Oper Wuppertal

Fliegender Wechsel der Pult-Kandidaten

Die Oper in Wuppertal
Die Oper in Wuppertal © dpa / picture alliance / Marius Becker
Von Stefan Keim · 16.10.2015
Die Wuppertaler Oper sucht einen neuen Orchesterchef - und das in aller Öffentlichkeit: Jede Vorstellung von Puccinis "Madame Butterfly" wird von einem anderen möglichen Generalmusikdirektor dirigiert.
Wuppertals Oper braucht einen Neustart. Intendant und Generalmusikdirektor Toshiyuki Kamioka ist mit seinem Konzept, ohne festes Sängerensemble zu arbeiten, gescheitert. Schon nach einem Jahr gab er auf. Ein neuer Intendant ist schon gefunden, die Suche nach einem neuen Orchesterchef geschieht öffentlich. Jede Vorstellung der Oper "Madame Butterfly" wird von einem GMD-Kandidaten dirigiert.
Im Prinzip ist es nicht ungewöhnlich, dass Dirigenten, die für das Leitungsamt in Frage kommen, schon einmal mit dem Orchester arbeiten. Da kann man zumindest andeutungsweise erkennen, ob die Chemie stimmt und welchen Stil ein Dirigent – es ist nur eine Frau in der Wuppertaler Kandidatenschar – vertritt. Eine derart direkte Vergleichsmöglichkeit wie in Wuppertal ist allerdings selten. Das Konzept überzeugt und wirft eine Frage auf: Wenn diese Offenheit bei Generalmusikdirektoren kein Problem ist, warum sind die Ernennungen von Theaterintendanten immer noch Geheimsachen? Gerade ranken sich wieder viele Gerüchte um die Ernennung des neuen Bochumer Schauspielchefs, die wieder hinter verschlossenen Türen geschieht.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Nach einem Jahr hat Toshiyuki Kamioka als Intendant am Opernhaus in Wuppertal hingeworfen.© picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Eine Intendantenkür erinnert meistens an vordemokratische Zeiten
In Düsseldorf traten sogar vor kurzem Mitglieder der Findungskommission zurück, weil die Namen der Kandidaten für die finale Runde durch eine Intrige öffentlich bekannt wurden. Mal davon abgesehen, dass Vertrauensbrüche in der Kulturpolitik rheinischer Großstädte zwar zur Tagesordnung gehören, aber dennoch nicht schön sind, bleibt die Frage: Warum gelten Theatermacher, die für die Leitung eines Schauspielhauses in Frage kommen, als "verbrannt"? Der Dirigent Ulrich Windfuhr, der die Premiere der "Madame Butterfly" in Wuppertal leitete, ist nach seinem öffentlichen Auftritt nicht in Flammen aufgegangen.
Die Üblichkeiten einer Intendantenkür erinnern an vordemokratische Zeiten. So haben früher die Fürsten ihr künstlerisches Hofpersonal erkoren. Heute sollte ein derart wichtiges öffentliches Amt in einer Stadt öffentlich diskutiert werden. Nach einer Vorauswahl sollten die Kandidaten sich und ihre Konzepte in den Theatern vorstellen. Dann weiß man auch, wer mit welchen Ideen zur Wahl steht. Wenn sich die Damen und Herren dafür zu fein sind, fehlt ihnen ohnehin eine wichtige Teilkompetenz, um ein Haus zu leiten, nämlich die Kommunikationsfähigkeit in schwierigen Situationen. Die Musiker machen es vor, wie es besser geht.
Wuppertal muss die nehmen, die gerade in der Mittelklasse verfügbar sind
Ulrich Windfuhr hat sein Dirigat bestimmt nicht geschadet. Im Gegenteil, er ging die Oper schnell und ruppig an, aus dem Geist des Verismo, und nahm Puccinis Stück gleich die Gefahr, ins Süßliche abzudriften. Auch im Verlauf der Aufführung wechselte er überzeugend zwischen drastischen Akzenten und gefühlvollem Einbetten der Stimmen. Bei der Sängerbesetzung wurde deutlich, warum es so schwer ist, ohne ein festes Ensemble zu arbeiten. Wenn man nicht so viel Geld hat wie die internationalen Opernhäuser in Amsterdam, Brüssel und anderswo – die auch nur Chor und Orchester angestellt haben und sich sonst im freien Markt bedienen – kann man eben nicht die Topleute engagieren.
Wuppertal muss die nehmen, die gerade in der Mittelklasse verfügbar sind. Das führt zu gemischter Qualität. Die Koreanerin Hye-Won Nam hat die Butterfly schon in halb Deutschland gesungen und gestaltet die Rolle anrührend und sicher, Heikki Kilpeläinen ist ein wunderbarer Konsul Sharpless. Doch sonst ist viel Mittelmaß zu hören, und Viola Zimmermann scheppert durch die eigentlich so mitreißende Rolle der Dienerin Suzuki mit einem ausgeleierten Tremolo, das man früher von Wagner-Diven kannte.
Der neue Intendant wird wieder ein kleines Ensemble aufbauen
Den Versuch einer Inszenierung gab es übrigens auch, aber über die lohnt sich keine lange Rede. "Madame Butterfly" ist ja eigentlich eine der inhaltlich relevantesten Opern, die man gerade spielen kann. Es geht um den naiven Traum von der westlichen Welt in fernen Ländern, außerdem um den gewissenlosen Umgang der US-Amerikaner mit fremden Kulturen. Dafür hat sich Regisseur und Bühnenbildner Dominik Neuner überhaupt nicht interessiert und lässt in einem Haus mit weißen, glatten, schicken Wänden, das wie ein Kunstmuseum aussieht, die Handlung glatt und schick ablaufen. Und als am Ende wegen der unwiderstehlichen Musik doch noch so etwas wie Gefühl aufkommt, inszeniert er den Selbstmord der Cio-Cio San unfreiwillig komisch. Selten hat ein Regisseur mit einem Abend seine Unfähigkeit so überzeugend bewiesen.
Wuppertals neuer Intendant Berthold Schneider wird wieder ein kleines Ensemble aufbauen und nicht nur bekanntes Repertoire spielen. Bei der Premiere der "Butterfly" lagen allerdings Postkarten auf den Sitzen, in denen der Betriebsrat warnt, dass die Bühnen 2019 nicht mehr spielen können, wenn die Stadt nicht mehr Geld gibt. Der Überlebenskampf geht also weiter.
Mehr zum Thema