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Debatte im Schloss Bellevue
Bundespräsident: Welcher Islam gehört zu Deutschland?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zu einer gepflegte Debatte über Religion und Demokratie ins Schloss Bellevue eingeladen. Doch er wurde von dem islamkritischen Publizisten Hamed Abdel Samad mit seinem Glückwunsch-Telegramm an den Iran konfrontiert. Nicht die einzige Kontroverse des Abends.

Von Sebastian Engelbrecht | 27.02.2019
Ort der gepflegten Debatte - Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lud am Dienstag (26.02.2019) zur Diskussion über das Thema "Religion und Demokratie" ins Schloss Bellevue
Gäste des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue am 26.2.2019 waren unter anderen die Journalistin Evelyn Finger, der Philosoph Hans Joas und der islamische Theologe Mouhanad Khorchide (imago / Christian Ditsch)
Eigentlich ist das "Forum Bellevue" ein Ort der gepflegten Debatte unter Honoratioren aus den höheren Etagen von Kultur, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Aus aktuellen Gründen aber musste der Bundespräsident einen Exkurs in seine Rede über das Verhältnis von Religion und Demokratie einbauen – zu einem brenzligen Thema. Steinmeier hatte in der vergangenen Woche ein Glückwunsch-Telegramm zum 40. Jahrestag der iranischen Revolution nach Teheran geschickt – und hatte sich kritische Stimmen anhören müssen, unter anderem von aufgebrachten Bürgern und vom Zentralrat der Juden in Deutschland.
Der Bundespräsident warb für seinen Kurs des Dialogs mit der Führung der islamischen Republik und für das Atomabkommen der westlichen Mächte mit Iran, um das er jahrelang verhandelt habe.
Steinmeier sagte: "Ich glaube bis heute, dass die Anstrengung der Bundesregierung richtig ist, dieses Abkommen auch gegen manchen, auch amerikanischen Druck aufrechtzuerhalten. Dass es nicht besser ist, die festen Vereinbarungen, auch die Sanktionsmittel, einfach aus der Hand zu geben – und den Iran in weitere Isolation und Radikalisierung hineinzutreiben."
"Nicht in meinem Namen!"
Damit stand die außenpolitische Dimension des Themas "Religion und Demokratie" ungeplant im Vordergrund. Der islamkritische Publizist Hamed Abdel Samad widersprach dem Bundespräsidenten in der späteren Diskussion:
"Sie haben falsche Signale an das Regime im Iran gesendet, an die demokratische Opposition im Iran und im Exil. Sie haben aber auch falsche Signale an die Menschen in Deutschland gesendet. An das iranische Regime haben Sie gesagt: Sie können so weitermachen wie bis jetzt. An die demokratische Opposition im Iran haben Sie das Signal gesendet: Sie haben keine Legitimation. Und an die eigenen Leute in Deutschland haben Sie das Signal gesendet: Wir nehmen unsere Werte nicht ernst. Und deshalb sage ich: Nicht in meinem Namen!"
Der Publizist Hamed Abdel-Samad in einer Aufnahme von 2015
Der Publizist Hamed Abdel-Samad (imago/Sven Simon)
Das wiederum wollte der Bundespräsident nicht stehen lassen und konterte:
"Ich bin Ihnen erstens dankbar für Ihren Beitrag, finde des gleichzeitig schade, dass Sie meiner Rede, in der ich dazu Stellung genommen habe, offenbar nicht zugehört haben, sonst hätten Sie diese letzte Ausführung nicht machen können."
Ruhiger verlief die Diskussion auf den eingefahrenen Gleisen der Debatte um das Verhältnis von Religion und Demokratie in Deutschland.
Steinmeier: "Deshalb lautet die Frage nicht, ob der Islam zu Deutschland gehört – die ist angesichts der Millionen von Muslimen, die in unserem Land leben, glaube ich, längst beantwortet. Die eigentliche Frage lautet: Welcher Islam gehört zu Deutschland? Wie sieht eine islamische Lehre und Glaubenspraxis aus, die mit dem Leben in einer modernen, pluralistischen Gesellschaft im Einklang steht? Die Förderung von Kinderehen oder die Missachtung von Frauenrechten tun es sicher nicht."
Missbrauchtes Gottesbild
Einen theologischen Antwortversuch machte Professor Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster:
"Wenn ich von einem Gott spreche, der darauf angewiesen ist, uns Menschen zu Marionetten zu machen, zu unterwerfen, unter ein Gesetz, dann frage ich: Ist das wirklich ein in sich vollkommener Gott oder ist nicht ein vollkommener Gott einer, der nichts für sich will, sondern bedingungslos nur schenken will, und das ist Gott der Liebe. ‚Gott der Liebe‘ ist ein viel vollkommeneres Gottesbild und theologisch verteidigbar als ein Gott, der nur Menschen unterwerfen will unter das Gesetz und aus denen, wie gesagt, Marionetten, die fremdbestimmt, nicht selbstbestimmt sind."
Ein restriktives Gottesbild werde von restriktiven Regimen missbraucht, um Gehorsam im Volk zu erzeugen, meinte Khorchide. Hier stimmte Bundespräsident Steinmeier ausdrücklich zu: Die Unterscheidung des islamischen Theologen Khorchide sei eine wichtige Trennlinie, "… weil nach meinem Eindruck sich hier die Frage entscheidet einer Reform- oder Modernisierungsfähigkeit, Demokratiekompatibilität oder nicht."
Abdel Samad warnt vor der Versuchung der Macht
Auch an dieser Stelle war der Schriftsteller Abdel Samad nicht einverstanden. Von "Demokratiekompatibilität" redete er nicht, sondern warnte vor der Versuchung der Macht. Dieser seien die Kirchen in Deutschland erlegen wie auch der politische Islam.
Er sagte: "Ich darf nicht diese Sinnsuche und diese Wahrheitssuche missbrauchen, um die Menschen für eine politische Entwicklung oder für Machtausbau zu instrumentalisieren – und genau das macht der politische Islam in Deutschland auch im Schatten der Kirchen. Er will seine Machtstrukturen ausbauen, er will diese Sinnsuche der jungen Muslime, die sehr legitim ist, missbrauchen, um seine Machtstrukturen auszubauen."
Zu viel Nähe zur Macht attestierte der Berliner Soziologieprofessor Hans Joas insbesondere der evangelischen Kirche: "Das zielt jetzt auf die evangelische Kirche: Eine Kirche, die sagt: ‚Wir haben gelernt von der übertriebenen Staatsnähe der Evangelischen Kirche in Deutschland. Nie wieder! Deshalb unterstützen wir jetzt zu 150 Prozent die Bundeskanzlerin.‘ Dass da irgendwo ein logischer Mangel in der Argumentation ist." (Lachen im Saal)
Bei aller Kritik blieb der ausdrückliche Aufruf zu einer grundlegenden Reform des Religionsverfassungsrechts aus. Dazu war das "Forum Bellevue" doch zu sehr ein Ort der gepflegten Debatte.