"Opel ist kein Sanierungsfall"

Armin Schild im Gespräch mit Hanns Ostermann · 26.02.2009
IG-Metall-Bezirksleiter Armin Schild hält Opel für wettbewerbsfähig. Ein Automobilkonzern dürfe nicht "ausschließlich aufgrund der unternehmenspolitischen Machtverhältnisse wegradiert" werden, sagte Schild.
Hanns Ostermann: Ziemlich laut dürfte es heute Vormittag in Rüsselsheim, Kaiserslautern und Eisenach zugehen, und die Fernsehkameras und Mikrofone werden viele ernste, verzweifelte oder auch verbitterte Gesichter und Stimmen einfangen. Der Europäische Metallgewerkschaftsbund und das Europäische Arbeitnehmerforum haben zu dem Aktionstag für Opel aufgerufen.

Mit dabei unter anderem Frank-Walter Steinmeier, der SPD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl und Bundesaußenminister, außerdem Berthold Huber, der Erste Vorsitzende der IG Metall. Natürlich geht es darum, Arbeitsplätze zu erhalten. Arbeitnehmer dürfen die Suppe nicht auslöffeln, die ihnen Konzernchefs auf den Teller getan haben. Aber was kann die Tochter dazu, dass die Mutter krank ist, könnte man auch sagen? Und trotzdem verbinden sich mit Opel natürlich auch Grundsatzfragen. Am Telefon von Deutschlandradio Kultur um 7.51 Uhr Armin Schild, er ist Bezirksleiter der IG Metall in Frankfurt am Main und sitzt im Aufsichtsrat von Opel. Guten Morgen, Herr Schild!

Armin Schild: Guten Morgen, Herr Ostermann!

Ostermann: Sie haben mal gesagt, Opel sei kein Sanierungsfall. Was macht Sie da so sicher?

Schild: Na ja, wir kennen das Unternehmen Opel in der Wahrnehmung der Kunden, der Menschen draußen. Opel verfügt in Europa, auch hier in Deutschland, über modernste Fabriken, die absolut – was Produktivität, was Kosten angeht – wettbewerbsfähig sind. Opel hat ein, wie ich finde, ansehnliches Management mit ansehnlichen Leistungen, der letzte auf den Markt gebrachte Wagen, der Opel Insignia, ist Auto des Jahres geworden, ist zu sehr erschwinglichen Preisen zu erwerben. Das muss man ja erst mal hinkriegen.

Und deshalb sagen wir: Opel ist wettbewerbsfähig, Opel ist kein Sanierungsfall. Opel hat das Problem, dass seine hundertprozentige Mutter eben schwer krank ist und wahrscheinlich unter amerikanischen Insolvenzschutz fallen wird und damit die Zahlungen, die vertraglich garantiert sind zwischen Mutter und Tochter, nicht mehr fließen werden, weil die amerikanischen Steuerzahler auch sagen werden, wir geben nichts für deutsche Arbeitsplätze oder europäische Arbeitsplätze. Und aus dieser Zwickmühle müssen wir dieses wettbewerbsfähige Unternehmen befreien.

Ostermann: Die Zwickmühle – aus einer Marke muss eine Firma werden. Warum brauchen Sie die Hilfe des Staates, wenn Opel kein Sanierungsfall ist?

Schild: Na ja, weil Opel überhaupt kein eigenes Konto hat. Die Situation in den Vereinigten Staaten ist ja doch so dramatisch, das muss man immer wieder mal deutlich machen, dass Vertragsverpflichtungen, die General Motors zu Zahlungen an die Tochter verpflichten würde, wohin im Gegenzug die Tochter Fahrzeuge baut, die sie an die General-Motors-Vertriebsorganisation übergibt, die dann das Geld verdienen, in Detroit in einem sogenannten Cashpool verwalten und die verschiedenen weltweiten Töchter dann bedienen mit der Finanzierung der operativen Geschäftstätigkeiten … Dieser Umfluss, dieser Umlauf ist ins Stocken geraten, weil die Mutter in den Vereinigten Staaten ansonsten pleite gehen würde.

Ostermann: Aber mittlerweile gibt es private Angebote, beispielsweise wollen die europäischen Händler von Opel in die neue Firma investieren. Also dann brauchen Sie die Hilfe von Bund und Ländern doch gar nicht?

Schild: Erst mal finde ich es ausgezeichnet, dass die Händler das tun. Das begrüßen wir sehr.

