Oper mit Migrationshintergrund

Von Jürgen König |
Die Komische Oper Berlin kann auch türkisch: Ab der Spielzeit 2011/2012 soll es auf der Übersetzungsanlage neben englischen und französischen auch türkische Übertragungen geben. So will man gezielt Berliner mit türkischem Migrationshintergrund an das Musiktheater heranführen.
Es ist eine dieser guten Ideen, bei denen man sich fragt, warum nicht schon längst jemand drauf kam. Jeder kennt doch die Zahlen – oder sollte sie kennen; Mark Terkessidis vom Hauptstadtkulturfonds bringt sie in Erinnerung:

"23 Prozent der Berliner Einwohner haben zur Zeit einen Migrationshintergrund; damit ist Berlin aufgrund der Teilung immer noch sehr weit hinten. Bei Kindern und Jugendlichen sieht es schon ein bisschen ander aus: Da sind es 40 Prozent. Bei den Kindern unter sechs Jahren sind die Kinder mit Migrationshintergrund in der Mehrheit, und das ist in allen großen Städten dieser Tage so. Für Frankfurt und Nürnberg – man sollte das sich kurz mal vor Augen halten - ergeben sich Zahlen bei Kindern unter sechs Jahren von etwa 67 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund."

Dass diese Kinder auch das Opernpublikum der nächsten Jahrzehnte stellen werden, liegt auf der Hand – gezielt angesprochen werden sie derzeit noch nicht. Natürlich: viele Opernhäuser machen sich Gedanken, wie sie sich interkulturell öffnen können, dennoch: Mit ihrem Vorhaben betritt die Komische Oper Berlin Neuland.

Ein Modellversuch: Am Anfang stand die simple Beobachtung, dass bei den musikpädagogischen Workshops der Komischen Oper für deutsch-türkische Kinder und ihre Eltern es sehr oft die Kinder waren, die, was gesprochen wurde, ihren Eltern übersetzen mussten. Um auch diesen Eltern die Oper näher zu bringen, machte man sich Gedanken, was dabei herauskam, schildert Intendant Andreas Homoki.

"Wir werden eine zusätzliche Stelle schaffen für spezielle Workshops, wir werden demnächst die Stücke in unserer Übersetzungsanlage nicht nur in deutsch und englisch ... den Text projizieren, sondern auch in türkisch und französisch, wir werden die Zielgruppe der Deutsch-Türken spezieller bewerben: mit Anzeigenschaltungen in deutsch-türkischen Medien, Werbekooperationen, mit Partnern aus diesem Bereich und spezielle Flyer produzieren. Zusätzlich werden wir auch unserer Mitarbeiter in diesem Sinne schulen, denn wir legen Wert darauf, dass die Komische Oper Berlin eine lernende Institution ist."

Als "Opernhaus für alle" hat die Komische Oper Berlin sich schon immer verstanden, mehr als bisher sollen nun also auch die rund 300.000 Deutsch-Türken in Berlin umworben werben.

Andreas Homoki, Sohn ungarischer Eltern, wird 2012 die Oper Zürich übernehmen, sein Nachfolger in Berlin wird Barry Kosky, er hat keinen Migrationshintergrund: Er ist Australier – und was für einer...

"Als ein in Australien geborener Jude mit Großeltern aus Weißrussland, Ungarn und Polen fühle ich mich vollkommen zuhause hier in Berlin. Berlin war immer und ist eine Stadt für Zigeuner und Wanderer. Es ist eine Stadt für Vertriebene, Träumer und verlorene Seelen."

Berlin, die Stadt der Wanderer, der Zuwanderer – aus diesem Geist heraus ist Barry Kosky begeistert vom Modellversuch der Komischen Oper, den er ausweiten will.

"Es geht hier nicht um Multikulti. Es geht um Interkultur. Es geht nicht um Dogmen, es geht um kulturelle Vielfalt und kulturelle Simultaneität. Oper ist kosmopolitisch, Oper ist interkulturell ..."

... sagt Barry Kosky und will noch mehr:

"Wir müssen türkischen Künstlern einen Platz zum Träumen auf unserer Bühne geben. Und wir müssen ein bunt gemischtes Berliner Publikum mit türkischer Musik aus unserem Orchestergraben verzaubern. Wir sind mit zahlreichen hier in Berlin lebenden türkischen Künstlern im Gespräch über einige aufregende neue Theaterprojekte in der Zukunft. Und ich freue mich sehr darüber, dass wir schon in meiner ersten Spielzeit eine Uraufführung von einem wundervollen, ebenfalls hier in Berlin lebenden türkischen Komponisten präsentieren können."

"Türkisch! Oper kann das" – das Projekt der Komischen Oper Berlin wird vom Hauptstadtkulturfonds gefördert. Eigentlich sind die Gelder dieses Fonds für die Freie Szene der Hauptstadt bestimmt; wozu braucht ein Opernhaus, ohnehin schon subventioniert, noch zusätzliche Gelder, mag mancher "freie Kulturschaffende" in Berlin denken.

Doch das Projekt sei einfach wichtig, sagt Jurymitglied Mark Terkessidis: Vor dem Hintergrund der laufenden Integrationsdebatten sei es nötig, bestimmte Prozesse in großen Kultureinrichtungen zu unterstützen, man wolle ein Zeichen setzen.

"Ich glaube, dieser Öffnungsprozess in den Institutionen wird, wenn man ihn an einer Stelle mal begonnen hat, viel mehr auslösen, als man bislang gedacht hat – weil es wirklich darum geht, sich sozusagen in die neue Bevölkerung hinein zu verankern."

Was für eine gute Idee. Man fragt es sich wirklich: warum ist darauf noch niemand gekommen?