Onlinedating in Pandemiezeiten

Mehr Tinder-Reichweite für Geimpfte

06:05 Minuten
Verschiedene Menschen haben nach ihrer Impfung gegen den Coronavirus ein Pflaster auf dem Oberarm. Close Up auf die Oberarme mit kleinem Pflaster.
Nicht romantisch, aber praktisch: Seit Kurzem können Tinder-Userinnen und -User angeben, ob sie geimpft sind. © picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd
Von Gerd Brendel · 08.06.2021
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Seit Corona boomt das Onlinedating. So mancher verzichtet dabei auf reale Treffen und flirtet nur im Chat. Neuerdings kann man bei Tinder Angaben zum Impfstatus machen. Wie hat die Pandemie unser Onlinedating-Verhalten beeinflusst?
Seit Corona boomt das Onlinedating. So mancher verzichtet dabei auf reale Treffen und flirtet nur im Chat. Neuderings kann man bei Tinder jetzt Angaben zum Impfstatus machen. Wie hat die Pandemie unser Onlinedating-Verhalten beeinflusst?
Es herrscht das strenge Regelwerk des Physical Distancing: schwere Zeiten, besonders für Singles wie Carline Mohr. Mitten im Lockdown fragte sie sich: "Wo krieg’ ich jetzt bitte ein Date her?" Und dann habe sie sich wieder angemeldet – bei der Dating-Plattform Tinder.
Im realen Leben arbeitet Carline Mohr für die PR-Abteilung der SPD und kümmert sich um die Präsenz der Partei in den digitalen Medien. Jetzt setzte sie sich mit der digitalen Präsenz potenzieller Flirt-Partner auf der Dating-App auseinander. Die schönsten Chats hat sie auf ihrer Homepage dokumentiert.

Willenlose Schafe und Aluhüte

Erster Versuch mit dem Profil von Till, 35: Foto mit Atemschutzmaske und ausgestreckten Mittelfinger. Beschreibung: Pandemie sucks. Bring mich zum Lachen.
"Hey Baby, bist du Corona-App, ich würd dich gern benutzen."
"Die App bringt doch eh nix, das ist nur ein Versuch des Staates uns zu überwachen!"
"Sekunde, ich muss kurz meinen Aluhut holen."
"Ah, du bist eins von den willenlosen Schafen, dich würde ich nicht mal daten, wenn du nur einen Aluhut tragen würdest, bitch!"
"Baby, bist du Zoom, ich würde dich gerne stumm schalten."
Till löst das Match auf.
Da die Kontaktaufnahme digitalisiert erfolgt, weiß man auch, dass Enthemmung am Werk ist – der sogenannte Online-Enthemmungseffekt. Der besagt, dass Menschen im Netz eher zur Selbstoffenbarung neigen.
Diese Effekte habe die Pandemie verstärkt, sagt die Wirtschaftspsychologin Wera Aretz. Sie hat an die 1000 User und Userinnen befragt. Dabei kam sie unter anderem zu dem Ergebnis, "dass viele Nutzer von Onlinedating-Portalen gesagt haben, sie kommen leichter in Kontakt.
Man kriegt auch tatsächlich schneller eine Rückmeldung. Die Kommunikation und die Gespräche, die man führt, sind nicht mehr so oberflächlich. Man interessiert sich füreinander, unterhält sich über das Leben allgemein." Oder stellt schneller fest, dass einen nichts verbindet.

Chatten statt treffen

Experiment Nummer zwei: ein Selbstversuch, nicht auf Tinder, sondern der schwulen Dating-Plattform Planetromeo. Mit drei Millionen Usern weltweit hat Planetromeo eine riesige Auswahl. Ich entscheide mich für Jens. Der sitzt zwar laut Profil 650 Kilometer weit entfernt in Amsterdam, aber da das mit dem Verabreden in der realen Welt in Pandemiezeiten eh heikel ist, chatte ich ihn an.
Wir verabreden uns zum Videochat. Die Kamera wandert vom Gesicht abwärts, da klingelt es bei Jens an der Haustür. "Wir müssen kurz unterbrechen. Mein Gatte kommt gerade nach Hause." Der Bildschirm wird schwarz.
Im realen Leben ist Jens Schmidt der Chef von Planetromeo und wir haben uns auch nicht zu einem Onlinedate verabredet, sondern zu einem Interview. Denn auch sein Unternehmen hat die User befragt. 125.000 von ihnen beteiligten sich an der Umfrage. "Ein Drittel der User sagen, dass sie gar nicht daten im Moment, ein weiteres Drittel: ja, aber nur nach langem Chat. Und ein weiteres Drittel sagt: ja, aber ein bisschen langsamer."
Die Motive haben vor allem mit den fehlenden realen Treffpunkten zu tun, sagt Schmidt, gerade bei Schwulen in offenen Beziehungen. "Wir sollten auch nicht vergessen, dass für viele das Dating nicht möglich ist, weil beide Homeoffice haben, der Partner zu Hause sitzt." Genau. Ob sich das demnächst ändern wird?

Anreize für Geimpfte

Seit Kurzem können Userinnen und User der Dating-Plattform Tinder angeben, ob sie geimpft sind. Geimpfte erhielten etwas mehr Reichweite, erklärt die Psychologin Wera Aretz. "Ein anderer Anreiz ist, dass sie sogenannte Superlikes, für die man sonst bezahlen muss, umsonst verteilen können. Insofern kann man sagen, dass diejenigen, die geimpft sind, an Attraktivität gewinnen."
"Ich weiß nicht, ob das so romantisch ist", meint Carline Mohr in Hinblick auf die neuen Kategorien. Zum Versprechen von Instant-Romantik, das viele Dating-Apps den Usern verkaufen passt das Hälchen bei "ich bin geimpft" jedenfalls nicht.
Letzlich können selbst die "Geimpften" der einzig wichtigen Frage nicht entkommen: Kann ich diesem User oder dieser Userin vertrauen – wenigstens für eine erste Verabredung im realen Leben?
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