Olga Hochweis liest Musik

"Cluburlaub" von Schnipo Schranke

DJ-Mischpult mit zwei Plattenspieler-Deck
Symbolbild: DJ-Mischpult mit Plattenspieler-Deck © picture alliance / dpa / Foto: Maximilian Schönherr
03.09.2015
Schnipo Schranke heißt ein Hamburger Duo, das manche für die Indie-Entdeckung des Jahres halten. Jetzt erscheint ihr Debüt-Album "Satt", und es enthält den Titel "Pisse", mit dem sie den Hype um ihre fäkalsprachlichen Songs beträchtlich angeheizt haben.
Es ist ein echter Prolog: Gleich zwei Titel – die ersten beiden Tracks ihres Debüt-Albums – investieren Fritzi Ernst und Daniela Reis für so was wie eine poetologische Einführung in ihren Schnipo-Schranke-Kosmos. Angefangen beim Band-Namen, den sie beschwörend wie ein Mantra skandieren. Schnipo Schranke: das steht für Schnitzel, Pommes, Mayo und Ketchup – und auch über den Namen hinaus servieren die beiden Damen Deftiges:
Wir sind Schnipo Schranke, Lieblingsschulfach Tanke. Körbchengröße Schlafsackfutter, Gewicht zu zweit wie deine Mudder. Lebensmotto: drauf geschissen. Lieblingssportart: Zungenküssen. Und sorgt das auch für Augendrehen: Berufswunsch irgendwas mit fame.
Ihr zeigt uns keine Grenzen, deshalb bauen wir welche auf, über unter, uns steht Schnipo Schranke drauf.
Das ist die neue Schule, das ist Schnipo Schranke – wir sind zwei peanuts, ein Gedanke, ne kurze und ne Kranke. Wir spielen nicht aus Vergnügen, wir wollen, daß sie uns lieben… wir schreiben Zeile für Zeile aus purer Langeweile.
In der Literatur kennt man solcherlei Langeweile als "ennui“ – in existentieller Form kann sie in Selbstekel und Überdruss münden, wie Bücher von Michel Houellebecq besonders anschaulich verkörpern. Der Erstling von Schnipo Schranke heißt "Satt" und deutet artverwandtes "Leiden" an. Kuriert wird es in den Songs des Duos durch diverse Rauschzustände: Liebeswahn, Dauer-Suff oder auch mal Zitat: "Rudelfick". Schnipo Schranke nennen die Dinge beim Namen – bevorzugt die männlichen: vom dichten Sackhaar bis zum intensiv schmeckenden Sperma. Es wird bis zur Selbstzerstörung geliebt, gestalkt, aber auch mit Bügeleisen oder dem Beil geworfen. Frau wird in den Schrank gesperrt oder unterwirft sich in devoter Hingabe ihrem "Gebieter". Was treibt zwei Mittzwanzigerinnen, die noch vor wenigen Jahren brav mit Blockflöte und Cello an die Musikhochschule trabten, zu soviel Drastik jenseits des gender-guten Geschmacks? Spaß am Tabu-Bruch? Bestimmt. Spätpubertäre Ironie? Vermutlich. Und darüber hinaus? Spurensuche im Titel "Cluburlaub in der Karibik"…
Ich hab´ heut nacht ins Bett gemacht, mein Psychiater hat sich letzte Woche umgebracht.
Ich sitz´ zu Haus und spiele Stadt Land Fluß in Mittelerde und warte drauf, daß ich endlich Rockstar werde. Ich hasse mein Leben, denn es stiehlt mir meine Zeit. Ich suche ständig nach mir selbst, doch da ist nichts weit und breit. Vielleicht hab ich bisher nur am falschen Ort gesucht. Deshalb hab ich mir ein Ticket nach Panama gebucht. Nur ich, mein Rucksack und mein Lonely Planet, in der großen weiten Welt wie abgeholt und nicht bestellt. Jetzt bin ich wieder hier... Und ich sag euch, diese Erfahrung ist einfach unbezahlbar...
Ein Selfie der Seelenpein
"Cluburlaub" ist ein Selfie der Seelenpein – ein Gegenmodell zum grassierenden Selbstoptimierungswahn. "Das einzige Ideal, das wir haben, ist, dass wir über Schwächen singen" haben die beiden Schnipo-Schranke-Frauen in einem Interview verkündet und hinzugefügt: "Wenn man seine Fehler ganz offensiv zeigt, gibt man den Leuten ja auch viel." Dieser Exhibitionismus kann allerdings weh tun, prollig und peinlich werden. Wie im echten Leben, wenn Leute sich klitzeklein fühlen, aber auf dicke Hose machen. Eine Hose, die gegen Ende des Songs natürlich fallen muss, im doppelten Sinn – hier macht sich jemand am Beispiel Ballermann-Exzesse so richtig nackig.
Bei 35 Grad im Schatten, zwischen Pool und Hängematten
von morgens an schon dicht mit Wodka Brause, ist ja fast wie zu Hause…
nur zu Hause trink ich den Wodka immer ohne Brause.
Selbstbedienung? Selten so gelacht, hier wird mir immer alles an den Liegestuhl gebracht. Ich schmeiß die Gabel aus dem Fenster, denn ich brauch hier nur meine Hände. Bei All-inclusive krieg ich nämlich Pommes ohne Ende. Gangbang mit den Animateuren, die Wände sind hier schalldicht, deshalb kann uns keiner hören…
jetzt bin ich wieder nüchtern… und ich sag Euch, diese Erfahrung ist einfach unbezahlbar...
Und tja, so fragwürdig einem diese Erfahrung auch scheinen mag: sie ist, wie eingangs gehört, dem Ticket nach Panama zu verdanken. Wollte da nicht schon mal jemand hin? Wir erinnern uns: nach Panama hatten sich einst die Janosch-Figuren Tiger und Bär auf den Weg gemacht, beseelt von einem neuen Ziel im Leben, auf der Suche nach Glück, vielleicht auch weg vom "ennui", der Langeweile des Alltags. Panama wird zum Synonym für alle unerfüllten Sehnsüchte… und damit kommen wir wieder zurück zur Club-Urlauberin...
Flatrate an der Cocktail-Bar … oh wie schön ist Panama…
Cluburlaub in der Karibik , die Sorgen sind hier klein, doch die Cocktails sind riesig... WDH: Flatrate… oh wie schön ist Panama... das Leben ist hier leicht, aber nüchtern sein ist schwierig… oben ohne an der Cocktail-Bar... nackig auf der Cocktail-Bar .
In Janoschs´ Kinderbuch-Klassiker "Oh wie schön ist Panama" kommen Tiger und Bär bekanntlich nie am Ziel ihrer Reise an – sie sind im Kreis gelaufen und landen wieder zu Hause. Kein Zweifel, dass die "Ständig nach sich selbst-Suchende" im Song auch wieder da ankommt, wo sie eingangs gestartet ist: nämlich, siehe erste Strophe "da, wo nichts ist weit und breit". Auch Tausende Kilometer entfernt treffen wir leider nur wieder auf uns selbst. Das mag zum Weinen sein, enthält aber auch viel Komik: "Selten so gelacht" – um mit den Worten des Songs zu sprechen. Und Lachen hat etwas sehr Befreiendes.