus Märchen kennen, hier zur Liebenden wird, zur Liebeswahnsinnigen. Die den Maestro für sich will. Um jeden Preis. Als die Gattin im Krankenhaus liegt, an Drähten und Schläuchen nach einer OP, kommt die Liebesgierige, die ausgerechnet Maria heißt, gehüllt in den Mantel ihres Herrn ins Zimmer der Siechen. Wie zufällig lässt sie den Mantel am Krankenbett liegen, nachdem sie die Rivalin abgestöpselt, sprich umgebracht hat. Der Meister wird verhaftet, während Maria "Ich bin die Einzige, die liebt" im trügerischen Triumph zurückbleibt.

Das ist der Stoff, aus dem Opern gemacht sind. Und McEwan gelingt es, Tragödie und Komödie zu verbinden. Der alte Faun, die junge Musikerin, die Gattin, der Arzt, die Haushälterin. Sie alle spielen ihren Part. Mit Geist und Eitelkeit, mit Herzschmerz und Tücke. Und sind doch zugleich komische Figuren. Parodien ihrer eigenen Gestalt. Und überaus literarisch. McEwan hat sein Handwerk nicht verraten. Im Gegenteil. Er hat es geschliffen und in die kleine Form gebracht.

Vielleicht ist genau das der Reiz für einen Schriftsteller, sich auf das Schreiben eines Librettos einzulassen. Hugo von Hofmannsthal hat es für Richard Strauss getan, W.H. Auden für Strawinski, E.M. Foster für Benjamin Britten.

McEwans Libretto ist ein köstliches Lesevergnügen - nicht nur kurzweilig, sondern auch kurz. 134 Seiten. Links englisch, rechts deutsch. Auch seine Sprachkenntnisse kann man bei der Lektüre üben und zugleich Autor und Übersetzer auf die Feder schauen.

"For You" ist spielerisches Amüsement für die freie Stunde zwischendrin. Ein Romangerippe, das die eigene Fantasie mit viel Fleisch versehen kann. Und leise, auch ohne die Noten zu kennen, trällert man die eine oder andere Arie schon mal vor sich hin.


Besprochen von Gabriele von Arnim

Ian McEwan: For You
Libretto für eine Oper von Michael Berkeley.

Zweisprachige Ausgabe Aus dem Englischen von Manfred Allié
Diogenes Verlag Zürich 2009
134 Seiten Euro 18.90