Operette als Paradox

Von Bernhard Doppler · 06.06.2010
Die Ansage vor dem Vorhang klingt wie eine Drohung: "Und nun viel Vergnügen mit der lustigen Operette". Operette als verordnete gute Laune! In Jacques Offenbachs Opéra-bouffe "La Périchole" ist genau das das Thema.
Denn im politisch kriselnden Operettenkönigreich Peru herrscht Vergnügenszwang. Da mag der peruanische Vizekönig sich immer wieder inkognito unter sein Volk mischen, die "Wahrheit", die er sucht, wird er doch nicht erhalten. Überall und immer "Keep smile".

Nicolas Stemann erzählt weniger die Handlung dieser Offenbachiade, er nimmt auch wenig Anteil an Figuren, den Straßensängern Périchole und Piquillo, sondern macht das Genre selbst zum Thema und vertieft es, indem es dessen Paradoxa seziert. Das mag viele Opern- und Operettenfreunde bei der Premiere enttäuscht haben.

Stemanns Blick auf die Operette ist gar nicht so weit von Elfriede Jelinek entfernt, von der er in letzter Zeit meist die Uraufführungen inszenierte. Auch bei Jelinek werden nicht Handlungen und Personen, sondern Meinungen vorgestellt, deren Theatralik in der Ironie liegt.

Und es ist auch gar nicht so weit zu Brechts epischem Theater, zur Lehrstückhaltung. Auch im Musiktheater lässt Stemann Szenenanweisungen vorlesen, montiert neue Texte (Kafka) unterbricht den Handlungsfluss, erprobt Versuchsanordnungen.

Die Welt der Operette - eine Welt der Paradoxa: Ehen müssen im Operettenreich deshalb geschlossen werden, weil die Ehe die juristische Vorbedingung für den Ehebruch ist. Wie wenn Offenbach Slovoi Zizek gelesen hätte! "Männer, die dagegen sind" fallen genauso der allgemeinen schunkelnden guten Laune anheim wie Männer überhaupt: "Ach wie sind die Männer dämlich!" – bitte mitsingen! Es gibt kein Entrinnen.

Selbst nicht im Gefängnis. Der leicht zu bestechende Gefängniswärter mit seinem falschen Bart ist niemand anderer als der peruanische Vizekönig, der schon wieder einmal inkognito ist, weil er sich so gerne unter das Volk mischt. Nicht einmal Handgranaten in den Orchestergraben helfen. Das Orchester kann sich im Schlussakt ja auch auf der Bühne breit machen.

"Der alte Gefangene", der sich schon seit zwölf Jahren einen Fluchtweg mit einem kleinen Silberlöffel gräbt, hat dagegen keine Chance. Die treuherzige Bufforolle aus dem dritten Akt (der Schauspieler Andreas Döhler) ist ein Arbeiterrevolutionär, den Stemann schon zu Beginn drollig mit roter Fahne auf sein Anliegen aufmerksam lässt.

Es bleibt ein Widerhaken. Die Anfangsdrohung - "Viel Vergnügen mit der lustigen Operette" - wird gnädigerweise doch nicht sofort eingelöst, gespielt wird gleich zu Beginn ungemein zart und traurig Wagners Liebesmotiv aus "Tristan und Isolde" – ziemlich das Gegenteil zu Offenbachs Zwangsschmissigkeit.

Stemanns Sezieren der Operette funktioniert deshalb überzeugend, weil er im Dirigenten Markus Poschner einen gleichgesinnten Partner hat. Poschner montiert nicht nur Wagners Musik in die Offenbachs, sondern kostet die einzelnen Nummern einfallsreich geistreich und hin und wieder durchaus berührend aus.

Kein lautes Tratra, sondern lustvoll ironischer musikalischer Kommentar. Chor und Orchester beeindrucken und auch das Trio von Vizekönig (Roger Smeets), Périchole (Karoline Gumos) und Piquillo (Johannes Chum) überzeugt im stimmlichen und darstellerischen Einsatz. Mit Poschners Hilfe hat die Operette den Stemann-Test bestanden.