Oper

Auf der Spur alter russischer Arien

Die italienische Mezzo-Sopranistin Cecilia Bartoli
In einer neuen musikalischen Welt: Die italienische Mezzo-Sopranistin Cecilia Bartoli © AFP / Dieter Nagl
Von Holger Hettinger · 20.10.2014
So kennt man die italienische Opern-Diva Cecilia Bartoli nicht: Statt hoher Töne und Effektseligkeit Gurren und kammermusikalische Miniaturen. Für ihre neue CD "St. Petersburg" hat sie vergessene Arien in russischen Archiven ausgegraben - und virtuos zum Klingen gebracht.
Wie jetzt – das soll Cecilia Bartoli sein? Die Koloraturenkaiserin, die so rasant wie kaum eine andere Sängerin die Tonleiter rauf und runterjagt? Die die hohen und höchsten Töne mit sportivem Ehrgeiz nimmt, so dass man sich an eine besonders virtuose Abfahrts-Skiläuferin erinnert fühlt?
Auf ihrer neuen CD "St. Petersburg" klingt Cecilia Bartoli konzentriert und zurückgenommen: Sie hat Musik eingespielt, die im 18. Jahrhundert am St. Petersburger Hof gepflegt und geschätzt wurde – eine Zeit des Umbruchs, in der die emotionalen Musik-Aufwallung des Barock nicht mehr und die ebenmäßige abgezirkelte Klassik noch nicht in Mode war."
Die Bartoli mal nicht auf der virtuosen Überholspur, mal nicht auf italienisch: Ob das nicht auch ein Risiko gewesen sei? Da kann Cecilia Bartoli nur lachen - um dann doch Ernst zu werden: Natürlich war die Annäherung an das russische Repertoire Neuland für sie – die Stimme wird anders geführt, und auch die Sprache stellt die Sängerin vor neue Herausforderungen:
"Das hätte ich mir nie im Leben vorstellen können, dass ich einmal auf Russisch singen würde. Und, ja: Ich habe die Sprache als sehr schwierig empfunden, aber auch als sehr melodisch, in einer gewissen Weise. Natürlich gibt es im Russischen einige Laute, die man im Italienischen nicht kennt, einige gutturale Laute etwa, die ganz weit hinten aus der Kehle zu kommen scheinen. Aber ich habe hart gearbeitet mit meiner Lehrerin, die auch Musikerin ist, und irgendwann war sie dann zufrieden, und hat mich gelobt. Gut, ich gebe zu: Besser machen kann man's immer, aber ich wollte diese Arien einfach im russischen Original singen."
Musik-Archäologie im St. Petersburger Marinskij-Theater
Eine Entscheidung, die sich sehr lohnt: Denn das Gurren und das Barmen, mit dem sie die Arien eines Hermann Friedrich Raupach in Szene setzt, ist ganz große Gesangs-Kunst. Was umso verdienstvoller ist, weil man ohne Bartolis Aufnahme niemals von diesem Komponisten gehört hätte. Raupach, von der Bartoli - wie sich das für eine Italienerin geziemt - mit wundervoll rollendem R ausgesprochen - war Hofkomponist am russischen Hof, ein deutscher Exilant, der das musikalische Formbewusstsein seiner Heimat mit den gefühlig-wirkungsbewussten Melodien seiner russischen Wirkungsstätte sehr effektvoll kombiniert hatte. Von ihm sind drei verblüffend tiefgründige Arien auf der CD vertreten.
Um diese Stücke aufnehmen zu können, hat Cecilia Bartoli Musik-Archäologie betrieben: Die Noten für diese Kleinode waren tief in der Bibliothek des St. Petersburger Marinskji-Theaters versteckt. Dort hat Cecilia Bartoli sie aufgespürt:
"Ich habe angefangen, diese Musik in Italien zu suchen. Dort habe ich sie vermutet, und irgendwann habe ich mich gewundert, warum ich die Sachen dort nicht finde. Das war seltsam, denn es waren wichtige Werke, die in St. Petersburg entstanden sind: Giuseppe Verdi hat beispielsweise seine Oper "La forza del destino" dort uraufgeführt. Nachdem ich in Italien die Partituren nicht gefunden habe, dachte ich mir: Vielleicht liegen die Sachen ja noch in St. Petersburg? Und dann habe ich mich auf die Reise gemacht. Das ist eine Geschichte für sich. Ich bin mit dem Zug gefahren, durch Italien und Deutschland, und in Lübeck bin ich dann an Bord eines Schiffes gegangen und dann im Hafen von St. Petersburg angekommen."
Neue Tiefe und Leichtigkeit
Nun ist diese Musik so ganz anders als alles, was das italienische Repertoire hergibt. Die Effektseligkeit der italienischen Oper sucht man hier vergebens. Die Arien des St. Petersburger Hofes sind fast schon kammermusikalisch anmutende Miniaturen, die einen ganz eigenen Einsatz der Stimme erfordern:
"Nun gut, ich habe es geschafft, mein Instrument, meine Stimme, sehr elastisch, sehr flexibel einzusetzen. Das ist das, was man braucht, um dieser Musik gerecht zu werden. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass man mit Technik allein hier nicht weiterkommt. Man braucht diese Flexibilität, diese Elastizität, um mit all den anderen Instrumenten… - ja: zu fliegen, abzuheben. Es gibt einige Passagen, da führt die Stimme einen Dialog mit der Flöte oder mit der Oboe. Ohne die Flexibilität, die Stimmführung dieser Instrumente anzunehmen, geht das nicht auf."
Und gerade weil Cecilia Bartoli sich ganz auf diese versunkene Klangwelt einlässt, die Stücke eher von innen heraus zum Glühen bringt und ausdrücklich nicht auf die Suche nach virtuosen Momenten geht, entfaltet sich hier eine Tiefe und Leichtigkeit, die man so in der Form von Cecilia Bartoli noch nicht gehört hat. Und daher glaubt man ihr die Momente, wenn sie erzählt, wie sie in der Bibliothek ihre ganz persönlichen Entdeckungsmomente genossen hat.
Dieses Pathos nicht zu übersteigern, sondern es wohl dosiert und stimmlich präzise zum Klingen zu bringen – das sind die Qualitäten dieser Repertoire-Entdeckungen.
Mehr zum Thema