Ostermann: Aber es reicht nicht?

Schild: Aber es reicht nicht. Wir reden hier ja doch von einem Automobilkonzern, der einen etwas höheren Eigenkapitalbedarf hat, als ihn die Händler aufbringen können – was überhaupt nicht bedeuten soll, dass wir das geringschätzen, ganz im Gegenteil, aber es reicht nicht.

Und es ist vor allen Dingen schnell notwendig, denn die Situation bei GM in Detroit verschärft sich doch von Tag zu Tag, und sie haben registriert, dass der amerikanische Präsident sehr selbstverständlich gesagt hat, dass die amerikanische Regierung der amerikanischen Automobilindustrie helfen wird. Ist dieses der Fall, ohne dass wir hier in Deutschland oder Europa zu einer Entscheidung gekommen sind, ist die nicht notwendige, nicht wünschenswerte Insolvenz von Opel relativ schnell eingetreten. Das muss uns klar sein.

Ostermann: Wenn Bund und Länder nach dem VW-Modell Opel aus der Krise helfen, was sagen Sie dann den Kollegen der anderen Autofirmen und Zulieferer, denen der Staat nicht hilft?

Schild: Zunächst einmal möchte ich sagen, dass die Opel-Situation doch relativ einmalig ist. Es hat ja sonst keiner eine amerikanische Mutter, die ihn zu 100 Prozent besitzt. Das gilt für kein anderes Automobilunternehmen in Deutschland, das gilt – nebenbei bemerkt – auch nicht für Ford, Ford ist kein eigenständiges Unternehmen, es ist ein weltweit tätiges amerikanisches Unternehmen, das besser gemanagt hat als die GM-Mutter in Detroit, das muss man sehen.

Und die Zulieferer, bei allem Respekt: Wir müssen uns natürlich im Klaren sein, dass wir mehr Arbeitsplätze vernichten würden mit einer Insolvenz von Opel bei mittelständischen Unternehmen hier in Europa, die als Zulieferer von Opel das nicht überleben würden, als bei Opel selbst. Und das heißt für den Steuerzahler: Die Folgekosten einer Insolvenz von Opel, eines eingestellten Geschäftsbetriebes bei Opel, die Folgekosten wären höher als die gewünschte Beteiligung.

Ostermann: Aber bei Saab hat man offensichtlich in Schweden anders reagiert, und ich frage mich auch, wozu das Ganze? Die Automobilindustrie leidet unter Überkapazitäten. Irgendeine Fabrik muss doch leider, ganz klar, daran glauben. Wer, wenn nicht Opel?

Schild: Die Situation bei Saab, die Sie ansprechen, die halte ich überhaupt noch nicht für zu Ende gedacht. Ich glaube, dass wir es hier mit einer taktischen Maßnahme des GM-Managements zu tun haben, die ja auch zu 100 Prozent die Mutter von Saab ist.

Hier wird Druck ausgeübt auf die Belegschaften, auch auf den Staat Schweden, um sozusagen geländegängig zu werden. Ich glaube nicht, dass es notwendig war, die Insolvenzmeldung für Saab jetzt vom Stapel zu lassen. Ich betrachte das als eine politische Maßnahme. Überkapazitäten in der Automobilindustrie – ja, die haben wir.

Das muss sich auch bereinigen, aber deshalb muss doch nicht mit der brutalstmöglichen und mit der am unnötigsten erscheinenden Variante ein Automobilkonzern, der wettbewerbsfähig ist, ausschließlich aufgrund der sozusagen unternehmenspolitischen Machtverhältnisse wegradiert werden. Wer hätte etwas davon? Die Fahrzeuge, die Opel nicht verkauft, werden nicht in Ingolstadt und Sindelfingen gebaut, die werden in Seoul und Nagasaki gebaut. Nichts gegen die Kollegen in Seoul und Nagasaki, aber die rechnen alle gar nicht damit, dass wir so doof sein könnten, diesen Automobilkonzern in Europa einfach sozusagen über die Klinge springen zu lassen.

Ostermann: Herr Schild, für Ihre Veranstaltung heute in Rüsselsheim viel Glück und Erfolg!

Schild: Danke!

Ostermann: Armin Schild war das, der Bezirksleiter der IG Metall Frankfurt am Main, außerdem Mitglied im Aufsichtsrat von Opel.