Oper in deutschen Ländern

04.02.2012
Kaum ein Werk des zeitgenössischen Musiktheaters hat eine solche Erfolgsbilanz vorzuweisen wie Aribert Reimanns "Lear". Seit der Uraufführung 1978 in München erlebte die wohl beste Shakespeare-Oper der Moderne über 20 Neuinszenierungen, darunter in London, San Francisco und Paris.
Doch zwingend gehört das Stück nach Hamburg, denn hier wurde der Plan in der kurzen Intendanz von August Everding vorangetrieben und 1974 für die 300-Jahr-Feier der Hamburger Oper in Auftrag gegeben. Auch die Finanzierung der Uraufführung wurde durch die Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper und die Körber-Stiftung zunächst gesichert. Aber Intendant Everding wechselte 1977 nach München und nahm den "Lear"-Plan mit. Die Hamburger waren, erinnerte sich Everding, "auf ungewöhnliche Weise entgegenkommend" und machten den Weg frei für die Verlegung des Auftrags. "München jubelt über Hamburgs 'Jubiläums-Oper'", schrieb das Abendblatt zur Uraufführung im Süden und konstatierte "einen beispiellosen Triumph ohne jeglichen Protest des Publikums". 33 Jahre später haben die Hamburger endlich Gelegenheit, das einst bestellte Werk zu sehen. Zum Jubiläum "333 Jahre in Hamburg" kehrt Aribert Reimanns Durchbruchs-Oper an den Ort ihres Ursprungs zurück.

Aribert Reimann bekannte sich zur Oper bereits in einer Zeit, da dieses Genre von vielen seiner Kollegen verachtet wurde. Seine emotional aufgeladene Melodik, seine körperhafte Orchestersprache, nicht zuletzt seine Liebe zur Literatur prädestinierten den gebürtigen Berliner für die Bühne, der er bis heute immer wieder neue Meisterwerke schenkt. Ob Kafkas "Schloss", Euripides' "Troades", García Lorcas "Bernarda Albas Haus" oder zuletzt Grillparzers "Medea", der 75-jährige Großmeister der Literaturoper erreicht das Publikum mit einer Breitenwirkung, die bei zeitgenössischer Musik alles andere als selbstverständlich ist.

Was ist das Geheimnis von Reimanns »Lear«-Vertonung? Sie lässt dem erst mächtigen, dann närrischen König seine Fallhöhe, und schrumpft ihn doch auf ein menschliches Maß, das zur Empathie einlädt. Reimann und sein Librettist Claus H. Henneberg behielten die politische Dimension der Tragödie bei, ohne die familiäre Katastrophe zu vernachlässigen. Lears misslungene Reichsteilung bleibt die grausame Parabel von monströser Dimension: Neid, Hass und Intrige führen im Endspiel um ein fehlgeleitetes Ego an einen apokalyptischen Abgrund. Alle Bindungen werden zerrissen, alle Hierarchien gestürzt. Die Familie, die kleinste Keimzelle der Gesellschaft, unterliegt ebenso der Auflösung wie das Gefüge des Staates. Doch auf der anderen Seite steht auch die narrenphilosophische Erkenntnis, dass hinter der Fassade von Lug und Betrug immer noch die Liebe durchscheint. "Der König hat zwei Töchter verbannt, um wider Willen die dritte zu segnen."...
(nach Kerstin Schüssler-Bach, Hamburgische Staatsoper)


Oper in deutschen Ländern
Hamburgische Staatsoper
Aufzeichnung vom 15.1.12


Aribert Reimann
"Lear"
Oper in zwei Teilen nach William Shakespeare
Libretto: Claus H. Henneberg nach Shakespears "King Lear" in der Übersetzung von Joachim Eschenburg

König Lear - Bo Skovhus, Bariton
König von Frankreich – Wilhelm Schwinghammer, Bassbariton
Herzog von Albany - Moritz Gogg, Bariton
Herzog von Cornwall - Peter Galliard, Tenor
Graf von Kent - Jürgen Sacher, Tenor
Graf von Gloster - Lauri Vasar, Bassbariton
Edgar - Andrew Watts, Countertenor
Edmund - Martin Homrich, Tenor
Goneril - Katja Pieweck, Sopran
Regan - Hellen Kwon, Sopran
Cordelia - Ha Young Lee, Sopran
Narr - Erwin Leder, Sprechrolle
Bedienter - Frieder Stricker, Tenor
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Hamburger Philharmoniker
Leitung: Simone Young


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