Only dust in the wind?

Von Gerd Michalek · 31.08.2005
Den meisten Menschen kommt bei Wolfgang Stöckers Sammelobjekten zunächst lästiger Alltagskram in den Sinn: Sie denken an Husten, Allergien und das allwöchentliche Staubsaugen. Ganz anders sieht es der Kölner Kunsthistoriker Stöcker: Er hat an ganz verschiedenen Orten Staub gesammelt. Ob aus Kölner oder Londoner Kirchen, ob feinkörnig oder flockig, die winzigen Schwebeteilchen sind dem Konzeptkünstler Anlass für allerlei Reflexionen.
"Das ist St. Marien. Meistens findet man in den Ecken sehr guten Staub, und dann taste ich mich so durch. Und ich sammle immer mit den Händen. Das hat dann sehr viel Haptisches. Und jetzt sehe ich sofort, ich habe wunderschönen flockigen Staub, der dann hier in meinem Probebeutel verschwindet. Es muss keine riesige Probe sein, die wird zugeheftet, kriegt einen Namensschild, und das wird laufend archiviert. "

Zuhause packt der 36-Jährige seine Schätze fein säuberlich in einen Aktenordner. 40 Proben ruhen hier nach zwei Jahren Sammelarbeit.

"Hier wäre St. Andreas, hier bei St. Ursula sind kleine Spinnen mit drin zu sehen. Das kommt ganz drauf an, wo man den Staub sammelt. Hier ist jede Menge Köln drin, da auch Düsseldorf, da ist ein ganz gräulicher Staub aus St. Lambertus in Düsseldorf. Und hier in St. Gereon ist ein ganz körniger Staub, der auch ockerfarben ist. Die Stäube weisen interessante Farbvariationen auf. "

Auch im Ausland geht der Zwei-Meter-Mann mit dem Pferdeschwanz auf die Pirsch.

"Hier Westmister Abbey, sehr schöner grauer Staub. Die National Gallery hat fast überhaupt keinen Staub, ich bin in allen Ecken rum gekrochen. Und die Leute guckten schon ganz komisch, ob ich noch sauber ticke. Ansonsten ist die total staubfrei, so was habe ich bisher nur im Ulmer Münster erlebt, die Schwaben putzen natürlich ständig. "

Ein besonderes Kleinod hat er aus Italien bekommen:

"Neapel ist ganz toll, aus der Gruft von San Genario, da sind richtige Marmorpartikel drin. Und man darf da eigentlich überhaupt keinen Staub sammeln, weil die ja derart fanatisch sind mit ihrem San Genario, dass die ganze Kirche in Neapel ständig bewacht ist. "

Ob erlaubt oder nicht, Sammeln war schon immer seine Leidenschaft.

Schon als Kind liebte er Briefmarken, Steine und Fossilien. Allmählich wurden die Objekte seiner Begierde skurriler. Anders als seine Großmutter, die eine große Zuckerwürfel-Sammlung anhäufte, suchte der junge Stöcker nach Federn und Scherben.

Dann kamen bei ihm Wasser-Sorten und Vogelköpfe dazu. Jetzt ist er bei ganz elementaren Teilchen gelandet:
"Und Staub findet man eigentlich überall, das ist so was wie ein kleinstes gemeinsames Vielfach. Seit letztem Jahr mache das als Konzeptkunst, weil ich festgestellt habe, wenn man das mit den Bildern kombiniert oder den Herkunftsdaten, und man hat ne Neapolitanische Krypta, hier der Veits-Dom in Prag, Mexiko ist vertreten, dann hat man im Grunde so etwas lapidares Merkwürdiges wie Staub, was man an recht bedeutenden Orten findet, die Kirchen sind ja Kulturzentren seit Jahrhunderten. "

Kirchen und besonders Friedhöfe faszinierten Wolfgang Stöcker schon von klein auf. Kein Wunder, dass er derzeit ein Buch über Bestattungsriten schreibt. Doch nur todernst darf es bei ihm nicht zugehen. Immer liegt auch etwas Schalkhaftes in seinen Aktionen.

Kürzlich bat er das ehrwürdige Bundeskanzleramt um eine Staubspende – doch ohne Erfolg:

"Sie werden sicher Verständnis haben, dass das Bundeskanzleramt täglich von Bitten und Anfragen überhäuft wird und nicht jeden Einzelwunsch berücksichtigen kann. Sollten Sie Gelegenheit haben, an einer Führung durch das Bundeskanzleramt teilzunehmen und dabei Staub entdecken, dürfen Sie diesen gerne mitnehmen. "

Mit strenger Wissenschaft hat Stöckers Sammeln kaum etwas zu tun – auch wenn seine Sammlung sehr honorig "Deutsches Staubarchiv" heißt. Dem Kölner geht es darum, ungewöhnliche Diskurse in Gang zu bringen.

Und einen neuen Blick auf Alltagshandlungen zu werfen.

"Seitdem denke ich über jeden Staubsaugerakt völlig neu nach, oder wenn ich in Kirchen bin, überlege ich: Soll ich jetzt selber sammeln oder die lieber anschreiben. "

Wie viele Stäube Stöcker künftig noch sammeln wird, ist unklar. Auf mindestens 111 Proben will es der zahlenverliebte Künstler schon bringen. Denkbar wäre, dass er am Ende sein Staubarchiv einem anderen Archiv übergibt. Dort könnten seine Stäubchen aus aller Welt Archiv-Staub zweiter Ordnung ansetzen – wer weiß. Bis es soweit ist, wird Stöcker noch viele Briefe an potentielle Staub-Spender schreiben. Und sich unverstaubte Gedanken über das Symbol der Vergänglichkeit machen.

"Dieser Verfall, und diese Endlichkeit, die ist überall festzustellen. Und dann sind diese Kirchen ja noch mal besonders gefährdet, sauerer Regen und alles. Der Dom zerbröselt ja ständig. Und das ist natürlich auch so ne Aufforderung, sich Mühe zu geben, sonst würde es zerfallen. Aber auf der anderen Seite ist es vielleicht, dass man alles nicht so bierernst betrachten sollte, denn letztendlich verschwinden wir alle wieder in einer Kiste und werden zu Staub. "