Open Access

Von Jörg Kantel · 05.05.2011
Der freie Gedanken- und Meinungsaustausch gilt nicht nur als eine Grundlage für unsere Demokratie, sondern auch als unabdingbar für das Gedeihen von Wissenschaft und Forschung. Doch wie frei ist dieser Austausch wirklich?
Wie frei, wenn Daten und Quellen hinter Urheberrechtszäunen und Patentschranken versteckt werden? Wie frei, wenn wissenschaftliche Bücher und Aufsätze nur noch zu Preisen zwischen 120 und 600 Euro oder mehr zu haben sind? Wie frei, wenn sich immer weniger Bibliotheken aus finanziellen Gründen wichtige wissenschaftliche Zeitschriften und Monographien leisten können?

Zwar befürworten nahezu alle Leute aus Politik und Forschung einen offenen Zugang zu wissenschaftlichen Quellen und Werken. Doch wenn es ans Eingemachte geht, erkennt man, dass es eben doch nur Lippenbekenntnisse sind.

So lehnten etliche Wissenschaftler und Autoren die Berliner Erklärung zum Open Access ab, obwohl diese von namhaften Wissenschaftsinstitutionen initiiert und unterschrieben wurde. Sie sahen darin einen Zwang zu bestimmten Publikationsformen und einen Eingriff in das Urheberrecht. Und doch fielen sie mit ihrem Heidelberger Appell nur auf die Propaganda der Verlage und ihrer Lobbyverbände herein.

Geschickt hatten nämlich die Initiatoren des Appells die Angst vor Googles internationalem Buchprojekt mit dem Angriff auf die Berliner Erklärung zum Open Access in den Wissenschaften vermengt. Das fiel einigen der Unterzeichner erst später auf und sie zogen ihre Unterschrift unter dem Heidelberger Appell wieder zurück. Aber da war das Kind aber schon in den Brunnen gefallen und der Appell mit großem Tam-Tam in der Presse veröffentlicht und von vielen prominenten Politikern aus Regierung und Opposition unterstützt worden.

Doch auch die Labors der privaten Wirtschaft verhindern, dass Forschungsdaten und -ergebnisse frei zur Verfügung stehen. Entwickelt ein Pharmaunternehmen zum Beispiel ein wirksames AIDS-Medikament, dann möchte es natürlich damit Geld verdienen. Und das auch dann, wenn Menschen in Afrika sich die treue Medizin nicht leisten können und darum wahrscheinlich an ihrer Krankheit sterben werden.

Oder stellen Sie sich vor, die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms wäre nicht einer internationalen, öffentlich geförderten Forschergruppe als erstes gelungen, sondern einem Industriekonsortium. Dann hätten wir heute sicher Patente auf Gensequenzen, die die medizinische und biologische Forschung auf Jahrzehnte behindern würden.

Falsch verstandene Urheberrechte schaden aber auch dem Wissenschaftsstandort Deutschland. So können zum Beispiel In den USA Studenten mit riesigen geographischen Datensätzen und Luftbildern arbeiten. Denn nach amerikanischem Recht darf sie jeder frei nutzen, da sie mit öffentlichen Geldern finanziert wurden. In Deutschland hingegen wissen Hochschullehrer schon gar nicht mehr, welche Fragen sie für ihre Studierenden aus den Daten von Bremerhaven-Nord, einem der wenigen freigegebenen geographischen Datensätze in Deutschland, formulieren sollen. Das Material zum Lehren und Lernen hat sich erschöpft.

Und einzelne Luftbilder, an denen man zum Beispiel die Auswertung von Umweltschäden zeigen könnte, kosten pro Aufnahme in einigen Bundesländern immer noch 300 Euro und mehr pro Messtischblatt. Da kann es eigentlich niemanden verwundern, dass fast alle Innovationen im Bezug auf computergestützte geographische Informationssysteme in den letzten Jahrzehnten aus den USA kamen.

Sie sehen also, es gibt viele gute Gründe, warum Forschungsdaten wie auch Forschungsergebnisse nicht in Datenbanken versenkt und hinter Passwörtern geschützt verborgen werden dürfen. Einige große Forschungsorganisationen haben mittlerweile Open-Access-Regeln für ihre Mitarbeiter formuliert und beginnen auch, eigene Publikationsreihen herauszugeben. Ein Anfang ist gemacht, auch wenn die großen Verlage und ihre Unterstützer in Politik und Regierung immer noch dagegen sind. Sie werden nicht verhindern können, dass wissenschaftliche Erkenntnisse eines Tages frei verfügbar sein werden – einfach, weil sie frei verfügbar sein müssen.

Jörg Kantel, Blogger und EDV-Experte, geboren 1953 in Duisburg, studierte Mathematik, Philosophie und Informatik im zweiten Bildungsweg. Seine Berufe waren: Speditionskaufmann, Gitarrist, Programmierer, Kabarettist, Systembetreuer, Systemanalytiker und Unternehmensberater. Seit Mai 1994 ist er EDV-Leiter am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und war von 2006 bis 2009 Lehrbeauftragter für Multimedia im Fachbereich "Angewandte Informatik" an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft (FHTW) Berlin. Er betreibt den Blog "Der Schockwellenreiter".