Oper in der brandenburgischen Tiefebene

Von Christoph Richter · 20.07.2011
Da behaupte noch jemand, Brandenburg sei eine Kulturbrache: Im 2000-Seelen-Dorf Neuzelle, 130 Kilometer südöstlich von Berlin und nah an der polnischen Grenze, bringt ein Festival klassischen Opernstoff auf die Bühne. Das Ergebnis kann sich im bundesweiten Vergleich durchaus sehen lassen.
Es klingt fast wie ein Echo aus vergangenen Zeiten, wenn die Arien der Salieri-Oper "Angiolina" über die Mauern des goldglänzenden barocken Klosters Neuzelle schwappen. Man wähnt sich fast für einen kurzen Moment in Ravenna oder Palermo. Doch es ist Ost-Brandenburg.

Anders als üblich, wird in der vor 210 Jahren entstandenen Oper "Angiolina" nicht solange gesungen, bis sich endlich die Protagonisten glücklich in den Armen liegen, sondern hier ist eine Scheidung das glückliche Finale. Ein weitgehend unbekanntes Werk aus der Epoche der Wiener Klassik.

In Neuburg an der Donau wurde der Zweiakter 1982 letztmals aufgeführt. Jetzt kommt die Gesellschaftssatire 130 Kilometer südöstlich von Berlin und 29 Jahre später zur Wiederaufführung. Beim Festival Oper Oder-Spree, das es seit 2001 gibt. Man will das Augenmerk auf einen kaum gespielten Opernstoff und einen Blick auf den Komponisten Antonio Salieri werfen, der seit dem "Amadeus"-Film von Milos Forman immer noch allzu häufig auf seine Rolle als Widersacher Mozarts reduziert wird, betont Festivalleiter Walter Ederer.

"Wir haben ja ein bisschen das Format, Opernraritäten zu zeigen, die man sonst nicht hört. Und auf diese Weise haben wir ein ganz bestimmtes Profil. Das auch für Opernkenner sehr interessant ist, die wir auch anziehen. Neben dem Publikum hier aus der Region. Und dieses Format ist erfolgreich."

Die Noten hat man sich aus einer handschriftlichen Partitur der Sächsischen Landesbibliothek besorgt, mühsam per Hand abgeschrieben und dann in eine Druckform gebracht.

Da das Festival Oper Oder-Spree natürlich kein festes Orchester hat, engagiert man sich eins. Seit Beginn kooperiert man daher mit bulgarischen Orchestern. Ein deutsches Ensemble wäre schlicht zu teuer. Dieses Jahr sind die Philharmoniker aus dem bulgarischen Plovdiv angereist, das derzeit ohne festen Spielort ist, da dort das Opernhaus abgebrannt ist.

Die Sänger wurden im Rahmen eines Wettbewerbs aus 130 Bewerbern ausgewählt und kommen größtenteils aus Osteuropa. Sie spielen für eine Gage von rund 1000 Euro - für alle Aufführungen. Brandenburg Billiglohnland? Festivalorganisator Walter Ederer sieht es gelassen:

"Billiglohnland will ich jetzt nicht sagen. Aber wenn sie im freien Bereich Musiktheater produzieren, das ist in Berlin genauso, ich war ja früher an der Neuköllner Oper tätig, auch dort können sie nicht Musiker von den Philharmonikern nehmen oder von der Deutschen Oper. Sondern sie müssen auf andere Musiker zurückgreifen. Das tun wir hier ja letztlich auch. Die Musiker müssen den Spaß mitbringen, hier auch drei Wochen zu wohnen, zu leben und zu arbeiten."

In einer Art WG im ehemaligen Priesterseminar. Noch mit ehemaligem DDR-Charme ausgestattet, ein Gebäudeteil das auf seine Sanierung wartet. Man kocht, singt und spielt zusammen. Ulrika Lang, Regisseurin der Salieri-Oper "Angiolina", hat so was noch nicht erlebt.

"Wir haben einen ganz langen Gang, rechts und links gehen die Zimmer ab. Und als die erste Orchesterprobe war, waren die ganzen Sänger in ihren Zimmern, alle Stimmen durcheinander, alle haben sich eingesungen, das war so toll, dass ich mich in den Flur gestellt und zugehört habe. Das war wunderschön."

Mittendrin die Hauptdarstellerin, die Sopranistin Bilyana Dimailova. 2007 hat sie ihr Gesangsstudium am Konservatorium Sofia beendet. In ihrer Heimat wird sie als Konzertsängerin gefeiert.

"Das ist Arbeit, aber mit einem schönen Ton. Und: Es ist nicht nur Arbeit, sondern es macht auch ungemeinen Spaß. Man kann die Zeit einfach miteinander genießen."

Musikalisch geleitet wird die Oper von dem 25-jährigen Justus Thorau. Der schmächtige und schüchterne Student der Weimarer Musikhochschule ist Stipendiat des Dirigentenforums des Deutschen Musikrates, mit dem das Festival Oper Oder-Spree regelmäßig kooperiert. Er vollbringt musikalische Höchstleistungen. Denn das Orchester muss ungewöhnlicherweise - wegen der relativ beengten Verhältnisse im Kreuzhof des Klosters - neben der Bühne sitzen.

"Das ist natürlich akustisch sehr unglücklich. Ich stehe rechts neben der Bühne, wenn die Sänger auf der linken Seite der Bühne spielen, höre ich das um eine halbe Sekunde verzögert. Das heißt, man bekommt nie ein perfektes Zusammenspiel an jedem Platz im Kreuzhof, das ist einfach schlichtweg unmöglich."

Dieses fehlende musikalische Feintuning ist nicht zu überhören. Doch die eindrückliche Präsenz der Sängerinnen und Sänger, die alles daran setzen, höchsten Ansprüchen zu genügen, macht das wett.

Die Inszenierung der verschlankten Fassung von "Angiolina" kostet rund 180.000 Euro. Nicht viel Geld für eine Opernaufführung.

"Davon bezahlen wir die Musiker, davon bezahlen wir die Sänger und Sängerinnen, da bezahlen wir Organisationskräfte, die Technik, Licht, der ganze Abenddienst. Eben was zu so einer Opernproduktion gehört."

Das Vorhaben gleicht einem Himmelfahrtskommando: Denn fällt einer der Sänger aus, gibt es keinen Ersatz und man hätte Schulden. In dieser Hinsicht scheint es geradezu unerschrocken, wie die Veranstalter in Neuzelle das Genre Oper versuchen am Leben zu halten - im sogenannten "Kulturland" Brandenburg, das sich bis auf eine Ausnahme aller Dreisparten-Theater entledigt hat. Und dessen Kulturetat nicht mal ein Prozent des Landeshaushalts ausmacht. Ein ostdeutsches Phänomen? Nichts da, denn in Thüringen und Sachsen sind es knapp vier Prozent.

Beim international besetzten Sommerfestival Oper Oder-Spree geht es nicht um die Event-Häppchenkultur des üblichen brandenburgischen Kulturprogramms, sondern um ein Musiktheater, das sich Qualität auf die Fahnen geschrieben hat. Ein schweres Unterfangen, doch was am Ende auf der Bühne entsteht, kann sich im bundesweiten Vergleich durchaus sehen lassen.