Open Air

HipHop und Folklore vor Industriekulisse

Die Musiker Frah und Samaha Sam stehen vor großem Publikum auf der Bühne.
Die französische Gruppe Shaka Ponk am 17. Juli 2014 beim Musikfestival "Colours of Ostrava" im tschechischen Ostrava © dpa / picture alliance / CTK / Jaroslav Ozana
Von Katrin Wilke · 20.07.2014
Vier Tage, 15 Bühnen, 200 Veranstaltungen: Zum 13. Mal fand das Festival "Colours of Ostrava" in der einstmals wichtigen tschechischen Industriestadt Óstravastatt - mit Stars wie Ex-Led-Zeppelin-Frontman Robert Plant. Einheimische Musiker forderten, sich wieder mehr auf die eigenen slawischen Wurzeln zu besinnen.
Eine recht eigenwillige Allianz aus sozialkritischem HipHop und tschechischer Roma-Musik schmiedet der Rapper und Sänger Radoslav Banga seit 2006 unter dem Namen Gipsy.cz. Eine der vielen einheimischen Bands, die dieser Tage inmitten von Ostravas imposanter Industriekulisse zu erleben waren. Die ausgediente Zeche der einstigen Stahl- und Eisenhüttenstadt ist seit nunmehr drei Jahren das Quartier von "Colours of Ostrava". Das größte Open-Air-Event dieser Art im an Festivals reichen Tschechien findet fernab der Hauptstadt statt. Für den Prager Musikjournalisten Petr Dorůžka ist das ein gutes Beispiel von gelebtem Dezentralismus:
"In Prag gibt es so viele Veranstaltungen, viel Wettbewerb und einfach nicht den Platz für so ein Festival. In Ostrava unterstützt die Stadt dieses recht ungewöhnliche Event viel stärker, als es in größeren Städten der Fall ist. Zudem ist das Publikum anders, nicht so überfüttert. Es bringt daher auch den weniger bekannten Künstlern und Musikstilen mehr Wertschätzung entgegen",
so Dorůžka, der dem Festival die Gabe zuschreibt, Menschen neugierig zu machen.
"Sie kommen einfach und wissen, das Festival wird sie nicht enttäuschen."
Ausdrucksformen abseits des Offiziellen
Dorůžka: "Die Vorgeschichte von 'Colours of Ostrava' reicht viele Jahre zurück. Damals organisierte die Festivaldirektorin Zlata Holúschkova Performances und Konzerte - in der Grauzone zwischen Verbotenem und Legalem. Zlata begann also in den 70-ern, 80-ern mit den Singer-Songwritern, den alternativen Bewegungen, sie war damals sehr aktiv und lernte die Spielregeln.
Um diese Ausdrucksformen abseits des Offiziellen – besonders vor 1989 – ging es auch bei der ersten "Czech-Music-Crossroads"-Expertenrunde. Mit dabei war Josef Ostřanský, einst Schlüsselfigur in der Alternativszene von Brno. Der nach wie vor gut beschäftigte und breit vernetzte Musiker verweist auf die Wichtigkeit, sich nach der anfänglichen West-Orientierung nun endlich wieder stärker auf den eigenen, traditionell vielfältigen slawischen Kulturraumes zu konzentrieren:
"Wir vergessen, dass wir geschichtlich verbunden sind mit Ungarn, Ostdeutschland, Polen, der Slowakei. Ich denke, die meisten Leute in Tschechien wissen nichts von all den aktuellen slowakischen Bands, Malern, Bildhauern usw. Wir haben all das wirklich vergessen. Und ich meine - auch nach meinem eigenen Bewusstseinswandel -, dass es nicht gut ist, nur in eine Richtung zu schauen. Wir müssen vielmehr einen 360-Grad-Blick haben."
"Wenn die Kultur einer Nation überlebt, dann überlebt auch die Nation"
Mit ebendiesem "Rundumblick" schickt das Duo DVA vom böhmischen Norden aus seine imaginäre Folklore in die Welt. Inspiriert von lettischem und litauischem Folk, von Arvo Pärt und Björk sowie der heimischen Landschaft unweit des Riesengebirges, sind die beiden lokal-globalen Visionäre ein Solitär in Tschechiens Musikszene.
"Wenn die Kultur einer Nation überlebt, dann überlebt auch die Nation." Dieser Satz des derzeitigen tschechischen Industrie- und Handelsministers zierte womöglich schon Dagmar Ostřanskás Visitenkarte, als sie die Kiewer Filiale des Czech-Center leitete. Eine vom Kultusministerium finanzierte Auslandsinstitution. Trotz dieser staatlichen Anbindung brachte Ostřanská mit großer Eigeninitiative etwa in der Ukraine kulturell viel auf den Weg. Kürzlich zurückgekehrt, will sie sich nun ebenso beherzt in Tschechien ans Werk machen.
"Ich denke, dass die Kulturpolitik hier derzeit sehr schlecht läuft, im Grunde gar nicht existiert. Das heißt, wir unterstützen schon die Kultur, aber nicht die lebendige. Klar, das Kulturerbe, die Schlösser und so, wunderbar - aber was ist mit den Künstlern, den aktuellen Künsten? Die befinden sich in einer Phase des Überlebens. Ich spreche immer lieber von Kultur, nicht von Entertainment. Das sind zwei verschiedene Ansätze. Zum Beispiel sehe ich in Prag, wo man über Subventionen verfügt, dass man dort nicht den Unterschied versteht zwischen Kommerz und Kunst."
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